Politik

Die bayerische Wirtschaft ist mit Großbritannien eng verwoben, vor allem in der Luft- und Raumfahrt und im Fahrzeugbau, sagt Markus Ferber. (Foto: BSZ)

01.07.2016

"Es gibt keinen Weg zurück"

Markus Ferber, wirtschaftspolitischer Sprecher der CSU-Europagruppe, über die Folgen des Brexit für Bayerns Unternehmen und den Tourismus sowie eine EU-Mitgliedschaft Schottlands

Weltweit sehen Wirtschaftsexperten den Brexit mit Sorge. Die OECD prophezeit den Briten Wirtschaftseinbußen von fünf Prozent bis zum Jahr 2030, der IWF ist alarmiert, Ratingagenturen wie Moody’s ebenso. Tatsächlich ist die Angst der Wirtschaft vor den Brexit-Folgen groß. Für den Ifo-Präsidenten Clemens Fuest ist Deutschland neben den Briten der größte Verlierer. Was ist mit Bayern?

BSZ: Herr Ferber, kommt jetzt der Brexit? Oder kommt er nicht, weil die Briten versuchen werden, Schottland und Nordirland im Boot zu halten?
Markus Ferber: Vergessen Sie nicht Gibraltar. Dort haben 96 Prozent gegen den Brexit gestimmt. Und Gibraltar ist wichtig für die Briten; es sichert ihnen erheblichen Einfluss auf den europäischen Luftverkehr. Sie haben damit in der Vergangenheit sehr viele nötige Reformen blockiert. Ich gehe davon aus, dass es nach dem Referendum keinen Weg mehr gibt, den Brexit zu verhindern. Und ich glaube übrigens auch nicht, dass die Schotten von allen in der EU als neuer Staat mit offenen Armen empfangen würden.

BSZ: Wieso nicht?
Ferber: Weil zum Beispiel Spanien sicher nicht möchte, dass sich Katalonien in seinem Streben nach Unabhängigkeit dann an Schottland ein Beispiel nimmt. Und auch Belgien wird den separatistischen Strömungen zwischen Flandern und Wallonien keinen neuen Schub verleihen wollen.

BSZ: Müsste Schottland als EU-Beitrittskandidat dann wie andere Länder ganz von vorne anfangen?
Ferber: Nein. Sie verfügen ja bereits über 100 Prozent der nötigen EU-konformen Gesetze. Aber sie sind halt kein Staat.

BSZ: Soll die EU jetzt auf einem schnellen Austritt bestehen? Oder gibt es Argumente dafür, sich Zeit zu lassen?
Ferber: Großbritannien sollte jetzt zügig seine internen Hausaufgaben machen. Auch im eigenen Interesse: Wer auf der Insel investiert, möchte Klarheit über die künftigen Regelungen haben. Dazu gehört, der EU bald den Austrittswillen offiziell zu erklären.

"Ich gehe nicht von zukünftigen Zollschranken aus"


BSZ: Norwegen und die Schweiz sind beides Länder, die nicht in der EU sind und denen es wirtschaftlich ausgesprochen gut geht. Man kommt also offenbar auch ohne EU gut zurecht.
Ferber: Naja. Norwegen zahlt der EU eine Milliarde Euro im Jahr, um am Binnenmarkt teilnehmen zu können. Die Norweger unterwerfen sich den europäischen Regeln, ohne sie mitbestimmen zu können. Die Schweiz hingegen ist Teil des Schengenraums, aber ohne Binnenmarktzugang. Und der starke Franken bereitet den Eidgenossen zunehmend Probleme.

BSZ: Was wiegt eigentlich schwerer beim Brexit? Der wirtschaftliche oder der politische Bedeutungsverlust?
Ferber: Britannien schmerzen vor allem die wirtschaftlichen Konsequenzen. Übrigens weniger die Konsequenzen, die nun vom Gesetzgeber ausgehen. Viel schlimmer ist, dass die Privatwirtschaft sich massiv aus Großbritannien zurückziehen wird. London war bislang für viele das Tor nach Europa, zu einem Markt mit 500 Millionen Menschen. Das ist nun bald vorbei.

BSZ: Und politisch?
Ferber: Großbritannien ist Mitglied im UN-Sicherheitsrat und Mitglied bei G7 und G20. Da hat die EU jetzt überall ein gewichtiges Mitglied weniger.

BSZ: Sie hatten Herrn Juncker öffentlich davor gewarnt, den Briten jetzt „Rosinen anzubieten“. Es sieht so aus, als würden Martin Schulz und Juncker auf Sie hören. Sind Sie zufrieden mit den beiden Herren?
Ferber: Bei beiden würde ich mir ein wenig mehr Selbstkritik wünschen. Es ist gut, nun gegenüber Großbritannien Konsequenz einzufordern. Andererseits kann die europäische Antwort auf den Brexit nun nicht pauschal „mehr Europa“ lauten. Die Menschen sind doch nicht mit der EU unzufrieden, weil wir bisher zu wenig vergemeinschaftet hätten.

BSZ: Die Kanzlerin sagt, es gebe keinen Grund, nun „besonders garstig“ zu Großbritannien zu sein. Wie wird sich Deutschlands Verhältnis zu Großbritannien nun entwickeln?
Ferber: Wir werden weiter gute Nachbarn in Europa sein. So wie es mit der Schweiz, mit Norwegen und Island auch gut klappt. Aber wenn Großbritannien weiter Teil des Binnenmarkts sein will, wird es merken, dass es dies nicht zum Nulltarif haben kann.

BSZ: Erkennen Sie bereits heilsame Kräfte aus dieser Entscheidung des britischen Volkes?
Ferber: Es ist sicher ein Impuls, der Reformen anschieben wird. Nach der ersten Schockstarre hoffe ich auf eine Aufgabenkritik. Ein Ergebnis könnte sein, dass wir eben nicht immer mehr Vergemeinschaftung brauchen in Europa, sondern mehr Subsidiarität, mehr Freiraum vor Ort für nationale Besonderheiten. Wir brauchen zum Beispiel nicht unseren deutschen Meisterbrief einem EU-weiten Zertifikat zu opfern. Es reicht vollkommen, wenn dieser Meisterbrief von jeder EU-Bürgerin und jedem EU-Bürger diskriminierungsfrei errungen werden kann. Und das ist heute schon der Fall.

BSZ: Vor welchen Herausforderugen steht jetzt die Wirtschaft in Bayern?
Ferber: Die bayerische Wirtschaft ist mit Großbritannien eng verwoben, vor allem in der Luft- und Raumfahrt, im Fahrzeugbau, auch in der Rüstungsindustrie. Denken Sie allein an das paneuropäische Unternehmen Airbus. Das sind sehr komplexe Verflechtungen, auf die wir jetzt präzise und kluge Antworten brauchen. Die lassen sich nicht von heute auf morgen aus dem Ärmel schütteln.

BSZ: Was raten Sie bayerischen Unternehmen?
Ferber: Ich gehe nicht davon aus, dass es künftig Zollschranken geben könnte zwischen England und der EU. Das wäre für keine Seite von Vorteil. Aber ich würde jedem empfehlen, sich mit Investitionen in Großbritannien zurückzuhalten, bis wir Klarheit über die neuen Verhältnisse haben.

BSZ: Rechnen Sie mit Folgen für den Tourismus?
Ferber: Das britische Pfund wird eine ganze Weile schwach bleiben. Für die Briten wird der Urlaub in Europa damit deutlich teurer. Darunter werden die Spanier aber vermutlich stärker leiden als die Bayern. Für uns wird der Schottlandurlaub jetzt deutlich günstiger. Es ist sehr schön in Schottland.
bsz Warum sind die Bürgerinnen und Bürger allüberall so europaverdrossen?
ferber Wer auf Brüssel schimpft, erwähnt in seiner Kritik vielleicht zu selten, dass die Herren der Verträge weiterhin die Mitgliedstaaten sind. Alles, was in Europa gilt, haben die nationalen Regierungen untereinander ausgehandelt.

BSZ: Haben die Politiker Europas Vorzüge in der Vergangenheit zu wenig betont? Die CSU gehört ja auch zu denen, die ständig an der EU herummäkeln.
Ferber:  Wir sollten hier nicht Äpfel und Birnen durcheinanderbringen. Die CSU hat in den vergangenen Monaten auch die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin scharf kritisiert. Aber sie hat nie den Austritt Deutschlands aus der EU gefordert und auch nicht den Austritt Bayerns aus Deutschland. Wer die Politik in Europa kritisiert, ist nicht automatisch ein Antieuropäer.
(Interview: Jan Dermietzel)

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