Politik

Landauf, landab bekommen Flüchtlinge Deutsch-Unterricht von Ehrenamtlichen, denn einen Anspruch auf Kurse haben sie zunächst nicht. (Foto: dpa)

13.07.2015

Ex-Schulrektoren landen mit Deutschkurs für Asylbewerber Bestseller

Drei Lehrer aus Bayern haben dafür ein spezielles Arbeitsbuch entwickelt

Sie kommen in ein fremdes Land, können die Sprache nicht und sind völlig auf sich selbst gestellt. Wer hilft Asylbewerbern beim Arzt und bei Behördengängen? Die Ämter halten sich da meist zurück. Viele sind daher auf die Unterstützung von Ehrenamtlichen angewiesen - auch wenn sie etwas Deutsch lernen wollen. Zwei ehemalige Schulleiter aus Schwaben geben Flüchtlingen deswegen Sprachunterricht. Sie fanden aber keine speziellen Unterrichtsmaterialien und haben kurzerhand ein eigenes Arbeitsheft entwickelt und drucken lassen - das nun reißenden Absatz findet.
Schon nach etwas mehr als einem Monat wurde vom "Deutschkurs für Asylbewerber - Thannhauser Modell" die dritte Auflage gedruckt. "Ganz Deutschland will dieses Heft", sagt noch ganz überrascht Karl Landherr, der pensionierte Rektor der Grundschule in der 6000-Einwohner-Stadt Thannhausen (Landkreis Günzburg). Er fand wie sein Kollege Hans Dieter Hörtrich, Ex-Rektor der örtlichen Mittelschule, die auf dem Markt angebotenen Bücher für Deutsch-Anfänger unbrauchbar. "Diese Bücher sind nach schulischen Prinzipien aufgebaut", erklärt Hörtrich. Dabei stehe die Grammatik im Vordergrund, nicht der Nutzen für den Alltag. Dies sei für Asylbewerber der falsche Weg. Viel hängt vom Engagement der Bevölkerung ab

Ehrenamtliche Deutschlehrer gibt es überall in der Bundesrepublik in den Asylbewerberheimen. Denn ob die Flüchtlinge, die zu Tausenden nach Deutschland kommen, von Beginn an Sprachkurse bekommen, hängt zu einem großen Teil vom Engagement der Bevölkerung ab. Einen Anspruch auf Integrationskurse gebe es nur für anerkannte Flüchtlinge, erklärt Christoph Sander vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg.
Für die mitunter lange Zeit bis zum Abschluss des Asylverfahrens gibt es in den Ländern verschiedene Modellprojekte. "Allerdings läuft derzeit ein Gesetzgebungsverfahren zur Frage der Öffnung von Integrationskursen für Asylbewerber und Geduldete, welches der Bundesrat angestoßen hat", sagt Sander.
In Thannhausen wurden vor einem Jahr die beiden früheren Schulleiter gefragt, ob sie sich um die in einem ehemaligen Gasthaus untergebrachten Flüchtlinge aus Afrika kümmern können. Landherr und Hörtrich schauten sich die von Verlagen angebotenen Lehrbücher an und waren unzufrieden: zu hohes Niveau, zu umfangreich, zu teuer, zu wenig Platz für Notizen, keine ergänzenden Erklärungen in Englisch. Zusammen mit der Lehrerin Isabell Streicher entwickelten sie ihr eigenes "Workbook". Landherrs Sohn übernahm den Vertrieb an andere interessierte Lehrer, dessen Ehefrau lieferte die Zeichnungen, auf denen beispielsweise die Körperteile erläutert sind: "der Kopf", "der Hals", "der Rücken", "die Hände" und so weiter.
Nun wird in der schwäbischen Kleinstadt die frühere Gaststube regelmäßig in ein Klassenzimmer umgewandelt, durchschnittlich etwa 10 der 38 Flüchtlinge nehmen an dem dreimal die Woche angebotenen Deutschkurs teil.
Dabei geht es um ganz praktische Probleme des Alltags, so widmet sich ein Kapitel des Arbeitsbuchs dem Arztbesuch:"Ich brauche einen Termin beim Arzt", spricht Streicher den Flüchtlingen vor und erklärt dabei auf Englisch, dass man nicht einfach ohne vorherigen Anruf in die Praxis gehen sollte. Die Gruppe spricht ihr nach: "Ich brauche einen Termin beim Arzt." Zwischen den Flüchtlingen sitzen dabei etliche weitere Ehrenamtliche, die ihren Tischnachbarn bei den Formulierungen helfen. Spaß haben durch Rollenspiele

Die Flüchtlinge und ihre Lehrer haben dabei auch Spaß miteinander, bei Rollenspielen wie "In der Apotheke" wird ständig gelacht -Sprachunterricht muss nicht ernst sein. Auch aktuelle Themen werden in Thannhausen schnell aufgegriffen. Nachdem in Deutschland bei den heißen Temperaturen der vergangenen Wochen mehrere Flüchtlinge ertrunken sind, gibt es eine Stunde am See, um den Afrikanern die Gefahren beim Schwimmen klar zu machen.
Auch in anderen Orten ist das "Thannhauser Modell" längst im Einsatz. Karin Balzer bietet seit zwei Jahren im oberbayerischen Schwabhausen Kurse für Flüchtlinge an. Zuerst hatte sie sich ihre Arbeitsblätter im Internet zusammengesucht, dann ist sie auf das Heft aus Thannhausen gestoßen. "Da sind die grundlegenden Sachen drin, das machen die supergut", sagt die Dolmetscherin.
Hassan Keyse aus Somalia gehört seit acht Monaten zu den fleißigsten Deutsch-Schülern in Thannhausen. Er möchte später als Altenpfleger arbeiten, weiß aber, dass sein Deutsch dafür noch besser werden muss. Deswegen interessiert er sich bereits für die Lehrbücher für Fortgeschrittene. Wenn er die Sprache noch besser könne, werde er eine Arbeitserlaubnis beim Landratsamt beantragen, sagt Keyse. (Ulf Vogler, dpa)

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