Politik

08.10.2010

Gefangene des Sparzwangs

Durch verlängerte Wiederbesetzungssperren dürfte sich der Personalmangel in der bayerischen Justiz ausweiten

Vor ein paar Tagen hat Anton Bachl der bayerischen Staatsregierung einen Brief geschickt. Das Dokument ist zehn Seiten lang, und allein sein Umfang sollte dem Justizministerium zu denken geben. „Wir kommen nicht umhin, vorneweg darauf hinzuweisen“, heißt es höflich im ersten Satz des Briefes, „dass sich insbesondere die Personalprobleme im Strafvollzug immens auftürmen.“
Der Verfasser Bachl steht dem Verband der Strafvollzugsbediensteten in Deutschland vor, außerdem ist er Vorsitzender ihres bayerischen Landesverbandes. Sein Wort hat also durchaus Gewicht. Und sein Brief ist nicht einfach nur ein flammender Appell für bessere Arbeitsbedingungen seiner Zunft, sondern die Eingabe zum Doppelhaushalt 2011 und 2012. Die Forderungen darin zeigen nicht weniger auf als das ganze Ausmaß des seit Jahren herrschenden Personalmangels in der bayerischen Justiz:
„Während bundesweit derzeit auf eine Stelle im Justizvollzug 1,99 Gefangene entfallen, beträgt dieser Faktor in Bayern 2,46. Gemessen an der Personalausstattung der anderen Länder fehlen in Bayern damit insgesamt etwa 800 Stellen, davon 650 im allgemeinen Vollzugsdienst“, schreibt Bachl, der sich zugleich fragt, wie die 628 000 Überstunden abgebaut werden sollen, die die Vollzugsbediensteten angehäuft haben.
Einige der Zahlen hat die Regierung nach einer Anfrage des innenpolitischen Sprechers der FDP, Andreas Fischer preisgegeben. Die Bayerische Staatszeitung berichtete im Mai dieses Jahres darüber. Heute sagt Bachl: „Die Situation ist gleichbleibend schlecht, wir tragen die rote Laterne seit Jahren vor uns her.“ In der Tat ist Bayern Schlusslicht aller Bundesländer, was die Anzahl der Stellen im Justizvollzug pro Gefangenem angeht.


Aus Verzweiflung Verfassungsklage einlegen


Immerhin wurden laut eines Sprechers des bayerischen Justizministeriums „trotz schwieriger haushaltlicher Rahmenbedingungen von 1990 bis 2010 mehr als 1000 zusätzliche Planstellen für den Strafvollzug geschaffen. Dies entspricht einem Anstieg um rund 26 Prozent“. Auch enthalte der Doppelhaushalt 2009/2010 bereits 205 neue Stellen für den Justizvollzug. Dennoch räumt das Ministerium ein, dass ungeachtet dessen „die Personalsituation im bayerischen Justizvollzug nach wie vor angespannt“ sei.
Allerdings wird sich dieser Zustand wohl eher verschlimmern als verbessern. Denn laut eines Beschlusses des bayerischen Kabinetts aus der vergangenen Woche wird die so genannte Wiederbesetzungssperre für Beamte drastisch von drei auf zwölf Monate ausgeweitet. Diese Sperre, mit der Stellen nach einer Pensionierung oder dem Tod des Inhabers zunächst nicht neu besetzt werden, betrifft auch Richter und andere Justizbeamte und soll vor allem einem Ziel dienen: der Rettung eines ausgeglichenen Staatshaushaltes.
Laut Justizministerium gibt es bei Richtern und Staatsanwälten aktuell eine Wiederbesetzungssperre von maximal sechs Monaten. Dabei fehlten bereits im ersten Quartal dieses Jahres rund 360 Richter und Staatsanwälte an den bayerischen Gerichten, wie ein Ministeriumssprecher auf Anfrage der Staatszeitung bestätigte. Demgegenüber seien zehn Stellen für Staatsanwälte und 15 Stellen für Bewährungshelfer im laufenden Doppelhaushalt neu geschaffen worden. Über weitere Einstellungen könne im Hinblick auf die laufenden Haushaltsverhandlungen derzeit nur spekuliert werden, heißt es im Ministerium. Schlimmer noch: 2011 scheiden etwa 60 Richter und Staatsanwälte altersbedingt aus. Etwa die Hälfte der frei werdenden Stellen würde dann ebenfalls mit einer solchen Wiederbesetzungssperre belegt.
Ein untragbarer Zustand, wie Walter Groß, Vorsitzender des Bayerischen Richtervereins findet: „Das ist ein Aderlass, den wir sehr schwer verkraften können. Er bedeutet Mehrarbeit für die vorhandenen Richter und geht zulasten der Rechtsprechung. Denn je mehr Zeit ein Richter sich in der mündlichen Verhandlung nehmen kann, desto besser kann er den Konflikt durchleuchten.“ Groß glaubt gar, dass eine Ausweitung der Sperre verfassungswidrig ist und überlegt, rechtlich gegen den Kabinettsbeschluss vorzugehen.
Am grundlegenden Problem, dass es in und um die 36 bayerischen Justizvollzugsanstalten mit ihren zurzeit rund 11 500 Gefangenen zu wenig Personal gibt, würde allerdings auch ein Gang vor das Bundesverfassungsgericht kaum etwas ändern.
Franz Schindler (SPD), Rechtsanwalt und Vorsitzender des Rechtsausschusses im bayerischen Landtag, hat jedenfalls nur wenig Hoffnung auf positive Signale der bayerischen Regierung: „Seit ich im Landtag bin, und das sind rund 20 Jahre, haben wir bei jedem Haushalt Anträge gestellt, der Personalnot abzuhelfen. Richtig weit sind wir dabei nie gekommen“, sagt der SPD-Politiker. Seine Partei werde sich dennoch den Haushaltsentwurf anschauen und dann erneut Änderungsanträge einbringen.
Die Chancen dafür dürften nicht besonders gut stehen – weder bei Schindler noch bei Bachl, dem Vorsitzenden der bayerischen Strafvollzugbediensteten.(Sebastian Winter)

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