Politik

Am Hauptbahnhof in Passau spricht eine Helferin mit syrischen Flüchtlingen. Viele Bürger aber haben mittlerweile Angst angsichts der hohen Flüchtlingszahlen, so eine Umfrage, die die CSU jetzt präsentiert hat. (Foto: Armin Weigel/dpa)

22.09.2015

Düstere Prophezeiungen

Angsichts der hohen Flüchtlingszahlen sieht die CSU Bayern überfordert. Ist sie ängstlicher als angebracht? Ein Blick in die Geschichte

Der CSU-Minister sieht die heimische Bevölkerung überfordert. Er warnt vor "großem Belastungs-und Konfliktpotenzial". Der Anteil der ausländischen Bevölkerung in Bayern werde auf 11 bis 16 Prozent zulegen, die Einwohnerzahl Münchens um 38 Prozent. Für die notwendigen 600 000 neuen Wohnungen müsste das Areal der Landeshauptstadt um ein Viertel vergrößert werden, argumentiert der Politiker.

Was klingt wie eine aktuelle Rede, sagte der damalige bayerische Umweltminister Peter Gauweiler vor über zwei Jahrzehnten im Februar 1993 auf dem Höhepunkt der damaligen Asyldebatte.
 
Das Bemerkenswerte: Nichts von den düsteren Prophezeiungen ist eingetreten. Die großen sozialen Konflikte sind ausgeblieben. Die heutige Lage: Bayern gehe es so gut wie nie zuvor in seiner 1500-jährigen Geschichte, stellt Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) gern und häufig fest.

Staatskanzleischef Huber spricht von "Urängsten" bei vielen Bürgern

Dennoch sehen Seehofer und viele andere Christsoziale Bayern durch die Rekordzahl der Flüchtlinge erneut überfordert. In der Tat ist die Lage heute dramatischer als in den 90er Jahren. Von Anfang Januar bis Mitte September sind bereits 496 000 Asylbewerber nach Deutschland gekommen, davon 150 000 nach Bayern.  
Täglich strömen tausende über die Grenze, und ein Ende ist nicht abzusehen. Bei vielen Bürgern löse das "Urängste" aus, wie Staatskanzleichef Marcel Huber formuliert. "Vieles ist gar nicht so sehr rational begründet." 

Die meisten Flüchtlinge sind Muslime, und Teile der Bürgerschaft fürchten Überfremdung und Islamisierung. Die CSU-Landtagsfraktion stellt bei ihrer Klausur in Kloster Banz eine Umfrage vor, derzufolge 51 Prozent der Befragten den Zustrom mit großer oder sehr große Sorge sehen. 48 Prozent sind unbesorgt.

CSU-Umfrage: 51 Prozent der Bürger  machen sich große Sorgen

Die allererste Auswirkung der Flucht aus dem Mittleren Osten ist zunächst einmal eine Behördenkrise, die quasi als Turbobeschleuniger für die Alarmstimmung in der CSU wirkt: Bezirksregierungen, Polizei, Sozialämter, Jugendhilfe, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) - sie alle sind überlastet. 

Doch die Probleme sind zum Teil hausgemacht: Die Asylbewerberzahlen steigen bereits seit 2007 kontinuierlich. Weder stockte der Bund das Personal des Bundesamts auf, noch richtete die Staatsregierung neue Erstaufnahmeunterkünfte ein. 

Ein Stau von über 270 000 Asylanträgen führt dazu, dass chancenlose Asylbewerber aus Südosteuropa monate- oder sogar jahrelang im Land bleiben können. Das wiederum trägt zur Notlage bei der Unterbringung der Neuankömmlinge bei.

Nur ein vergleichsweise kleiner Teil  der Flüchtlinge wird in Bayern tatsächlich ansässig werden

Trotz der Rekordzahl von Flüchtlingen in Deutschland wird nur ein vergleichsweise kleiner Teil in Bayern ansässig werden. Sollten in diesem Jahr tatsächlich zwischen 800 000 und einer Million Asylbewerber Deutschland erreichen, müsste Bayern 120 000 bis 150 000 Menschen aufnehmen.  Voraussichtlich wird etwa die Hälfte Bayern wieder verlassen müssen, weil sie nicht als Asylbewerber anerkannt werden. Das bedeutet, dass zwischen 60 000 und 75 000 der diesjährigen Flüchtlinge dauerhaft im Freistaat bleiben könnten. CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer glaubt, dass jeder anerkannte Flüchtling drei Familienangehörige nachholen könnte - doch das ist naturgemäß ungewiss. "Mir geht es darum, dass wir die Leute integrieren können", sagt Kreuzer in Kloster Banz - das Hauptargument, warum er die Flüchtlingszahl begrenzen will.

Von der Volkszählung 1987 bis Ende 2013 wuchs die Bevölkerung Bayerns um 1,7 Millionen Menschen, ausschließlich aufgrund von Zuwanderung aus dem In- und Ausland. Ministerpräsident Seehofer nennt diese Zahlen häufig als Beweis bayerischer Leistungsstärke.

Dass in Bayern dennoch Fachkräfte fehlen, ist unbestritten, obwohl neben den Flüchtlingen auch eine Rekordzahl ausländischer Arbeitskräfte kommt. Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft prognostizierte im Mai für das Jahr 2020 bereits 230 000 fehlende Arbeitskräfte in Bayern. 

"Die aktuelle Flüchtlingssituation ist tatsächlich dramatisch angespannt", meint SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher. "Aber perspektivisch könnte aus der vermeintlichen Überforderung sogar sehr schnell eine Entlastung werden."

Auch Gauweiler unterschätzte 1993 die Inegrationsbereitschaft

Richtig ist, dass die meisten Flüchtlinge bei ihrer Ankunft nicht vermittelbar sind. Die meisten sprechen kein Deutsch. Doch ist gerade unter den syrischen Flüchtlingen das Bildungsniveau vergleichsweise hoch. Viel schwieriger dürfte etwa die Integration afghanischer Asylbewerber werden, manche können nicht einmal lesen und schreiben.

Ein Schluss jedenfalls liegt nahe: Als Umweltminister Gauweiler Bayern im Jahr 1993 überfordert sah, unterschätzte er die Integrationsfähigkeit und -bereitschaft der Bevölkerung. In München beträgt der Anteil der Einwohner mit sogenanntem Migrationshintergrund inzwischen über ein Drittel. München hat heute gleichzeitig den höchsten Ausländeranteil und die niedrigste Kriminalitätsrate aller deutschen Großstädte. (Carsten Hoefer und Christoph Trost, dpa)

Kommentare (3)

  1. Petra am 23.09.2015
    Ein klitzekleines Problem wäre da noch anzusprechen, z.B. in den Landkreisen Dachau, Freising und Erding, wurden in den letzten 10 Jahren wenig bis gar keine Sozialwohnungen gebaut, obwohl man wußte, dass mit dem Bau des Flughafen München eine Steigerung der Mieten zu erwarten ist.
    Jetzt, wo kein günstiger Mietraum bzw. gar keine Wohnungen mehr vorhanden sind und
    der Bedarf nach oben ohne Grenze gestiegen ist (u.a. wegen der Unterbringung von
    Asylbewerbern) will man wieder bauen.
    Deshalb meine Frage:
    Ist der Oberbayer ein Mensch zweiter Klasse?
  2. Andi am 23.09.2015
    """"Die allererste Auswirkung der Flucht aus dem Mittleren Osten ist zunächst einmal eine Behördenkrise, die quasi als Turbobeschleuniger für die Alarmstimmung in der CSU wirkt: Bezirksregierungen, Polizei, Sozialämter, Jugendhilfe, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) - sie alle sind überlastet.""""

    So merkt man jetzt erst das Ergebnis der bayerischen "schlanken Verwaltung"!

    Das wurde von der CSU so gewollt, vielen Dank Herr Dr. Stoiber!
  3. Bürger am 23.09.2015
    Das Problem in Bayern ist nicht das Verständnis über die Notlage,
    sondern mit Verlaub gesagt die Masse!
    Am Stammtisch ist man grundsätzlich nicht gegen eine geordnete Zuwanderung,
    sondern hat berechtigterweise Angst vor der Flüchtlingswelle
    überrollt zu werden.
    Weitere Probleme sind die Desinformationspolitik des Bundes, der Länder oder
    der Gemeinden, hier wird der Bürger vor vollendete Tatsachen gestellt!
    Da wird es wohl in mancher Gemeinde nach den nächsten Wahlen etwas anders
    aussehen, da selbst das eingefleischte Parteimitglied nur noch kopfschütteln
    kann.
    Der einfache Bürger fordert daher eine klare Regelung im Gesetz, wenn es in den
    USA klappt, warum sollte es in Deutschland nicht funktionieren.

    Nur so:

    """"Merkel ist sehr gut zu den Syrern", sagt die 40-jährige Syrerin Hala Trabishi. Sie ist mit ihren Kindern auf dem Weg nach Deutschland und fühlt sich von der Aussage der Bundeskanzlerin, das Recht auf Asyl kenne zahlenmäßig keine Obergrenze, bestärkt. Wenn sie Asyl beantragt hat, will sie ihren Mann nachholen.""""" (Focus)

    kann es auch nicht sein!
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