Politik

Crystal erinnert an harmlose Salzkristalle. Die Droge aber ist hochgefährlich. (Foto: dapd)

20.01.2012

Drogenschwemme in Bayern

Die Modedroge Crystal aus Tschechien ist gefährlicher als Heroin – deren Bekämpfung ist aber sehr schwierig

Die Folgen sind fatal: absterbende Nervenzellen, Nierenschäden, Hautentzündungen und Zahnausfall – in kürzerster Zeit ruft die synthetische Modedroge Crystal bei den Konsumenten gravierende Schäden hervor. Hinzu kommen Depressionen, Paranoia und Gedächtnisstörungen. Konsumenten der Droge sind oft tagelang wach. Kraftlos und völlig abgemagert brechen viele zusammen. Manche von ihnen sterben.
Crystal, ein günstig herzustellendes Methamphetamin, sei gefährlicher als Heroin, sagen Experten. Sie sprechen sogar „von der gefährlichsten Droge der Welt“. Nicht nur, weil sie auf Psyche und Körper so zerstörerisch wirkt. „Crystal macht nach nur einmaligem Konsum abhängig“, erklärt Annegret Sievert, leitende Psychologin der Bezirksklinik Hochstadt. In dem oberfränkischen Therapiezentrum für Alkohol-, Medikamenten- und Drogenabhängige suchen immer mehr Crystal-Abhängige Hilfe. „Wenigstens die Hälfte unserer 60 Betten sind mittlerweile von ihnen belegt“, berichtet Sievert.


Crystal lässt sich so leicht kaufen wie Wurstsemmeln


Das ist kein Zufall: Denn gerade Ostbayern wird von Crystal regelrecht überschwemmt. Der Grund: Die Droge wird zu über 90 Prozent in Tschechien zusammengebraut. „Dort kann man sie so leicht kaufen wie Wurstsemmeln“, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Marianne Schieder, die den Wahlkreis Schwandorf-Cham betreut und sich dem Kampf gegen die teuflischen Kristalle verschrieben hat.
Allein im ersten Halbjahr 2011 stellte der bayerische Zoll laut Zollfahndungsamt zwischen Eger und Cham rund drei Kilogramm Crystal sicher – ein Anstieg von 350 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Mehr als 400 Strafverfahren wurden 2011 wegen Crystalhandels und -missbrauchs eingeleitet. Lediglich 109 waren es im Jahr 2010, im Jahr 2009 sogar nur 21.
Doch nicht nur im bayerisch-tschechischen Grenzgebiet wird die Modedroge zu einem immer größeren Problem, auch Großstädte wie München und Nürnberg hat Crystal längst erreicht. Wie ein „Krebsgeschwür“ sei die Droge, eines, das sich immer tiefer ins Land „frisst“, klagen Ermittler.
 Der Stoff ist günstig, gerade einmal 30 Euro kostet das Gramm in Tschechien. „Koks für Arme“ wird Crystal deshalb auch gerne genannt. Dabei ist es hundert Mal härter als Kokain. Aber nicht nur viele Konsumenten unterschätzen die Droge. Auch die deutsche Politik nehme die Problematik noch nicht ernst genug, kritisiert die Bundestagsabgeordnete Schieder. Sie fordert den Gesetzgeber auf, stärker gegen die Crystal-Flut vorzugehen.
Das Problem dabei: Die Tschechische Republik fährt einen sehr liberalen Kurs in der Drogenpolitik. Hinzu kommt, dass auf den sogenannten Vietnamesen-Märkten, Hauptumschlagsplatz für Crystal, kaum Tschechen, sondern fast ausschließlich Deutsche die Droge kaufen. Schieder befürchtet deshalb, dass dort nicht genug Energie in die Strafverfolgung investiert werde. Außerdem wurde dem tschechischen Polizeiapparat gerade ein drastischer Sparkurs verordnet – „auf der tschechischen Seite des Grenzgebietes ist die Polizei bereits massiv abgebaut worden“, klagt Schieder.
Im Oktober hat Schieder eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, wie man „die exorbitanten Steigerungen der Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz“ einzudämmen gedenke. Die Antwort des Innenministeriums fiel für sie enttäuschend aus: Man habe für den Wirkstoff Ephedrin – ein Grundstoff für die Herstellung von Crystal – eine Verschreibungspflicht eingeführt, heißt es darin. Außerdem setze man auf eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Ländern.
Schieder selbst lobt die Arbeit der Ermittler des Bundes, Bayerns und Tschechiens, die sich im gemeinsamen Zentrum der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit Schwandorf (GZ) im Kampf gegen die grenzüberschreitende Kriminalität gegenseitig unterstützen. Allerdings fürchtet sie, dass der Sparkurs auch das GZ treffen könnte und fordert: „Nicht der Abbau von Stellen, sondern ein Mehr an Polizei- und Zollpräsenz und -zusammenarbeit an der deutsch-tschechischen Grenze muss hier die Antwort sein.“ Mitte 2012 wollen die tschechischen Behörden über mögliche Stellenkürzungen im GZ entscheiden.
Unterstützung bekommt die Bundestagsabgeordnete Schieder aus dem bayerischen Landtag. Franz Schindler (SPD), Abgeordneter aus Schwandorf, wollte in einer Anfrage wissen, welche Maßnahmen die Staatsregierung für erforderlich hält, um die Drogenschwemme im Grenzgebiet wirksam bekämpfen zu können. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sieht die Problematik durchaus. Er verweist darauf, dass gemeinsame Kontrollaktionen von bayerischer und tschechischer Polizei deshalb verstärkt wurden. Und diese hätten „sich nach den bisherigen Erfahrungen gut bewährt“.
Und tatsächlich: Zwischen Mitte Oktober und Mitte Dezember lief die grenzübergreifende Kontrollaktion Operation Speedway. Deutsche und tschechische Beamte kontrollierten insgesamt 3300 Personen und zogen 1,6 Kilogramm Crystal aus dem Verkehr. „Klares Ziel der Operation war es, den Verfolgungsdruck auf die Täter beiderseits der Grenze zu erhöhen und damit den Schmuggel von Crystal einzudämmen“, sagt der Oberfranke Hartmut Koschyk (CSU), Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. „Das ist gelungen.“
Schieder bezweifelt das: „Früher sind die Schmuggler mit dem Auto über die Grenze gefahren.“ Doch auch sie hätten dazugelernt. Heute kämen sie deshalb oft zu Fuß über die Grüne Grenze. Auch der CSU-Mann Karl Holmeier, Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Schwandorf-Cham sagt, dass noch einiges passieren müsse. „Vor allem müssen die Maßnahmen langfristig angelegt sein und das Engagement darf nicht nachlassen.“ Er betont aber nachdrücklich: „Wir sind auf einem guten Weg.“
Neben den repressiven Maßnahmen dürfe aber auch der Bereich der Aufklärung und Präventionsarbeit nicht vernachlässigt werden, darin ist man sich einig. Holmeier: „Hier kann noch mehr geschehen.“ (Angelika Kahl)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.