Politik

"Natürlich wäre es gut, wenn wir zehn bundesweit bekannte Köpfe hätten", sagt Aiwanger, "aber CSU und SPD haben das auch nicht!" (Foto: dpa)

31.08.2012

"Ein Autokrat? Ich doch nicht!"

Sommerinterview (V und Schluss): FW-Fraktionschef Hubert Aiwanger über Populismus, persönliche Schwächen und den Wahlkampfhelfer Hans-Olaf Henkel

Eigentlich zählt Hubert Aiwanger zu den schlagfertigsten Politikern im Landtag. Und dann das: Aiwanger eiert rum. Die Frage, ob er Elternzeit nimmt, bringt den Niederbayern irgendwie in Verlegenheit. Also – nein, hat er nicht vor. Argumente dagegen? Äh, keine. Dafür haut der 41-Jährige umso mehr auf den Putz bei Themen, die ihm politisch auf den Nägeln brennen: Euro-Rettungsschirm, blöde Neonazis, die seine Demos stören, CSU-Heuchelei.
BSZ: Herr Aiwanger, was macht Ihre Fußballverletzung? Ist Ihre gerissene Achillessehne wieder heil?
Hubert Aiwanger: Danke, dem Fuß geht’s gut. Ich brauche keine Krücken mehr und muss auch nicht mehr mit diesem lästigen Spezialschuh rumlaufen.
BSZ: Das heißt, Sie konnten bei den umstrittenen Montags-Demos gegen den Euro-Rettungsschirm mitlaufen? Aiwanger: Da bin ich nie mitgegangen, ich war aber zweimal dabei, unter anderem bei der Auftaktveranstaltung.
BSZ: Um die inzwischen gestoppten Demos gab’s wegen der Unterstützung durch Rechtsextreme viel Ärger. Bereuen Sie die Aktion?
Aiwanger: Nein. Der eigentliche Skandal ist doch der: dass Neonazis versuchen, uns Freie Wähler aus dem öffentlichen Raum zu verscheuchen, indem sie trotz unserer Aufforderung unsere Veranstaltung nicht verlassen und wir dann mit diesen Bildern in der Presse konfrontiert werden. Und die Polizei schaut zu. Was wäre denn, wenn Elternvereinigungen gegen die schlechte Bildungspolitik protestieren, und Neonazis machen bei deren Demo mit? Das schmälert nicht die berechtigten Forderungen der Eltern, oder? Ich hätte mir einfach gewünscht, dass die Polizei solche Störungen unterbindet, deshalb plädiere ich auch für eine Änderung des Versammlungsgesetzes. Ich will, dass unerwünschte Teilnehmer eine genehmigte Demonstration verlassen müssen. Dass die Landtagsparteien dagegen sind und sagen, wir sind wegen des Euro-Themas selbst schuld, bedaure ich.

"Wir sind nicht populistisch!"


BSZ: Sie haben neulich den Protest gegen den Euro-Rettungschirm als Alleinstellungsmerkmal der FW bezeichnet. Da ist Ihnen entgangen, dass auch die Linke und selbst CSU-Leute wie Peter Gauweiler dagegen sind.
Aiwanger: Wir sind die einzige Partei der bürgerlichen Mitte, die gegen den ESM ist. Insofern ist das natürlich ein Alleinstellungsmerkmal. Umfragen haben ergeben, dass 80 bis 90 Prozent der Bürger gegen den ESM sind. Unser Signal an diese Leute ist: Man muss keine extremistische Partei wählen, wenn man gegen den ESM ist.
BSZ: Das ist Populismus pur, oder? Weil 80 Prozent der Bürger den ESM ablehnen, stellen sich die FW an die Spitze der Bewegung. Ihr Alleinstellungsmerkmal war mal das Engagement für kommunale Belange.
Aiwanger: Es ist doch kein Populismus, wenn man das vertritt, was 80 Prozent der Menschen wollen! Es gibt durchaus eine Verbindung zwischen ESM, Fiskalpakt und Kommualpolitik. Der Fiskalpakt sieht für Bund, Länder und Kommunen ein Gesamtbudget an Schulden vor – wenn der Bund das wegen des ESM ausschöpft, bleibt für die Kommunen nichts übrig. Davor hat selbst Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly von der SPD neulich gewarnt. Auch die Länder wären in dem Fall betroffen. Trotzdem wird das Thema in den Landtagen nicht diskutiert. Dass die FW das beklagen, ist nicht populistisch, sondern vernünftig.
BSZ: Was sind Ihre Themen für den Wahlkampf?
Aiwanger: Starke Kommunen, die Bildungspolitik – da setzen wir auf mehr Lehrer und mehr Regionalität, also darauf, dass Städte und Landkreise bei der Bildungspolitik mehr Befugnisse haben sollen. Außerdem werden wir den Akzent auf die Belange von Mittelstand, Handwerk und Landwirtschaft legen. Und die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Bayern einfordern. Natürlich wird auch unser Protest gegen den Euro-Rettungsschirm eine Rolle spielen – die Leute fragen uns einfach danach, wenn sie zu Veranstaltungen kommen. Der ESM wird auf jeden Fall die Hauptrolle im Bundestagswahlkampf spielen.
BSZ: Warum sind Sie so scharf drauf, Ihre FW in den Bundestag zu bringen? Selbst in Ihrer eigenen Partei gibt es große Vorbehalte.
Aiwanger: Die Themen der kleinen Leute und der Kommunen finden bei Schwarz, Gelb, Rot und Grün wenig Gehör. BSZ: Mit welchem Personaltableau wollen Sie bei der Landtags- und Bundestagswahl punkten? Der einzige bekannte Kopf in Ihrer Truppe sind – jetzt, da Gabriele Pauli weg ist – Sie. Reicht das?
Aiwanger: Natürlich wäre es gut, wenn wir zehn bundesweit bekannte Köpfe hätten. Aber das haben die anderen auch nicht. Oder wer soll das sein in der bayerischen SPD oder auch in der CSU? Und ich erinnere daran, dass die Piraten auch gewählt wurden, praktisch ohne bekannte Namen. Die FW sind inzwischen eine Marke, die Leute wissen, wir haben gute Leute, die vor Ort gute Arbeit leisten.

"Ob Hans-Olaf Henkel bei uns kandidiert, ist offen"


BSZ: Wie wird die Unterstützung durch Hans-Olaf Henkel aussehen?
Aiwanger: Er hat viel Erfahrung. Er hat Wirtschaftskreise auf uns aufmerksam gemacht, die uns vorher noch nicht auf dem Schirm hatten und hat uns Kreise erschlossen, an die wir sonst nicht rangekommen wären. Viele Unternehmer sind von der FDP enttäuscht, auch wegen deren Unterstützung des Euro-Rettungsschirms. Zum Beispiel die Familienunternehmer – für die sind wir attraktiv. Hans-Olaf Henkel hat gesagt, er würde nur kandidieren, wenn Not am Mann ist. Mal sehen.
BSZ: Sie sind als FW-Chef nicht unumstritten. Ihnen wird autokratisches Gehabe vorgeworfen.
Aiwanger: Ich wäre der erste Parteivorsitzende, der frei von Fehlern ist. Aber die Kritik aus den eigenen Reihen fällt doch erstaunlich gering aus, wenn man bedenkt, was ich alles durchziehen musste: Europawahl, Kandidatur für die Bundestagswahl und so weiter. Diejenigen, die sagen, ich sei zu dominant, sind zu 99 Prozent Leute von außen. Meine eigenen Leute sehen das ganz anders: Die fordern sogar, ich müsste mehr auf den Tisch hauen. Autokrat? Ich nicht!
BSZ: Noch immer haben Sie sich nicht festgelegt, mit wem Sie nach der Landtagswahl koalieren würden. Nehmen wir mal Rot-Grün: Wo lägen da die größten Probleme?
Aiwanger: Bei Themen wie der Inneren Sicherheit – da wollte Rot-Grün in Bayern zum Beispiel Namensschilder für Polizisten durchsetzen, die diese bei Demonstrationen tragen sollen. Oder bei der Landwirtschaftspolitik: Hier setzt Rot-Grün auf überzogene Bürokratie beim Tierschutz und beim Umweltschutz – schlecht für die Bauern.
BSZ: Und wo sehen Sie die größten Differenzen mit der CSU?
Aiwanger: Dass wir viele Themen ernst nehmen, für die die CSU nur Lippenbekenntnisse übrig hat. Oft tun die das Gegenteil von dem, was sie ankündigen. Zum Beispiel sagen sie den Bauern, dass man sie bei der Energiewende braucht, und dann würgen sie den Landwirten hintenrum eins rein, indem sie zum Beispiel die Einspeisevergütung für Gülle kürzen oder die Biospritbesteuerung erhöhen.Oder das Thema 3. Startbahn: Wir sind dagegen, die CSU dafür.
BSZ: Sie werden im September Vater. Sind Sie schon aufgeregt?
Aiwanger: Nein. Ich freue mich auf das Baby und auf die Geburt, bei der ich dabei sein will. Und wir kaufen auch schon fleißig Babysachen ein.
BSZ: Werden Sie heiraten?
Aiwanger: Erst kümmern wir uns ums Kind, dann sehen wir weiter.
BSZ: Vollenden Sie zum Schluss bitte noch folgende drei Sätze: Wenn ich wieder mal einen Witz twittern möchte, dann ...
Aiwanger: wäre es mein erster. Denn die Witze, die mal über meinen Account liefen, kamen durch Bedienungsfehler seitens meiner Mitarbeiter rein.
BSZ: Dass die Leute immer wieder auf meinem niederbayerischen Idiom herumreiten, finde ich ...
Aiwanger: albern.
BSZ: Die wichtigste Eigenschaft für einen Spitzenpolitiker heute ist ...
Aiwanger: in Zusammenhängen denken zu können.
(Interview: Waltraud Taschner)

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