Politik

Eine Zwangs-Einweisung ist oft ein traumatisches Erlebnis – auch weil vielerorts alternative Hilfen fehlen. (Foto: dpa)

12.04.2013

Einfach mal schnell weggesperrt?

Psychiatrie: Im Bayern gibt es überdurchschnittlich viele Einweisungen – Experten fordern gesetzliche Reformen

Mal sind sie Verkehrsexperten nach Unfällen oder KFZ-Mechaniker. Manchmal trösten sie als Seelsorger nach Trennungen oder schlichten Streitereien. „Und dann sollen wir auch noch Arzt und Psychiater spielen?“, fragt Wolfgang Remelka, stellvertretender Leiter der Polizeiinspektion Würzburg-Land. Denn psychische Krisen und Eskalationen halten sich nicht an Bürozeiten. Abends und nachts entscheidet deshalb meist die Polizei, ob ein Suizidgefährderter oder Randalierer in einer geschlossen Einrichtung untergebracht werden muss. „Ist die Person psychisch krank oder nicht? Ist sie für sich oder andere gefährlich?“ – das sind Fragen, die dann in kürzerster Zeit geklärt werden müssen, so Remelka. Von Menschen, die dafür nicht ausreichend ausgebildet sind. Erst am Folgetag wird das zuständige Gericht eingeschaltet.
Das bayerische Unterbringungsgesetz (UG) sei mehr Polizeirecht als Gesundheitsrecht, kritisieren Experten. Diese Woche hatten die Landtags-Grünen zu einem Fachgespräch eingeladen – auch weil der Fall Gustl Mollath „grundlegende Ängste“ anspreche, wollte man Probleme im Bereich der psychiatrischen Versorgung diskutieren und Perspektiven aufzeigen. Und einmal mehr wurden Forderungen laut, auch für Bayern ein modernes Psychisch-Kranken-Gesetz (PsychKG) zu schaffen, das  – wie in fast allen anderen Bundesländern – die Unterbringung psychisch Kranker als Krisenintervention im Rahmen eines Gesamtkonzepts psychiatrischer Hilfsangebote behandelt. „Und nicht mehr als polizeirechtliche Gefahrenabwehr, das Patienten stigmatisiert“, wie Rolf Marschner, Anwalt für Sozialrecht, erklärt. „In Nordrhein-Westfalen etwa ist eine Zwangsunterbringung nur mit einem ärztlichen Attest, das nicht älter als 24 Stunden ist, möglich.“

Mehr Krisendienste, weniger Einweisungen?

Beschränkungen von Zwangsbehandlungen, die Beachtung des Patientenwillens sowie Kontroll- und Beschwerdeinstanzen müssten in einem bayerischen PsychKG ebenso enthalten sein wie die automatische Hinzuziehung psychiatrischer Fachkräfte bei einer akuten Unterbringung, fordert Marschner. Unterstützung kommt von Michael Schwarz, Facharzt für Psychiatrie am Isar-Amper-Klinikum München-Ost in Haar. Er fordert die gesetzliche Absicherung von vor- und nachgehenden Hilfen. „Zwangsunterbringung ist nur dann gerechtfertigt, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.“ Doch dazu müssten genügend Hilfen bereitstehen, monieren die Experten. Mit einer gesetzlichen Absicherung von Krisendiensten mit einer Mindestpersonalausstattung könnte oftmals eine Unterbringung vermieden oder verkürzt werden, sagt Marschner. Und so auch Traumatisierungen durch Zwangseinweisungen vermieden werden, ergänzt Schwarz.
Laut den Grünen landen in Bayern Patienten öfter in Psychiatrien als anderswo in Deutschland. 134 Fälle von Zwangsunterbringungen pro 100 000 Einwohner habe es im Freistaat 2011 gegeben, bundesweit seien es im Schnitt nur 70. Die Zahlen beziehen sich allerdings nur auf die privatrechtliche Unterbringung, also wenn ein Gericht den Antrag eines Betreuers genehmigt. Nach Angaben des bayerischen Justizministeriums gab es in Bayern 222,5 Fälle von Zwangsunterbringung pro 100 000 Einwohner im Jahr 2011, nimmt man die öffentlich-rechtlichen Unterbringungen hinzu. Allerdings liegt auch diese Zahl deutlich über dem Bundesschnitt: Dort waren es 165,4.
Heiner Dehner, Psychiatriekoordinator der Stadt Nürnberg, glaubt, dass die hohe Zahl der Einweisung an fehlenden ambulanten Krisendiensten liege. Dehner ist Geschäftsführer des Krisendienstes Mittelfranken – ein bislang freiwilliger Dienst, den der Bezirk Mittelfanken mit rund 400 000 Euro im Jahr unterstützt. „Was die Politik bislang nicht geschafft hat, versuchen wir dort mit einzelnen Bausteinen vorwegzunehmen, sagt Dehner. Auch er fordert für Bayern eine flächendeckende Versorgung mit Krisendiensten.


In der Nacht entscheidet die Polizei – ohne Psychiater


Der Krisendienst Mittelfranken ist auch abends und in der Nacht erreichbar – fünf Teams mit insgesamt 70 Mitarbeitern leisten Notfallhilfe – auf Wunsch auch anonym. Worauf Dehner besonders stolz ist: „Die Zusammenarbeit mit der Polizei klappt hervorragend.“ Und meist sei es nicht der Krisendienst, der die Polizei einschalten müsse, berichtet Dehner. „Die Beamten holen uns, wenn sie glauben, dass jemand Hilfe brauchen könnte.“ Das erfreuliche Resultat: „Unterbringung unter Berücksichtigung der Menschenrechte möglichst ohne Zwang und Gewalt“ sei so möglich.
Auch in München gibt es einen Krisendienst, vorrangig durch den Bezirk Oberbayern finanziert. Dort ist man allerdings nur zwischen 9 und 21 Uhr erreichbar. In der Nacht ist die Münchner Polizei auf sich allein gestellt. Allerdings sieht man dort, wie ein Bericht des Polizeipräsidiums München im Gesundheitsausschuss des Stadtrats zeigt, die Hinzuziehung des Krisendienstes ohnehin problematisch. „Trotz grundsätzlicher Kooperationsbereitschaft“ sehe man enge Grenzen für die tatsächliche Zusammenarbeit. Die geringe Personalausstattung des Krisendienstes, aber auch die Personalausstattung bei der Polizei, die eine effiziente Abwicklung der Einsätze bedinge, ließen „wenig Spielraum für Kontaktaufnahmen zu“.
Auf Nachfrage der BSZ heißt es aus dem bayerischen Sozialministerium, dass man für die nächste Legislaturperiode eine Reform des bayerischen Unterbringungsgesetzes plane – auch die Frage der Hinzuziehung psychiatrischer Fachkräfte bei der Unterbringung will man dann diskutieren. Ebenso „ob und wenn ja, mit welchen Inhalten ein sogenanntes PsychKG für Bayern umgesetzt werden sollte“, so die vage Antwort eines Sprechers.  Auch die vorhandenen Kontrollorgane sollen dann auf den Prüfstand gestellt werden.
„Unterbringung ist immer eine präventive Maßnahme, die auf Prognosen beruht, wie sich ein Mensch in Zukunft verhält. Diese können richtig oder falsch sein“, betont Rechtsexperte Marschner. Mediziner Schwarz warnt aber auch davor, den Themenbereich in der hitzigen aktuellen Debatte um den Fall Mollath  zu einseitig zu sehen. „Oft wird gar nicht mehr wahrgenommen, dass Psychiatrie auch Hilfe sein kann.“ (Angelika Kahl)

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