Als vergangenen Juli Ministerialdirektor Michael Höhenberger im Landtag den Jahresbericht des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) vorstellte, ließ er keine Widerlichkeit aus. In Bäckereien, so berichtete Höhenberger, hätten die LGL-Prüfer bei ihren Verdachtskontrollen Käfer und Schadnager vorgefunden. Die Abgeordneten im Gesundheitsausschuss schüttelte es kurz, dann ging es weiter in der Tagesordnung. Vom schon seit 2009 schwelenden Hygiene-Skandal im Neufahrner Betrieb der Bäckerei-Kette Müller-Brot mit ihren rund 260 Filialen in Südbayern wusste von den Parlamentariern keiner. Die Fälle im LGL-Jahresbericht sind anonymisiert.
Inzwischen ist man schlauer. Vergangene Woche sperrte das Landratsamt Freising die Backfabrik, zum wiederholten Mal waren Kontrolleure der Behörde und der LGL-Task-Force auf verschmutzte Produktionsanlagen sowie Kakerlaken, Mäuse und deren Hinterlassenschaften gestoßen. Für die Prüfer war das Maß damit voll. Jetzt stehen die Backstraßen still, in den Hallen sind Reinigungstrupps unterwegs.
Geduldige Kontrolleure
Für die Lebensmittelkontrolleure war Müller-Brot nur ein Fall von vielen. Allein 2010 – die Zahlen für 2011 liegen noch nicht vor – haben sie bayernweit 145 000 „risikoorientierte Stichprobenkontrollen“ durchgeführt, bei 19 000 wurden sie fündig – selten aber derart massiv wie in Neufahrn. Die LGL-Spezialisten rückten 2010 393 Mal aus. Bei Müller-Brot waren sie über die Jahre sieben Mal, bevor sie nun die Reißleine zogen.
Politisch hat die Aufarbeitung des neuesten Lebensmittelskandals gerade erst begonnen. SPD-Verbrauchersprecherin Sabine Dittmar wundert sich jedenfalls, warum den Kontrollbehörden die gravierenden Mängel bei Müller-Brot zwar seit Juli 2009 bekannt sind, die Bevölkerung darüber aber nicht informiert worden ist. „Da fragt man sich schon, ob hier das Unternehmen vor den Verbrauchern geschützt wurde – eigentlich sollte es umgekehrt sein“, so Dittmar. Ein Skandal sei das, den der damalige Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) mitzuverantworten habe. Auch Christian Magerl (Grüne), Chef des Gesundheitsausschusses im Landtag, hält es für „massiv erklärungsbedürftig“, warum die Produktion in Neufahrn bei ständig festgestellten Hygieneverstößen nicht schon früher gestoppt worden sei.
Die SPD ist sauer
Im Umweltministerium erklärt man das so: Die entdeckten Mängel hätten sich stets auf Teilbereiche der Produktion bezogen, sie seien jeweils beseitigt worden. Erst jetzt habe sich gezeigt, dass durch Einzelmaßnahmen keine dauerhafte Sanierung des Betriebs möglich sei. Eine gesundheitliche Gefährdung der Bevölkerung habe zu keinem Zeitpunkt bestanden.
Das zweifelt der Biologe Magerl an: „Mäuse und Kakerlaken sind bekannte Überträger von Krankheitserregern.“ Deren Kot habe in keinem Bereich einer Lebensmittelproduktion etwas zu suchen – ganz unabhängig von der Frage, ob die Erreger beim Backvorgang abgetötet würden.
Magerl jedenfalls will die parlamentarische Aufarbeitung des Falles so schnell wie möglich beginnen. Er wünscht sich einen Bericht des Umweltministeriums im Landtag. Doch das kann dauern. Dem Vernehmen nach gibt es im Haus des Söder-Nachfolgers Marcel Huber (CSU) rechtliche Bedenken gegen eine Veröffentlichung der Prüfergebnisse, weil damit auch die Preisgabe von Betriebsinterna verbunden sein könnte. Solange die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht abgeschlossen seien, wäre ein Bericht im Landtag „schwierig“, hört man. Der SPD-Jurist Horst Arnold hält solche Datenschutzgründe für vorgeschoben: „Gravierend verunreinigte Nahrungsmittel fallen mit Sicherheit nicht unter den Begriff des Betriebsgeheimnisses.“
Solidarität mit Marcel Huber
Das bayerische Kabinett stellt sich hinter die Prüfbehörden. Es sei „alles unternommen worden, was rechtlich geboten war“, erklärt Staatskanzleichef Thomas Kreuzer. Das Kabinett setzt nun auf die von Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) vorgelegte Änderung des Verbraucherinformationsgesetzes, das diesen Freitag im Bundesrat behandelt wird. Die Behörden könnten dann auch Unternehmen öffentlich machen, die wiederholt schwerwiegend gegen die Lebensmittelhygiene verstoßen hätten.
Sabine Dittmar reicht der Blick nach Berlin nicht. Es gebe zu wenig Kontrolleure, und die seien oft auch noch falsch eingesetzt. Statt ihre Verteilung an der Einwohnerzahl zu bemessen, empfiehlt sie risikoorientierte Schwerpunke. Und weil die Arbeit immer komplexer werde, müsse auch die Ausbildung der Prüfer verbessert werden. All das liege in bayerischer Kompetenz. (Jürgen Umlauft)
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