Politik

Professor Hans Herbert von Arnim (73) lehrt an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. (Foto: dpa)

07.06.2013

"Es sind noch längst nicht alle Hausaufgaben gemacht"

Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim über die Verwandtenaffäre im Landtag, die Heftigkeit der Reaktionen und die Notwendigkeit weiterer Korrekturen

Er brachte mit seinem Buch "Die Selbstbediener. Wie sich die bayerischen Politiker den Staat zur Beute machen" die Verwandtenaffäre des Landtags ins Rollen: Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim. Von den Auswirkungen ist der Jurist jetzt selbst etwas überrascht. Rückzahlungen, Rücktritte und Gesetzesänderung – das alles reicht ihm aber nicht. Er sieht noch jede Menge weitere Missstände, die dringend beseitigt werden müssten.
BSZ: Herr von Arnim, Hand aufs Herz – hätten Sie erwartet, dass Ihr Buch zu derartigen Erschütterungen in Bayern führt?
von Arnim: Ja und nein. Ja, weil ich die Veröffentlichung bewusst in die Vorwahlzeit gelegt habe, da in dieser Phase Regierung wie Opposition besonders sensibilisiert sind. Ich hätte aber nicht erwartet, dass es so einschlägt. Es hat wohl noch selten ein Buch binnen eines Monats zu einer Gesetzesänderung geführt. BSZ: Sind die Reaktionen von Rücktritten bis zu den Rechtsänderungen aus Ihrer Sicht angemessen?
von Arnim: Sie sind sicher heftig, aber nicht unangemessen. Die Heftigkeit hängt wohl auch damit zusammen, dass in den Köpfen bayerischer Politiker und Bürger die eigentlich überwunden geglaubte Amigo-Affäre in anderer Form wieder aufschien. BSZ: Den größten Aufruhr lösten die wenigen Seiten über die Beschäftigung von Verwandten aus. Was ist unanständig daran, wenn Abgeordnete ihre Ehefrauen ihr Büro leiten lassen? Landwirte und Handwerksmeister tun das auch.
von Arnim: Jeder kann seine Frau beschäftigen, wenn er das selbst bezahlt. Das tut der Handwerksmeister und auch der Landwirt. Wenn der Verwandte aber aus Staatsgeld angestellt wird, gilt seit alters der Grundsatz, dass solche Vetternwirtschaft auf Steuerzahlerkosten verpönt ist. Ein anderes Beispiel: Ein Ministerialrat, der einen Assessor einstellt, darf dafür keinen Verwandten auswählen. Das wäre grob rechtswidrig.

"Der Hauptfehler liegt nicht bei den Ehefrauen, sondern beim Gesetzgeber"

BSZ: Müsste man nicht stärker differenzieren zwischen Abzockern, die missbräuchlich Geldquellen zur Familienversorgung anzapfen, und denen, die in bester Absicht die qualifizierte Arbeitskraft enger Verwandter nutzen?
von Arnim: Die Frage liegt nahe. Aber beim erwähnten Ministerialrat wird auch nicht danach gefragt, ob der verwandte Assessor hoch qualifiziert und leistungsfähig ist. Er darf ihn einfach nicht anstellen, weil es in der Praxis kaum nachweisbar ist, ob er wirklich gute Arbeit macht oder nur kassiert. Seit dem römischen Recht ist solcher Nepotismus verboten, weil für die Öffentlichkeit immer der böse Schein bleibt, hier würde nur das Familieneinkommen gemehrt. BSZ: Können Sie den Frust von Politikerfrauen verstehen, die jahrelang Vollzeit für ihren Mann gearbeitet haben und jetzt als Kostgängerinnen dastehen?
von Arnim: Natürlich ist das frustrierend, wenn jemand an einer nicht legitimen Sache mitgewirkt hat, auch wenn er sich selbst nichts hat zuschulden kommen lassen. Der Hauptfehler liegt aber nicht bei den Ehefrauen und Kindern, sondern beim Gesetzgeber, der 2000 diese angebliche Übergangsregelung mit der fortdauernden Gültigkeit von Altverträgen geschaffen hat. Das Parlament hat damals ein zum Missbrauch einladendes Gesetz verabschiedet und der Öffentlichkeit dabei Sand in die Augen gestreut. Es hat damals zudem den falschen Eindruck erweckt, jeder Verwandtenbeschäftigung würde ein Riegel vorgeschoben. Dabei blieb die Anstellung von Geschwistern und Verwandten höheren Grades unbegrenzt zulässig. BSZ: Wie gesagt, die Verwandtenbeschäftigung ist nur ein kleiner Aspekt Ihrer Kritik. Sind Politiker tatsächlich potenzielle Raffzähne, wie das Ihr Buchtitel suggeriert?
von Arnim: Man braucht einen spektakulären Titel, um etwas aufzubrechen, das Regierungs- und Oppositionsparteien gemeinsam verbockt haben. Das zeigt sich schon daran, dass ich die bayerische Verwandtenbeschäftigung schon vor zwei Jahren in einer Fachzeitschrift kritisiert hatte, die der Landtagspräsidentin Barbara Stamm und auch ihrem Verwaltungschef vorgelegen hat. Ich weiß das aus einem Briefwechsel. Das hat aber überhaupt nichts bewirkt. Mit einem vornehmen akademischen Aufsatz kann man offenbar nichts erreichen. Im Übrigen ist der Titel nicht falsch, denn an allen von mir kritisierten Regelungen haben praktisch alle Abgeordneten des Landtags in trauter Einigkeit mitgewirkt. Das war 2000 so, das war später bei der Verdoppelung der Mitarbeiterentschädigung so und bei der massiven Erhöhung der Fraktionszuschüsse. Und dass der zurückgetretene CSU-Fraktionschef Georg Schmid neben seiner Diät monatlich einen Zuschlag von 13 700 Euro erhalten hat, das haben zumindest alle CSU-Abgeordneten abgesegnet.

"Das Problem sind nicht die normalen Diäten"

BSZ: Sie halten Bayerns Abgeordnete ohnehin für überbezahlt. Warum?
von Arnim: Das Problem sind nicht die normalen Diäten, wohl aber zum Beispiel die steuerfreie Kostenpauschale von 3200 Euro monatlich, die unabhängig von den tatsächlichen Aufwendungen gezahlt wird, oder die Altersversorgung. Wie überzogen diese ist, sieht man daran, dass ein durchschnittlicher Arbeitnehmer pro Jahr 28 Euro monatliche Rentenanwartschaft aufbauen kann, ein Bundestagsabgeordneter 207, ein bayerischer Abgeordneter dagegen 270 Euro. Letztere auch noch ohne eigenes Zutun! Ein anderer Punkt sind die Zulagen für stellvertretende Fraktionschefs und sonstige Funktionsträger. Die sind nach Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und einem Bericht des bayerischen Rechnungshofs gar nicht mehr zulässig, werden aber weitergezahlt. BSZ: Sie kritisieren auch die Finanz- und Personalausstattung der Fraktionen. Braucht ein Parlament für seine gesetzgeberischen Aufgaben und vor allem für die Kontrolle von Regierung und Staatsverwaltung nicht personelle Ressourcen, die zwischen Legislative und Exekutive eine Art Waffengleichheit herstellen?
von Arnim: Auf alle Fälle. Ich bin nicht gegen eine Finanzierung von Fraktionen und gegen Mitarbeiterzuschüsse für Abgeordnete. Auch hier sind die Höhe der Zahlungen und die Art der Verwendung das Problem – überall liegt Bayern bei Weitem an der Spitze – und deren Zustandekommen in nichtöffentlichen Kungelrunden. Außerdem: Wer trägt denn im Normalfall die Hauptlast der Kontrolle? Doch nicht die Regierungsfraktionen, insbesondere nicht die CSU, sondern die Opposition. Von den Zahlungen an die Fraktionen profitiert aber vorwiegend die CSU. Das wird auch dadurch nicht ausgeglichen, dass die Opposition noch einen so genannten Oppositionsbonus erhält. In Sachen Politikfinanzierung hat übrigens auch die Opposition komplett versagt. BSZ: Zum Abschluss: Wie sähe denn aus Ihrer Sicht ein zeitgemäßer Parlamentarismus für Bayern aus?
von Arnim: Es wäre durchaus sinnvoll, auf Landesebene ein Präsidialsystem mit der Direktwahl des Ministerpräsidenten einzuführen. Ähnliches hat Bayern schon auf kommunaler Ebene mit direkt gewählten Bürgermeistern und Landräten. Auf jeden Fall aber müssten die genannten Missstände allesamt beseitigt werden. Da sehe ich längst noch nicht alle Hausaufgaben gemacht.
(Interview: Jürgen Umlauft)

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