Politik

Auf der Seite des bayerischen Landesamts für Gesundheit- und Lebensmittelsicherheit werden Mängel veröffentlicht. Noch. (Foto: dapd)

15.02.2013

Hygiene-Pranger am Pranger

Verbraucher werden im Netz über Verstöße gegen das Lebensmittelrecht informiert – jetzt ist das Instrument in Gefahr

Kontrolleure entdecken Schmutz und Ungeziefer in einer beliebten Bäckerei, doch die Verbraucher erfahren erst Monate später davon. Um solch einen Hygieneskandal wie bei Müller Brot in Zukunft zu vermeiden, einigten sich die Verbraucherschutzminister  auf ein Instrument, mit dem die Bürger schnell erfahren können, wenn die Stammkneipe oder die Bäckerei nicht sauber arbeiten. Jedes Bundesland richtete eine Webseite ein, auf der alle Verstöße gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetz, die mit einem Bußgeld von mehr als 350 Euro geahndet werden, veröffentlicht werden – und zwar sobald ein Kontrolleur sie entdeckt. Seit Herbst nun gibt es diesen sogenannten Hygiene-Pranger also auch in Bayern, unter lgl.bayern.de.
Doch das Instrument, das die Verbraucher schützen soll, ist in Gefahr. Mehrere Gastwirte und Lebensmittelhändler, die an den virtuellen Pranger gestellt worden sind, klagten. Und mancher Kläger hat bereits Recht bekommen. In einem Urteil heißt es zum Beispiel, Verstöße, die mit baulichen Mängeln zu tun haben, müssten vom Hygienepranger verschwinden. Ein anderes Gericht entschied, die Angaben auf dem Pranger müssten konkreter sein.
Aber nicht allein die schwammig formulierten Vorgaben stellen ein Problem dar. Der Verwaltungsgerichtshof untersucht gerade, ob das Instrument verfassungswidrig ist. Wegen der unsicheren Rechtslage hat München – bisher als einzige Kommune – Mitte Januar aufgehört, Hygieneverstöße zu veröffentlichen. Erst, wenn geklärt ist, dass der Hygiene-Pranger nicht verfassungswidrig ist, will die Stadt sie wieder online stellen. Die Entscheidung wird noch in diesem Monat erwartet.
Rechtsanwalt Richard Seiffert vertritt einen Münchner Gastwirt, dessen Lokal nach einem Hygieneverstoß auf der Seite veröffentlicht wurde. Er erklärt: „Der Pranger widerspricht dem grundsätzlichen Rechtsgedanken. Denn noch bevor das Bußgeldverfahren abgeschlossen ist, wird der Name des Betriebs auf der Webseite angeprangert. Das passt nicht zu unserem rechtlichen Grundsatz, wonach die Unschuldsvermutung gilt, solange kein Urteil gefällt ist.“ Der Gesetzgeber müsse jetzt abwägen, ob ihm der Verbraucherschutz wichtiger ist oder der Rechtsschutz der Gewerbetreibenden.


München stellt keine Verstöße mehr ins Internet


Von Anfang an war der Hygienepranger umstritten. Kritisiert wurden vor allem die unklaren Vorgaben und dass sich die aufgelisteten Mängel oft gar nicht auf Lebensmittel beziehen, sondern zum Beispiel auf kaputte Fliesen. Außerdem seien die Angaben zu den Verstößen zu ungenau und ließen die Verbraucher im Unklaren, ob es sich um einen schwerwiegenden Verstoß handelt oder nicht, so die Kritik. Bemängelt wir auch, dass die Bußgeld-Grenze, ab der ein Verstoß an den Pranger kommt, für alle Bundesländer bei 350 Euro liegt. In München ist diese Summe die Untergrenze für Verstöße gegen das Lebensmittelgesetz, in Duisburg die Obergrenze.
Das bayerische Umwelt- und Gesundheitsministerium, das im Freistaat für den Hygienepranger zuständig ist, hält trotz der unsicheren Gesetzeslage am Instrument fest. Ein Sprecher erklärt, dass man dem Instrument Zeit geben müsse, um sich zu etablieren. Derzeit verschickt das Ministerium an die Behörden Handlungsanweisungen, die an die jüngsten Gerichtsurteile angepasst wurden. Seit Ende Januar werden keine baulichen Mängel mehr auf der Webseite geführt, sondern nur Verstöße, die mit Lebensmitteln zu tun haben. Es genügt auch nicht mehr, wenn auf der Webseite „Hygienemängel im Gastraum“ steht. Ab sofort muss das Gericht benannt werden, bei dem etwas nicht stimmte, „Hygienemängel beim Bauernsalat“ muss es also beispielsweise heißen. Bei neuen Gerichtsurteilen sollen die Anweisungen gegebenenfalls angepasst werden.
Doch die Gefahr, dass der Verwaltungsgerichtshof den Pranger als verfassungswidrig einschätzt, besteht weiterhin. Die verbraucherschutzpolitische Sprecherin der Freien Wähler, Jutta Widmann, will deshalb überhaupt niemand mehr an den Pranger gestellt sehen, solange das nicht geklärt ist. Doch da das bundesweite Verbraucherschutzgesetz vorschreibt, Hygieneverstöße zu veröffentlichen, ist das schwierig. München bewegt sich in einer rechtlichen Grauzone. „Es ist deshalb wichtig, dass die Kommunen die Handlungsanweisungen des Gesundheitsministeriums so schnell wie möglich umsetzen“, so Widmann. Außerdem sollten natürlich alle Betriebe und Verstöße, die zu Unrecht im Internet stünden, so schnell es geht, wieder aus dem Netz verschwinden.
Die bayerische SPD hat grundsätzliche Probleme mit dem derzeitigen Verfahren. „Die Webseite sollte kein Pranger sein, sondern den Bürgern eine objektive Information über die stattgefundene Kontrolle liefern“, fordert die verbraucherpolitische Sprecherin Sabine Dittmar. Sie wünscht sich, dass alle Untersuchungsergebnisse ins Netz gestellt werden, auch die von den Betrieben, bei denen alles in Ordnung ist. Am liebsten wäre Dittmar außerdem ein Instrument, das den Verbraucher noch schneller und direkter erreicht. Sie will, dass das Ergebnis der jüngsten Hygieneuntersuchung an der Tür des jeweiligen Betriebs verkündet wird, in Form eines Smileys oder einer Ampel.
In Dänemark gibt es den Smiley seit 2001. Am Eingang aller Restaurants und Lebensmittelgeschäfte klebt ein lachendes, lächelndes, neutrales oder weinendes Smiley. Seitdem hat sich die Hygiene in den dänischen Lebensmittelbetrieben stark verbessert.
Aber trotz aller Kritik: Der Online-Pranger sorgt schon jetzt für mehr Hygiene – zumindest in München: Weil manche Gastwirte Angst davor haben, lassen sie jetzt regelmäßig private Kontrolleure ihre Betriebe untersuchen. Die sollen Mängel feststellen, bevor die Lebensmittelkontrolleure kommen.
(Veronica Frenzel)

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