Politik

Wer Recht spricht, muss sich auf dem Boden der Verfassung bewegen. Fast alle Richter tun das. (Foto: getty)

30.09.2016

Ein dummer Zufall und seine Folgen

Bayern will künftig alle Richter vom Verfassungsschutz durchleuchten lassen – weil ein schwarzes Schaf übersehen wurde

Er war nur durch einen dummen Zufall aufgeflogen: Ein Jahr lang hatte der Neonazi Maik B. als Richter im oberfränkischen Lichtenfels gearbeitet – obwohl der bayerische Staatsschutz den Rechtsextremisten kannte. Dass B. im Richterdienst war, wussten die Verfassungsschützer allerdings nicht. Bis B. sie 2014 selbst darauf stieß. Als Zeuge anlässlich eines Diebstahls vernommen, gab er seinen Beruf bei der Polizei freimütig an.

Peinlich! So peinlich, dass die bayerische Staatsregierung nun reagiert. Sie will künftig alle Richter vor der Einstellung vom Verfassungsschutz überprüfen lassen. „Wir müssen schon vor der Einstellung sicherstellen, dass unsere künftigen Richterinnen und Richter mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen“, betont Justizminister Winfried Bausback. Ermitteln soll der Verfassungsschutz nicht, sondern lediglich Erkenntnisse mitteilen, heißt es aus dem Innenministerium. Diese sogenannte Regelanfrage erfolgt zwar nur mit Zustimmung des Betroffenen. Doch mit „Freiwilligkeit“ ist es nicht weit her. Denn „wer nicht zustimmt, dessen Bewerbung wird dann schlicht nicht mehr berücksichtigt werden können“, erklärt Petra Guttenberger (CSU), Vize-Vorsitzende des Verfassungsausschusses im Landtag.

Böse Erinnerungen an den Radikalenerlass

SPD, Grüne und auch der Landesbeauftragte für den Datenschutz, Thomas Petri, sind alarmiert. Sie erinnert das Ansinnen der Staatsregierung an den Radikalenerlass, in dessen Zuge 1,4 Millionen Menschen systematisch vom Verfassungsschutz durchleuchtet wurden. Bayern hatte 1991 als letztes Bundesland diese Regelanfrage für Bewerber im öffentlichen Dienst abgeschafft. Als einziges Land führt der Freistaat sie nun für Richter wieder ein. Einen „unnötigen und erheblichen Grundrechtseingriff“ nennt das Petri. „Grundsätzlich hat der Staat von der Verfassungstreue seiner Bürger auszugehen“, sagt Franz Schindler (SPD), Vorsitzender des Verfassungsausschusses. Er befürchtet ein neues System der Gesinnungsschnüffelei. Die Rechtspolitikerin Ulrike Gote (Grüne) hält das aktuelle Verfahren der Prüfung der Verfassungstreue für ausreichend. Der Freie Wähler Florian Streibl hält dagegen: Gerade in der Justiz als unabhängigem Organ habe die Exekutive Probleme, wolle sie jemanden aus dem Staatsdienst entfernen.

Tatsächlich war 2014 die Erleichterung groß, als der Neonazi-Richter von sich aus kündigte. In Bayern müssen alle Anwärter für den öffentlichen Dienst einen Fragebogen ausfüllen und angeben, ob sie einer verfassungsfeindlichen Organisation angehören, angehört haben oder eine unterstützen. Dazu hat das Innenministerium ein „Verzeichnis extremistischer oder extremistisch beeinflusster Organisationen“ erstellt. Je nach Antwort erfolgt im Einzelfall eine Anfrage beim Verfassungsschutz. Einen Fragebogen mit Liste haben sonst nur Thüringen und Baden-Württemberg (ausschließlich für Polizeibewerber). Fast allen anderen Ländern reicht eine unterschriebene Verpflichtung zur Verfassungstreue. Eine Regelung, die SPD-Mann Schindler goutiert.

Übrigens: Seit diesem Jahr findet sich die Linke als Gesamtpartei nicht mehr auf der Liste der Verfassungsfeinde. Groß herumgesprochen hat sich die Änderung aber noch nicht – selbst bei der Linkspartei ist man erstaunt. Die Nachricht lässt Ates Gürpinar, Sprecher der bayerischen Linken, aber nicht in Jubel ausbrechen. Denn neben einigen anderen Zusammenschlüssen der Partei steht jetzt die Linksjugend auf der Liste. „Dort ist aber doch jedes Parteimitglied unter 35 Jahren automatisch organisiert“, erklärt Gürpinar. Allerdings: Einen Fall, in dem einem Linke-Mitglied der Eintritt in den Staatsdienst verweigert wurde, kennt er nicht.

Tatsächlich werden nur in ganz seltenen Fällen Bewerber für den öffentlichen Dienst aufgrund von Zweifeln an ihrer Verfassungstreue abgelehnt. Von 2011 bis 2015 gab es gerade einmal fünf Fälle, heißt es aus dem Innenministerium auf BSZ-Anfrage. Im selben Zeitraum gab es auch nur eine Entlassung aus dem Staatsdienst. (Angelika Kahl)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.