Politik

24.06.2011

„Ich fühle mich als Verbrecherin“

Noch immer spähen einzelne bayerische Behörden mit dem Webseiten-Analysewerkzeug Google Analytics ihre Bürger aus

Als Theresa Schmidt, Tourismusbeauftragte der Gemeinde Unterwössen, im vergangenen Jahr Google Analytics auf der Webseite der Ortschaft installierte, wollte sie nur ihren Job gut machen und mehr Urlauber in das Dorf im Chiemgau locken. „Ich wollte herausfinden, welche Werbung am besten funktioniert und wissen, ob mehr Besucher die Seite ansehen, nachdem ich etwas auf Facebook schalte oder in der Tageszeitung“, erklärt sie. „Und ich fragte mich, welche Inhalte die Leute interessieren, um davon mehr zu bringen.“
Doch jetzt hat Theresa Schmidt das Gefühl, ein Verbrechen begangen zu haben. Der bayerische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri erklärte öffentlich, viele Behörden im Freistaat würden gegen den Datenschutz verstoßen – weil sie Google Analytics nutzen. Das Problem: Das Analysewerkzeug hilft nicht nur, das Verhalten der Besucher auf Webseiten zu analysieren.
Es werden auch die IP-Adressen der Besucher erfasst und anschließend Google zugänglich gemacht. Und über die IP-Adressen werden Informationen über die Menschen hinter dem Computer bekannt.


Anonymisierung reicht laut Datenschützern nicht aus


„Weil keine Einwilligung der Nutzer vorliegt, ihre persönliche Daten mitzuteilen, stellt der Einsatz des Google-Auswertungstools einen Verstoß gegen das Telemediengesetz dar“, erläutert Petri. Schmidt ist nicht die einzige Angestellte einer Kommune, die Google Analytics auf einer öffentlichen Seite installiert hat. Der Datenschutzbeauftragte untersuchte im Herbst 2010 die Webauftritte von rund 2500 Behörden, 222 arbeiteten mit dem umstrittenen Analysewerkzeug.
Einige Behörden hatten bei der Installation zwar eine Anonymisierungsfunktion gewählt. Dabei werden die IP-Adressen der User nur verkürzt dargestellt und es ist schwieriger, auf den Menschen zu schließen. Doch auch wenn man diese Funktion installiert, ist das Tool laut Datenschutzbeauftragtem nicht korrekt. Google Analytics müsse von den Computern der Behörden verschwinden, forderte er.
Das Analyseinstrument ist Marktführer in Deutschland, rund 83 Prozent der Unternehmen nutzen es. Rainer Hutka, Sprecher des bayerischen Innenministeriums, wundert es deshalb nicht, dass auch die Gemeinden es installiert haben. Achim Sing, Sprecher des Bayerischen Städtetags, erklärt: „Google Analytics ist einfach zu benutzen und auch noch kostenlos.“
Sowohl aus dem Innenministerium als auch aus dem Städtetag heißt es, nach der Warnung des Datenschutzbeauftragten hätten Kommunen und Behörden das Problem erkannt und Google Analytics entfernt.
Doch ganz so schnell ging es nicht: Der bayerische Datenschutzbeauftragte warnte die Behörden im September das erste Mal vor dem Instrument.
Und noch einmal, nachdem im Dezember immer noch mehr als hundert Seiten mit dem Werkzeug arbeiteten. „Es dauerte eine Weile, weil die Webseiten meist dezentral verwaltet werden, häufig von privaten Unternehmen“, sagt Innenministeriums-Sprecher Hutka.
Mittlerweile ist auch eine korrekte Alternative bekannt: Der Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein empfiehlt die Software Piwik. Das Instrument ist ebenfalls kostenlos und ähnlich einfach zu nutzen wie Google Analytics.
Die Landtags-SPD hingegen sieht hinter der Google-Analytics-Affäre ein tiefer liegendes Problem: „Die bayerischen Behörden sind viel zu wenig für das Problem des Datenschutzes sensibilisiert“, erklärt Horst Arnold, Mitglied der SPD-Fraktion. „Die Datenschutzbeauftragten in den Behörden müssen regelmäßig geschult werden. Nur so können weitere Fehler vermieden werden.“


FDP wirft CSU mangelndes Problembewusstsein vor


Ähnlich kritisch beurteilt die FDP-Fraktion die Geschehnisse. Deren rechtspolitischer Sprecher Andreas Fischer betont, alle Nutzer des Internets müssten sich nicht nur der Chancen des Internets bewusst sein, sondern auch der Gefahren und Missbrauchsmöglichkeiten. „Leider besteht bei unserem Koalitionspartner noch kein ausreichendes Problembewusstsein“, sagt Fischer. „Aber vielleicht führen Vorfälle wie der mit Google Analytics zu einer Bewegung.“
Doch es sieht nicht danach aus. Petra Guttenberger, Mitglied der CSU-Fraktion im Landtag, hält nicht viel von Schulungen in den Behörden: „Die technischen Entwicklungen auf dem Internetmarkt sind so rasant, dass auch die beste Aufklärung und die strengsten Regeln nicht immer einen datenschutzwidrigen Einsatz von Software mit absoluter Sicherheit verhindern können.“
Guttenberger findet im Gegenteil, dass der Fall Google Analytics sogar gezeigt hätte, wie gut die Datenschutzaufsicht in Bayern funktioniert. „Der Fehler wurde rasch erkannt und umgehend behoben.“
Aus dem Innenministerium heißt es: „Der bayerische Datenschutzbeauftragte hat in dieser Sache erreicht, dass das Datenschutzniveau auf vielen Internetseiten von Gemeinden erheblich verbessert wurde.“
Die Tourismuswebseite von Theresa Schmidts Gemeinde Unterwössen gehört nicht zu denjenigen, die der Datenschutzbeauftragte untersucht hat. Sie hat deshalb auch keine Aufforderung bekommen, Google Analytics von der Seite zu entfernen. „Ich werde erst einmal alles so lassen, wie es ist“, sagt sie. (Veronica Frenze)l

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