Politik

Offen zeigen, dass man schwul ist: Kaum ein Schüler traut sich das. (Foto: dpa)

24.11.2017

"Ein ganz schwieriges Pflaster für Schwule"

Studie: Schule ist leider noch allzu oft ein homophober Ort – wie kann man das ändern?

Nervöses Gekicher und dann ein langes Schweigen: Als Maximilian Dünkel vor vier Jahren seine erste Stunde an einer Münchner Mittelschule hielt, hat ein Schüler gleich gefragt: „Sind Sie schwul?“ Dünkels knappe Antwort damals: „Ja.“ Das hatten die Schüler nicht erwartet. „Vielleicht war’s nur eine Provokation, mit der man mich testen wollte“, sagt Dünkel, Fachlehrer für Kunst, Wirtschaft und Technik, heute. „Klar war aber: Lügen werde ich nicht.“

So offen mit der eigenen sexuellen Identität umgehen können allerdings die wenigsten Lehrer. Eine Online-Umfrage im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes unter homo- und bisexuellen Lehrkräften sowie Trans*- und Inter*-Personen zeigt: Weniger als die Hälfte traut sich, in der Schule zur eigenen sexuellen Orientierung zu stehen. Die Hauptgründe: Angst vor Respektverlust, Ausgrenzung oder Unsicherheit.

In der Studie heißt es aber auch: 96 Prozent der Geouteten würden es wieder machen. Auch der 27-jährige Dünkel betont: „Das war eine super Entscheidung.“ Er habe viel positives Feedback bekommen. „Klar, da sagten schon mal Mädels: Stehen Sie wirklich auf Männer, das ist doch voll ekelig“, erzählt er. Als er aber konterte: „Warum, ihr steht doch auch auf Männer?“, fiel ihnen nichts mehr ein. Und nach und nach kamen immer mehr Schülerinnen und Schüler mit Fragen: „Wollen Sie mal heiraten?“ Oder: „Was ist mit eigenen Kindern?“ Dünkel begegnet solchen Fragen offen. Und siehe da: Heuer wurde er sogar zum Vertrauenslehrer gewählt.

"Man braucht die richtigen Kollegen und den richtigen Chef"

Aber auch Dünkel kennt schwule Lehrer, die ihre sexuelle Orientierung lieber für sich behalten – und hat dafür Verständnis. Schließlich sei das eine persönliche Entscheidung. „Und man braucht die richtigen Kollegen und den richtigen Chef“, betont er. Zu oft stimme das Schulklima nicht.

„Schule ist insgesamt ein schwieriger Raum für Homosexuelle“, bestätigt Michael Niggel. „Nicht nur für Lehrer, sondern vor allem auch für Schüler.“ Seit 20 Jahren spricht der Sozialpädagoge von Pro Familia München mit Schülern über Sexualität und Familie und berät auch Lehrer. „Laut Statistik können ein bis zwei Jugendliche in einer Klasse homosexuell sein“, erklärt Niggel. „Die wenigsten aber trauen sich, das offen zu zeigen.“

Eine Lehrkraft an der Schule, die zur eigenen Homosexualität steht, könne hilfreich sein, so Niggel. „Weil die Schüler merken: Hey, es gibt auch noch andere Typen, nicht nur die Paradiesvögel, wie es viele Medien gerne darstellen", bestätigt Dünkel. Auch mancher Lehrerkollege profitiere, zum Beispiel wenn er das Thema sexuelle Orientierung im Unterricht behandeln muss. Seit einem Jahr nämlich sind Themen wie Homo- oder Transsexualität endlich auch im bayerischen Lehrplan verankert. Das schreiben die neuen Richtlinien für Familien- und Sexualerziehung in der Schule vor. In Schulbüchern erhält das Thema damit ebenfalls Einzug: Sie zeigen jetzt auch mal eine Familie mit zwei Vätern.

Nicht jeder Lehrkraft fällt es leicht, mit Schülern über Sexualität sprechen

Doch nicht jeder Lehrkraft fällt es leicht, mit Schülern über Sexualität sprechen. Sie sind dann froh, wenn externe Berater wie Niggel von Pro Familia diese Aufgabe übernehmen. Die Eltern werden zuvor informiert. Widerstand gebe es selten, sagt Niggel. „Oft reicht es aus, zu erklären, dass es dabei nicht um die beste Stellung geht.“

Wie der Unterricht abläuft, kommt auf die Fragen der Schüler an. „Alles, was mit dem Anbandeln zu tun hat – also mit Kommunikation, die sexualisiert vor allem in sozialen Netzwerken stattfindet, finden sie besonders interessant“, erklärt Niggel. Aber auch das Thema Homosexualität beschäftige sie stark. Auffällig dabei: „Die ganz Jungen haben noch keine Schere im Kopf und gehen sehr tolerant damit um“, so Niggel. Schwieriger werde es, wenn die Kinder älter und auf der Suche nach ihrer eigenen Identität sind. „Man will dann vor allem vor Geschlechtsgenossen gut dastehen, und dazu fallen dann auch mal Schimpfwörter wie Schwuchtel“, sagt Niggel.

Nichts tun ist dann die schlechteste Reaktion, da sind sich die Experten einig. „Erkläre mir mal, was eine Schwuchtel ist“, hat Simone Fleischmann, Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, dann schon mal gefordert, als sie noch Rektorin an einer Mittelschule war. Fleischmann: „Das wirkt.“

"Verständnis wecken für Menschen, die vermeintlich anders sind"

Mit einer Veranstaltung im Rahmen des Bio- oder Ethikunterrichts sei es aber längst nicht getan, betonen Fleischmann und Niggel. Es gelte, diese Themen im gesamten Unterricht mitlaufen zu lassen. „Wir müssen das Verständnis für Menschen, die vermeintlich anders sind, wecken“, sagt Niggel. Ob aufgrund ihrer Religion, Behinderung oder Homosexualität. Dabei könnten Fragen helfen, zum Beispiel: „Wie mag es dem ergehen“ oder „Was nimmt er mir weg, nur weil er anders ist?“, so Niggel.

Voraussetzung, dass sich etwas ändert: ein Klima der Offenheit und Akzeptanz an den Schulen. Stefan Zippel, Leiter der psychosozialen Beratungsstelle an der Uni München, organisiert Lehrerfortbildungen zum Thema. Denn zu wissen, wie wichtig es ist, das Klima für homosexuelle Menschen an den Schulen zu verbessern, reiche nicht, so Zippel. „Wir müssen es auch umsetzen können.“
(Angelika Kahl)

Kommentare (1)

  1. Tom am 24.11.2017
    Es kommt auch auf das Fach des Lehrers an. Bei einem Mathe- oder Physiklehrer ist es wurscht, bei einem Biologielehrer (Stichwort: sexueller Aufklärungsunterricht) wird es schon schwieriger und ein Sportlehrer, dürfte es echt kompliziert haben. Und auch die Schulart spielt eine Rolle. Klar, vor lauter deutschstämmigen Gymnasiasten aus Grünwald mit Ärzten und Anwälten als Eltern ist es eher easy. Aber die jungen Türken an der Mittelschule Neuperlach - gute Nacht, sage ich da ...
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