Politik

Abgeschobene Flüchtlinge versuchen oft ein zweites Mal ihr Glück, sagt Marion Lich. Das Bild zeigt Flüchtlinge an Bord des Rettungsschiffs Aquarius, die im Mittelmeer aufgegriffen wurden und auf den Ausstieg in Italien warten. (Foto: dpa)

18.08.2017

"Geld als Anreiz funktioniert nicht"

Marion Lich, Leiterin des Münchner Büros für Rückkehrhilfen, über die Möglichkeiten, Flüchtlinge zu einer Ausreise in ihr Heimatland zu bewegen

Immer weniger Flüchtlinge kehren freiwillig in ihre Heimat zurück. Trotz des staatlich geförderten Rückkehrprogramms „Starthilfe Plus“. Zusätzlich zu anderen Hilfen erhalten die Flüchtlinge über die „Starthilfe Plus“ zwischen 800 und 1200 Euro. Marion Lich wundert dies nicht. Die langjährige Leiterin des Münchner Büros für Rückkehrhilfen ist eine scharfe Kritikerin der „Starthilfe Plus“. BSZ: Frau Lich, welche Unterstützung bietet das Münchner Büro für Rückkehrhilfen an und für wen?
Marion Lich: Grundsätzlich sind wir zuständig für alle Ausländer außerhalb der EU, die sich mit dem Gedanken tragen, von Deutschland in ihre Heimat zurückzukehren. Wir beraten, das ist uns sehr wichtig, ergebnisoffen, wir überreden niemanden zur Ausreise. Wir sprechen mit den Menschen darüber, welche Perspektiven sie hier in Deutschland und welche in ihrer Heimat hätten. Wir zeigen auf, welche Fördermöglichkeiten für sie in Frage kämen und beantragen diese auf Wunsch dann auch. Wir stehen für eine nachhaltige Hilfe, das heißt, wenn wir jemandem helfen können, in der Heimat eine Ausbildung zu machen, dann machen wir das auch. Oft haben wir es auch mit Härtefällen zu tun, in denen kranke oder ältere Menschen den Wunsch haben, ihre letzten Lebensjahre in der Heimat zu verbringen. Auch das machen wir, trotz oftmals vieler Widrigkeiten, in den allermeisten Fällen möglich.

BSZ: Freiwillige Rückkehr bedeutet mittlerweile in vielen Fällen, dass die Menschen nur deshalb „freiwillig“ ausreisen, um einer Abschiebung zuvorzukommen. Wie viele der Menschen, die zu Ihnen kommen, sind echte Freiwillige?
Lich: Das werden immer weniger. Zirka 70 Prozent der Menschen, die derzeit zu uns kommen, haben einen abgelehnten Asylbescheid in der Tasche. Das heißt, nur 30 Prozent der Menschen, die wir momentan beraten, wollen Deutschland aus eigenem Antrieb verlassen.

BSZ: Aus welchen Gründen gehen die Menschen, die nicht gehen müssten?
Lich: Heimweh ist ein sehr starkes Motiv. Das gilt für ältere Menschen, deren letzter Wunsch es ist, die Heimat noch einmal zu sehen. Das gilt aber auch für junge Menschen, und gerade für die, die mit dem Anspruch nach Deutschland gekommen sind, von hier aus ihre Familie zu versorgen. Viele scheitern an diesem Anspruch und können nicht das leisten, was sie ursprünglich gedacht haben, leisten zu können. Vor allem beobachten wir das an jungen Männern aus Afrika, die daran oft zerbrechen und ernsthaft psychisch erkranken. Wir haben hier die Erfahrung gemacht, dass die Rückkehr in die Heimat im wahrsten Sinne des Wortes heilsam sein kann. Wir haben bei diesen Menschen die Möglichkeit, ihnen Medikamente für ein Jahr in der Heimat zu finanzieren, hören dann aber in vielen Fällen: Ich brauche keine Medikamente mehr, es geht mir gut.

BSZ: Welche Hilfen gibt es grundsätzlich für freiwillige Rückkehrer?
Lich: Über die Internationale Organisation für Migration (IOM) gibt es das REAG/GARP-Programm, das für Rückkehrer die Reisekosten übernimmt, dazu ein Reisetaschengeld und je nach Herkunftsland eine Starthilfe von 300 bis 500 Euro. Das ist das Standardprogramm, das nahezu jeder Flüchtling erhält. Daneben gibt es noch Förderprojekte der EU wie ERIN, das mit Sachleistungen in der Heimat unterstützt, und Einzelprogramme für bestimmte Länder. Und dann gibt es seit Februar dieses Jahres die „Starthilfe Plus“. BSZ: Wie sind Ihre Erfahrungen mit der „Starthilfe Plus“?
Lich: Dieses Programm verursacht vor allem sehr viel mehr Verwaltungsaufwand und verzögert die Ausreise, denn wir müssen das Geld bei der IOM beantragen, die IOM muss beim Bundesamt nachfragen, ob der Mensch im System erfasst ist und ob er für diese Hilfe in Frage kommt, und dann müssen die uns das zurückmelden, und erst dann können wir den Flug buchen und so weiter. Das dauert. Während der Beratung können wir den Menschen auch nicht rechtssicher sagen, ob sie Geld aus diesem Programm bekommen. Wir hatten schon Fälle, da wurde die Starthilfe Plus abgelehnt aus Gründen, die auch wir nicht nachvollziehen konnten. BSZ: Haben Sie den Eindruck, dass die Menschen durch dieses Programm jetzt eher zu einer freiwilligen Ausreise bereit sind?
Lich: Nein. Geld als Anreiz funktioniert nicht. Die 1000 Euro sind in der Heimat auch schnell wieder ausgegeben. Oft sind da auch noch Schulden offen, wenn etwa Verwandte die Kosten für die Schleuser ausgelegt haben. Der Rückkehrer steht dann sehr schnell wieder vor dem finanziellen Nichts. Dazu kommt ein weiteres Problem: Es ist bekannt, dass den Rückkehrern in einigen Ländern das Geld an der Grenze ganz oder in Teilen abgenommen wird. Das wird dann als Strafzahlung tituliert. Wir selbst haben schon von mehreren solchen Fällen erfahren, vor allem aus dem Iran und aus Pakistan. Unsere Steuergelder tragen also quasi zur Finanzierung korrupter Strukturen bei. Wir haben die Fälle an das Innenministerium weitergeleitet und hoffen, dass hier schnell korrigiert wird.

„Wir brauchen mehr Beratung für Rückkehrwillige“

BSZ: Können Sie einen Fall konkretisieren?
Lich: Im April dieses Jahres ist eine Iranerin mit ihrem volljährigen Sohn von München aus zurück in ihre Heimat gereist. Sie hatten im Rahmen der REAG/GARP und Starthilfe-Plus-Programme insgesamt 3000 Euro erhalten. An der Grenze wurden sie laut einem Verwandten, der hier in München lebt, für 24 Stunden in Einzelhaft genommen und mussten 1500 Euro Strafe bezahlen. BSZ: Glauben Sie, dass eine verstärkte finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer einen Pull-Effekt auslösen könnte?
Lich: Im Vergleich zu anderen EU-Ländern zeigt sich Deutschland finanziell großzügig gegenüber freiwilligen Rückkehrern, umso mehr jetzt mit dem Starthilfe-Plus-Programm. Zur Befürchtung kann ich nichts sagen, aber dazu, dass dieser Pull-Effekt längst da ist. Wir haben vermehrt Fälle sogenannter Dublin-Flüchtlinge, also von Flüchtlingen, die eigentlich in dem Land, in dem sie die EU betreten, Asyl beantragen müssten, aber dennoch bis Deutschland weiterreisen, um hier in das Asylverfahren aufgenommen zu werden.

BSZ: Was passiert mit diesen Dublin-Flüchtlingen?
Lich: Die Flüchtlinge haben zwei Möglichkeiten. Entweder sie kehren in das Land zurück, in dem sie Asyl beantragen müssten. Oder sie kehren von Deutschland aus in ihre Heimat zurück, natürlich dann auch mit allen finanziellen Unterstützungsleistungen, die es in Deutschland gibt.

BSZ: Ihr Fazit zur „Starthilfe Plus“?
Lich: Die 40 Millionen Euro wären sehr viel besser in den flächendeckenden Ausbau für Rückkehrberatungen in Deutschland angelegt. In Bayern funktioniert das System sehr gut, wir haben sechs zentrale Beratungsstellen mit hochqualifizierten Mitarbeitern, die neutral beraten können. Dieses funktionierende System ist in Deutschland aber noch eher die Ausnahme denn die Regel.

BSZ: Wenn Geld als Anreiz nicht funktioniert, was würde denn funktionieren?
Lich: Nachhaltige Hilfe funktioniert. Es gibt seit diesem Jahr die Initiative „Perspektive Heimat“, die vom Innen- und vom Entwicklungshilfeministerium gemeinsam getragen wird. Der Ansatz ist, dass die Strukturen der Entwicklungshilfe auch für Rückkehrer genutzt werden. Davon versprechen wir uns sehr viel.

BSZ: Wie weit ist dieses Projekt gediehen?
Lich: Es haben bereits erste Treffen stattgefunden, erste Abstimmungen zwischen Innen- und Entwicklungshilfeministerium, das Geld steht bereit, man hat schon in einigen Ländern Büros aufgebaut, die den Rückkehrern bei der Jobsuche helfen sollen, zum Beispiel in Marokko, dem Kosovo und in Albanien. Der Senegal soll als nächstes folgen, dann soll nach und nach auf andere Länder ausgeweitet werden, auch Afghanistan ist beispielsweise im Gespräch. Das ist meiner Meinung nach der richtige Weg. Die Menschen nicht einfach wegschicken, sondern ihnen eine Perspektive geben. Dass sie auch in ihrer Heimat ein lebenswertes Leben leben können. Machen wir das nicht, werden viele von denen, die freiwillig gegangen sind, sich schlicht aus der Not heraus irgendwann wieder auf den Weg nach Europa machen.

BSZ: Aber die Menschen, die Geld für die Ausreise bekommen, müssen doch unterschreiben, dass sie dauerhaft ausreisen, und dass sie, wenn sie dennoch zurückkommen, die Gelder zurückzahlen müssen.
Lich: Es wäre naiv zu glauben, dass das jemanden abhalten würde. (Interview: Beatrice Ossberger)

INFO: Marion Lich
Die Politologin (58) arbeitete bereits während des Studiums als Betreuerin in einer Flüchtlingsunterkunft. 1996, gegen Ende des Bosnienkrieges, als 21 000 Bosnier in München lebten, gründete Marion Lich im Auftrag der Stadt das Büro für Rückkehrhilfen. Seitdem ist sie die Leiterin des Büros. Die Beratungsstelle ist damit eine der ältesten ihrer Art in Deutschland. Ursprünglich war das Projekt zeitlich begrenzt, nach dem Kosovo-Krieg wurde die Beratungsstelle jedoch 1999 zu einer ständigen Einrichtung und ist seit 2000 Heimat des EU-Projekts Coming Home. Laut Statistik hat Deutschland durch die Arbeit des Büros der Münchner Rückkehrhilfen 2015 und 2016 knapp vier Millionen Euro gespart. (oss)

Kommentare (1)

  1. otto regensbacher am 18.08.2017
    Deutschland ist eben ein "beliebtes Land" für Migranten aus allen Herren Ländern. Man ist dort willkommen denken viele Migranten, weil Selfies mit Migranten und unserer Kanzlerin um die ganze Welt gingen. Geld zum Leben, Sprachkurse, Kindergeld und eine Wohnug bekommt man ohnehin und die halbe Verwandtschaft kann man auch meist noch nachholen.

    Da erübrigt sich auch die Frage, warum abgelehnte Migranten auch mit Geldprämien nicht in ihr Heimatland zurück wollen.
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