Politik

13.01.2012

"Ein Rücktritt würde uns nicht nützen"

Die CSU kegelte einst Max Streibl wegen dessen kostenloser Reisen zu reichen Freunden aus dem Amt - will aber Wulff halten

Nein, der amtierende Bundespräsident ist keine moralische Instanz mehr. Wie auch, nachdem klar ist, dass Christian Wulff die Messlatte für andere ziemlich hoch, für sich selbst aber eher niedrig legt. Wovon seine früheren Attacken gegen die SPD-Politiker Johannes Rau (Ex-Bundespräsident) und Gerhard Glogowski (Ex-Ministerpräsident von Niedersachsen) zeugen – und andererseits sein entspannter Umgang mit Gratis-Reisen zu reichen Unternehmern, Sonderkonditionen für Immobiliendarlehen oder Pressefreiheit. Noch immer wartet die Nation im Übrigen auf die von Wulff im Fernsehen selbst versprochene Beantwortung eines umfangreichen Fragenkatalogs zu den beanstandeten Vorgängen.
Weil in der Causa Wulff aber Glaubwürdigkeit und Moral offenbar keine Rolle spielen, Machtpolitik und taktisches Kalkül hingegen umso mehr, wird sich der angeschlagene Präsident vermutlich im Amt halten.
„Cui bono?“, entgegnet, müde lächelnd, ein hochrangiger CSU-Politiker auf die Frage nach einem Wulff-Rückzug, und gibt die Antwort gleich selbst: „Ein Rücktritt nützt uns nichts.“ Weshalb in seiner Partei zwar viele einen Abtritt des beschädigten Staatsoberhauptes befürworteten, – „aber keiner von uns wird gegen ihn die Hand heben“.


Selbst der ehrpusselige Hubert Aiwanger beschwichtigt


Dabei wäre beim Thema Gratisreisen zu Unternehmern und deren Folgen vor allem die CSU gefragt. Denn immerhin waren es die Christsozialen, die den damaligen Ministerpräsidenten Max Streibl im Jahr 1993 aus dem Amt drängten – nachdem dessen noch in seine Zeit als Finanzminister fallenden Urlaube bei dem Unternehmer Burkhart Grob in Brasilien bekannt geworden waren.
Doch während CSU-Chef Horst Seehofer anfangs schwieg, ging er nun dazu über, den im Feuer stehenden Wulff explizit zu stützen („Alles ist gesagt, Wulff bleibt Bundespräsident“). Was nicht alle in der CSU optimal finden. „Das ist falsch“, verlautet aus der Landtagsfraktion. Besser – und glaubwürdiger – sei es, „nichts zu sagen“.
Auch in den Reihen der bayerischen Opposition scheint man die Strategie „Was nützt uns Wulffs Rücktritt?“ zu fahren: Keine Partei hat bisher offiziell einen Rücktritt verlangt. Selbst der sonst so ehrpusselige FW-Chef Hubert Aiwanger beschwichtigt: Der Präsident habe sich zwar dumm verhalten, solle aber bleiben. Zumal viele Bürger dächten: „Wir sind alle nur schwarze Schafe unter Gottes Himmel“, vermutet Aiwanger. Und fügt hinzu: Schwarz-Gelb habe Wulff als Staatsoberhaupt unbedingt gewollt – „jetzt soll er seine Zeit runterarbeiten und fertig“.
Und der Parlamentarische Geschäftsführer der Landtags-SPD, Harald Güller, betont, er persönlich meine zwar, das Amt des Präsidenten sei „so beschädigt, dass es mit Wulff nicht weitergeht“. Gleichwohl gebe es zur Frage eines Rücktritts „keine offizielle Position der Fraktion“.
Um Glaubwürdigkeit, bestätigt die Direktorin der Tutzinger Akademie für Politische Bildung, Ursula Münch, gehe es den Parteien in der Angelegenheit Wulff überhaupt nicht. Sondern um „reines Machtkalkül“: Kanzlerin Merkel sei „gefangen“ von der knappen Mehrheit in der Bundesversammlung. Zudem stehe 2012 lediglich eine Landtagswahl (in Schleswig-Holstein) an. „Wenn heuer Bundestagswahl wäre“, glaubt Münch, „wäre die Situation eine völlig andere.“
Das stimmt wohl. Den glücklosen Streibl drängte die CSU 1993 jedenfalls nicht nur deshalb aus dem Amt, weil er auch in anderen Belangen ungeschickt agierte. Sondern vor allem, weil die Umfragewerte der Christsozialen nach dem Bekanntwerden der Streibl-Reisen zeitweilig auf unter 40 Prozent gefallen waren. Das hatte die Partei ein Jahr vor der Landtagswahl 1994 in Panik versetzt.
Was Christian Wulff derzeit also im Amt hält, ist: der fehlende Panikfaktor in der Union und die kühle Kosten-Nutzen-Abwägung aller Parteien. (Waltraud Taschner)

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