Politik

Arif Tasdelen (SPD) verteilt Geschenke – nicht mal für Buntstifte hat der Kindergarten Geld. (Foto: LOH)

01.08.2014

Drei Stunden den Krieg vergessen

Arif Tasdelen (SPD) besucht den Flüchtlingskindergarten in Zirndorf – er ist genauso überfüllt wie die Aufnahmeeinrichtung

Maschinengewehre, Kampfhubschrauber und tote Soldaten – die selbstgemalten Bilder an den Wänden der Kinderbetreuungsstelle der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZAE) in Zirndorf spiegeln auf erschreckende Weise den Alltag der Drei- bis Zwölfjährigen in ihren Heimatländern wider. „Viele Flüchtlingskinder sind vom Krieg und ihrer Flucht traumatisiert“, erzählt Betreuungsleiterin Monika Krügler in dem karg eingerichteten Kindergarten. Die meisten Zwergerl kommen aktuell aus dem Bürgerkriegsland Syrien. Krügler versucht, ihnen jetzt zumindest für drei Stunden am Tag so etwas wie eine „normale“ Kindheit zu ermöglichen. Aber die Ressourcen dafür sind begrenzt.

Nur 36 Kinder haben bei Krügler Platz – der Rest muss draußen bleiben. „Die stehen dann am Fenster und schauen den anderen beim Spielen zu“, klagt sie. Doch die Leiterin ist schon froh, wenn genug Farben und Malpapier vorhanden sind, damit sie den Kleinen überhaupt etwas bieten kann. Grund: Die Kinderbetreuungsstelle wird staatlich nicht gefördert, weil sie wegen des nur vorübergehenden Aufenthalts der Kinder nicht zum bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan gehört. Geleitet wird sie von der Hilfsorganisatation Caritas, die auf Spenden angewiesen ist. „Nach Weihnachten nimmt die Spendenbereitschaft aber jedes Jahr ab, obwohl die Kinder trotzdem kommen“, bedauert Krügler.

Viele Flüchtlingskinder sind vom Krieg traumatisiert

Der SPD-Landtagsabgeordnete Arif Tasdelen, selber Vater einer dreijährigen Tochter, wollte jetzt auf die Lage vor Ort aufmerksam machen. Zusammen mit den Fürther SPD-Stadträten Aydin Kaval und Ayhan Yesil plante er einen Besuch in der ZAE. „Dabei geht es nicht nur um die Situation der Flüchtlinge, sondern auch um die der Angestellten“, erklären die beiden. Der Tag des Besuchs war mit dem Ende des Fastenmonats Ramadan wohlgeplant. Muslime feiern im Anschluss das so genannte Zuckerfest. „Das ist ein Fest der Versöhnung, an dem wir Kranke, Bedürftige und die Gräber der Verstorbenen besuchen“, erklärt Tasdelen, der selber gefastet hat. Dazu gehören natürlich auch Geschenke.

Und so tragen Spender und Helfer der Vereine Hüma und Ditib Fürth vor den leuchtenden Augen der Kinder eine Torte, paketweise Puzzles, Teddys, Spiele und für die Älteren Chai Tee sowie das Gebäck Baklava in die Kinderbetreuungsstelle. Mehr sollen in den nächsten Monaten folgen. „Für einen Bus voller Geschenke waren nur drei Anrufe tätig“, freut sich Tasdelen und lobt die Hilfsbereitschaft der Fürther Bürger. Sie hätten nicht vergessen, dass die Flüchtlinge nicht freiwillig in Deutschland sind, sondern wegen Krieg und Not aus ihrer Heimat geflohen sind.

Ein spezieller Gebetsraum stand den Muslimen während des Ramadans in der ZAE nicht zur Verfügung. „Den mussten wir wie die christliche Kapelle oder die Garagen mit Matratzen belegen“, erläutert der Zirndorfer Flüchtlingsbeauftragte Werner Staritz. Seit dem letzten Besuch der SPD-Landtagsfraktion im Dezember (die BSZ berichtete) habe sich die Situation sogar noch verschlechtert. „Wir sind nicht nur sehr voll, wir haben eine Überbelegung“, klagt er. Bis zu 900 Personen befinden sich derzeit auf dem Gelände, das für 650 Personen ausgelegt ist. Allein im Juli kamen 20 000 Flüchtlinge – bundesweiter Zuwachsrekord. „Ich weiß nicht, wie lange wir das noch stemmen können“, stöhnt Staritz, während ihn ein herumfliegender Schaumstoffball der Kinder am Kopf trifft. Insgesamt hat sich die Zahl der Asylbewerber in den vergangenen fünf Jahren versechsfacht.

Die meisten Familien müssen, ohne das Ergebnis des Asylantrags abwarten zu können, nach zwei bis drei Wochen weitergeleitet werden, „weil auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge überfordert ist“, so Staritz. Immerhin werden noch die Gesundheitsuntersuchungen durchgeführt, allerdings fehlen den Ärzten in die jeweilige Landessprache übersetzte Dokumente für die Einverständniserklärung. Der ZAE-Leiter appelliert daher eindringlich an die Politik, endlich für neue Notunterkünfte zu sorgen.

„Die Politik muss endlich in die Pötte kommen“, verlangt auch Tasdelen. Staatskanzleichefin Christine Haderthauer (CSU) habe angekündigt, noch vor der Sommerpause konkrete Orte für eine dritte ZAE zu benennen – bis jetzt sei aber nichts geschehen. „Außerdem ist Integrationsministerin Emilia Müller (CSU) nicht erst seit gestern im Kabinett und hätte wissen müssen, dass mehr Flüchtlinge nach Bayern kommen“, schimpft der SPD-Abgeordnete. Nachdem das neue Heimatministerium „in gefühlt zwei Wochen“ fertiggestellt worden sei, frage er sich, warum das nicht mit einer weiteren ZAE funktioniert. „Hier handelt es sich schließlich um die Ärmsten der Armen, und Menschen haben ein Grundrecht auf Asyl.“

Der SPD-Mann verweist darauf, dass es nach dem Zerfall Jugoslawiens 1995 acht ZAE in Bayern gab. Er sieht die Zurückhaltung der Staatsregierung trotz der ansteigenden Flüchtlingszahlen in „Angst vor Überfremdung“ begründet. Warum das vor knapp 20 Jahren anders war? „Obwohl die CSU-Fraktion sehr jung ist, war sie noch nie so konservativ wie jetzt“, sagt Tasdelen der BSZ. Diese Angst nehme er zwar ernst, Verständnis dafür habe er jedoch nicht.

Als nach dem Gespräch die Kinder die Präsente auspacken dürfen, fängt eines von ihnen an zu weinen. Ob vor Freude oder aus Kummer, lässt sich wie so oft nicht herausfinden, weil keiner der Verantwortlichen seine Muttersprache spricht. Bis zu sieben verschiedene Sprachen werden im Kindergarten gesprochen – Deutsch und Englisch sind nicht darunter. Daher ist es wohl angesichts der desolaten Zustände in der ZAE trauriger Zufall, dass auf dem ausgewaschenen T-Shirt von einem der Kinder in großen Lettern der Aufdruck prangt: „Take me out!“ – „Holt mich hier raus!“ (David Lohmann)

Kommentare (1)

  1. Sterntaler am 02.08.2014
    Ein sehr berührender Artikel, der sehr viele Leser finden sollte - vor allem aus der Politk. Auch ein sehr ausdrucksstarkes Foto.
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