Politik

Nicht jeder ist für den Lehrerberuf geeignet, viele sind überfordert. (Foto: getty)

05.01.2012

Frust im Klassenzimmer

Bildungspolitiker aller Fraktionen fordern verbindliche Eignungstests für Lehrer – Kultusminister Spaenle lehnt sie ab

Drei Monate Ferien, jede Menge Freizeit am Nachmittag, dazu ein gut bezahlter bombensicherer Arbeitsplatz: Lehrer haben einen leichten Job, meinen viele. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Belastungen und Anforderungen in der Schule sind enorm. Jeder fünfte Lehrer wurde laut Statistischem Bundesamt 2010 aus gesundheitlichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand geschickt, viele wegen Burn-outs oder anderer psychischer Beschwerden.
„Viele junge Menschen werden aus Verlegenheit Lehrer, ohne dafür geeignet zu sein“, sagt Norbert Seibert, Lehrstuhlinhaber für Schulpädagogik an der Universität Passau. „Oft landen die schlechtesten Abiturienten bei uns, weil es auf das Lehramtsstudium keinen Numerus Clausus gibt.“ Studien geben Seibert recht: Die Goethe-Universität Frankfurt hat herausgefunden, dass jeder vierte Studienanfänger eigentlich nie Lehrer werden wollte. Die Studienwahl sei lediglich eine „Notlösung“ gewesen, gaben 25 Prozent der befragten Lehramtsstudenten zu.
„Wir brauchen in Bayern verbindliche Eignungstests für angehende Lehrer“, fordert deshalb Professor Seibert. Auch Walter Schweitzer, Präsident der Uni Passau, plädiert für eine obligatorische Prüfung, ob die jungen Menschen „den tatsächlichen Anforderungen der Praxis gerecht werden können“. Den zukünftigen Lehrern könne das viel Frust ersparen. „Und dem Staat eine Menge Geld“, betont Seibert. Denn im Schnitt koste ein kranke, frühpensionierte Lehrkraft den Staat 350 000 Euro.
In Passau hat man den Eignungstest für Lehramtsstudenten bereits vor zwei Jahren eingeführt. „Etwa 20 Prozent der Teilnehmer raten wir von dem Beruf ab“, berichtet Seibert. Allerdings ist der Test freiwillig und unverbindlich. Nicht einmal die Hälfte der Studienanfänger nimmt deshalb daran teil. Das Problem: Das Lehrerexamen ist ein Staatsexamen. Deshalb müsste die Staatsregierung eine einheitliche Regelung für ganz Bayern finden. Kultusminister Ludwig Spaenle aber lehnt verbindliche Test kategorisch ab. „Es gibt keine validen Kriterien auf empirischer Basis, die eine Eignung für den Lehrerberuf – gerade von 18-jährigen jungen Menschen – prognostizieren könnten“, heißt es aus seinem Ministerium. Außerdem könne ein Test immer nur einen Ist-Zustand ermitteln. „Studierende entwickeln sich aber im Laufe eines bisweilen fünfjährigen Studiums weiter.“
„Wenn jemand gar nicht für den Beruf geeignet ist, dann wird ihm auch das Studium nichts bringen“, sagt dagegen Seibert. Erschwerend komme hinzu, dass eine pädagogische Ausbildung so gut wie nicht stattfinde. „Die Fächer Pädagogik und Psychologie können sogar abwählt werden“, kritisiert er.


Sind Piloten etwa wichtiger als Lehrer?


Auch vor einer Pilotenausbildung würden Kandidaten schließlich auf Fach- und Sozialkompetenz getestet, sagt Seibert. „Sind Piloten etwa wichtiger als Lehrer?“, fragt er und gibt die Antwort gleich selbst: „Ich glaube nicht. Kinder sind unser höchstes Gut“. Außerdem sei der Test durchaus aussagekräftig, so Seibert. Jeder Lehramtsanwärter müsse einen Tag lang verschiedenste Aufgaben absolvieren. „Dabei werden sie von zehn Fachleuten, darunter Schulräte und Psychologen, beobachtet.“
Dass man junge Menschen auf dem Weg zum Lehrerberuf beraten und begleiten muss, streitet man natürlich auch im Kultusministerium nicht ab. Deshalb biete dessen Homepage den Zugriff auf drei verschiedene Online-Eignungstests. Alle Studienanfänger müssten zudem ein Orientierungspraktikum absolvieren. Solche Praktika zu stärken und Ressourcen zur Verfügung zu stellen sei der richtige Weg, glaubt auch Max Schmidt, Vorsitzender des Bayerischen Philologenverbandes. Er lobt zwar die gute Absicht, die hinter einem Test wie in Passau stehe, sagt aber auch: Der Aufwand des Verfahrens sei enorm und deshalb „für eine flächendeckende, verbindliche Einführung, gerade auch an größeren Universitäten, nicht praktikabel“.
Auch Seibert betont die Wichtigkeit von Praktika, doch für ausreichend hält er sie nicht. „Sie werden nicht begleitet“, kritisiert er. Deshalb könnten die Studenten dabei kaum etwas lernen. Am meisten ärgert den Passauer, dass „der Minister jedes Gespräch ablehnt“. Er würde sich wünschen, dass Spaenle sich persönlich Parcours – so heißt sein Testverfahren – ansieht.
Andere Politiker haben das bereits getan, der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Martin Güll, etwa. Er unterrichtete selbst 32 Jahre an einer Hauptschule und bestätigt: „Ich habe immer wieder Lehrer erlebt, die für diesen Beruf nicht geeignet waren.“ Große Sympathie hege er deshalb für das Projekt. „Doch man will die Erfahrungen in Passau einfach nicht wahrnehmen.“ Güll sucht nun Unterstützung im Landtag. Er will mit den jeweiligen Mitgliedern des Bildungs- und Hochschulausschusses nach Passau fahren, damit sich alle persönlich ein Bild von den Tests machen können.
Viel Überzeugungsarbeit wird Güll wohl gar nicht leisten müssen. Denn tatsächlich ist man sich fraktionsübergreifend einig, dass es verbindliche Tests braucht. „Der Lehrberuf ist in den vergangenen Jahren zunehmend schwieriger geworden“, sagt CSU-Mann Eduard Nöth. „Das Konzept eines Auswahlsverfahrens, wie es von Professor Seibert erarbeitet wurde, findet deshalb vollste Unterstützung der CSU-Fraktion.“ Auch Eva Gottstein von den Freien Wählern würde Eignungstest  gerne verbindlich regeln. „Kinder sind nicht nur unser wichtigstes, sondern auch ein hochsensibles Gut“, sagt sie. „Und je weniger das Elternhaus schulische Probleme kompensieren kann, umso besser müssen unsere Lehrer dafür ausgebildet – und eben auch geeignet sein.“  Thomas Gehring, bildungspolitischer Sprecher der Grünen, hält solche Tests ebenfalls für „ganz notwendig“. Und auch FDP-Fraktionschef Thomas Hacker sagt: „Wir sind dafür.“
Alle könnten davon profitieren, betont Seibert. Negativ-Kandidaten würden auf Grundlage der Ergebnisse in einer fundierten Beratung alternative Perspektiven aufgezeigt. Alle anderen wüssten, an welchen Schwachstellen sie besonders intensiv arbeiten müssen. (Angelika Kahl)

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