Läuft alles so weiter wie bisher, wird Bayern jeglichen Gestaltungsspielraum über den Landeshaushalt verlieren, prophezeit Christian Hagist. Denn dann fressen künftig die Pensionen den Großteil des Etats auf. Deshalb fordert der 34-jährige Volkswirt, der an der Universität Freiburg die Folgen des demografischen Wandels auf die sozialen Sicherungssysteme untersucht: Auch Beamte müssen endlich an den Folgen des demografischen Wandels beteiligt werden. Und das Rentenalter muss weiter steigen.
BSZ: Herr Hagist, kann man In Deutschland noch von einer Generationengerechtigkeit sprechen?
HAGIST: Als Wissenschaftler kann ich mit dem Begriff Gerechtigkeit wenig anfangen, denn sie ist nicht messbar. Die Generationsgleichheit aber können wir ganz gut messen. Also wie der Staat die verschiedenen Generationen finanziell behandelt. Das Ergebnis: Wenn wir alles so weiterlaufen lassen wie bislang, werden die jüngeren Generationen fiskalisch erheblich schlechter dastehen als die heutige Rentnergeneration.
BSZ: Was muss sich ändern?
HAGIST: In Deutschland haben wir die Reform der Rentenversicherung ja schon fast vorbildhaft angepackt. Über den Nachhaltigkeitsfaktor – also der Deckelung der künftigen Rentensteigerungen –, der faktisch eine Rentenkürzung bedeutet, und über die Rente mit 67 wollte man die Generationsgleichheit verbessern. Das hat uns international in der Wissenschaftswelt viel Applaus eingebracht, gesellschaftlich waren die Reformen aber wohl nicht komplett ausdiskutiert. Jetzt rudern wir leider wieder etwas zurück. Es werden immer wieder Ausnahmen beschlossen, die die Effekte dämpfen. Haben Sie 45 Jahre eingezahlt, können Sie mit 65 ohne Abschläge in Rente gehen.
BSZ: SPD-Chef Gabriel stellt die Rente mit 67 bereits ganz in Frage.
HAGIST: Das wäre schlicht falsch. In der Wissenschaft geht man bereits von einer Rente mit 69 auf längere Sicht aus. Zu Adenauers Zeiten hatte ein neugeborener Junge eine Lebenserwartung von 65 Jahren. Er kam statistisch also gar nicht ins Rentenalter. Heute wird ein neugeborener Junge im Schnitt knapp 78 Jahre alt. Und wir werden auch nicht nur immer älter, sondern auch gesünder älter. Deshalb müssten wir auch länger arbeiten.
BSZ: Rente mit 69 – glauben Sie, das ist gesellschaftlich durchsetzbar? Auch die Wählerschaft wird immer älter.
HAGIST: Das stimmt, deshalb haben wir nur noch ein begrenztes Zeitfenster von zehn bis 20 Jahren, um etwas unternehmen zu können. Im Schnitt sind die Wahlberechtigten heute 50 Jahre alt. Sind sie einmal in Rentenalter-Nähe angelangt, wird es kaum noch Chancen geben, am System etwas zu drehen. Deshalb war es wichtig, dass wir bereits in den vergangenen zehn Jahren etwas unternommen haben. Aber jetzt müssten wir auch noch die nächsten zehn Jahre nutzen – in renten-, aber auch gesundheits- und pflegepolitischer Hinsicht.
BSZ: Was halten Sie von Ursula von der Leyens Zuschussrente?
HAGIST: Hier geht es mehr um die Altersarmut, und das ist ein sehr diffiziles Terrain. Denn es impliziert auch immer, dass wir arme Alte anders behandeln als arme Junge. Als Gesellschaft wollen wir nicht, dass jemand unter ein gewisses Niveau sinkt, im Alter gibt es deshalb die Grundsicherung, für Erwerbsfähige Hartz IV und für andere Personen Sozialhilfe. Mit der Zuschussrente würden die Alten nun besser gestellt als die Jungen.
BSZ: Aber viele der armen Alten haben ja auch ihr Leben lang gearbeitet.
HAGIST: Die Frage der Gerechtigkeit kann ich auch hier nicht beantworten. Aber warum soll ein armes Kind schlechter behandelt werden?
"Auf längere Sicht ist die Rente mit 69 notwendig"
BSZ: Sie selbst sind Beamter. Fordern Sie denn auch eine Pension mit 69?
HAGIST: Beamte leben im Schnitt sogar länger, also ja. Hier stellt sich tatsächlich eine Gerechtigkeitsfrage, die sich auch wissenschaftlich beantworten lässt. Denn bislang zahlen die Rentner weit mehr für den demografischen Wandel als die Pensionäre. Die harten Kürzungen, die es bei der Rente gegeben hat, hat es bei den Beamtenpensionen in diesem Umfang nicht gegeben. Manche Länder, darunter auch Bayern, haben zwar die Pension mit 67 verabschiedet. Aber so etwas wie einen Nachhaltigkeitsfaktor gibt es überhaupt noch nicht. Man müsste hier einmal der Beamtenschaft ganz ehrlich sagen: Auch ihr müsst einen Beitrag für das gesamtgesellschaftliche Phänomen der Alterung leisten.
BSZ: Aber?
HAGIST: Zum einen ist die Beamtenlobby äußerst gut organisiert. Zum anderen gibt es auch juristische Grenzen. Bei der Rentenberechnung wird das Einkommen des ganzen Erwerbslebens zugrundegelegt. Bei den Beamten gelten nur die letzten zwei Jahre, in denen man mehr verdient hat als beim Berufsstart. Das darf sich zwar laut Urteil des Verfassungsgerichts nicht ändern. Die Beamtenversorgung darf aber an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst werden. Wir fordern auch so etwas wie einen Nachhaltigkeitsfaktor für Pensionen. Die Pensionierungswelle rollt 2020 los, also noch früher als die Rentenwelle, wo die großen Probleme ab 2030 zu erwarten sind.
BSZ: In Bayern gibt es 200 000 Beamte. Warum müssen Dozenten wie Sie oder Lehrer verbeamtet sein?
HAGIST: Dafür gibt es überhaupt keinen Grund. Wir brauchen Beamte für hoheitliche Aufgaben, da für sie andere Spielregeln gelten, beispielsweise dürfen sie nicht streiken. Polizei und Justizwesen stellen das Gewaltmonopol des Staates dar. Für Professoren und Dozenten gibt es aber keinen sachdienlichen Grund. Und Erzieher sind auch keine Beamten, warum sollen es dann Lehrer sein?
BSZ: Was schlagen Sie vor?
HAGIST: In Baden-Württemberg sieht man bespielsweise, dass, seit die Kommunen für ihre Beamten in einen Versorgungsfonds einzahlen müssen – das sind richtig heftige Umlagen von etwa einem Drittel der Bruttobezüge –, plötzlich viel weniger verbeamtet wird. Hätten wir mehr verpflichtende Rücklagen, würde sich die Politik mit der Frage ganz anders beschäftigen.
BSZ: Der bayerische Landtag diskutiert einen Gesetzentwurf der Regierung zur Neuregelung des Pensionsfonds. Künftig sollen nur noch 100 Millionen Euro pro Jahr eingezahlt werden. Das Argument: Die eingesparten Zinsen durch den Schuldenabbau will man künftig in die Pensionen stecken. 2030 ist das eine Milliarde Euro. Überzeugt Sie das?
HAGIST: Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht ist das eine Milchmädchenrechnung. Denn die Schulden, die wir jetzt tilgen, werden wir später wieder aufnehmen müssen, um dann die Pensionen zu zahlen. Der Maßnahme stimme ich dennoch zu – mit einer anderen Begründung. Es hat sich gezeigt, dass Rücklagen oft beliebig schnell wieder abgebaut werden, um damit ein Loch im Haushalt zu stopfen. Bei einer Schuldenbremse dagegen ist das aus juristischer Sicht nicht so einfach. Deshalb ist Schuldentilgung sicherer und nachhaltiger als ein Pensionsfonds.
BSZ: Im Jahr 2050 – so wissenschaftliche Berechnungen – kosten die Pensionäre den Freistaats 15 Milliarden Euro. Dafür reichen die eingesparten Schuldzinsen nicht.
HAGIST: Ja, und ändert sich nicht grundsätzlich etwas, wird es in 20, 30 Jahren nicht mehr allzu viel Spaß machen, in Bayern Ministerpräsident zu sein. Denn dann wird er kaum mehr etwas zu entscheiden haben. Er muss die Pensionen bezahlen und hat damit im Landeshaushalt keinen Gestaltungsspielraum mehr. Die Bereiche Bildung und Infrastruktur werden das Nachsehen haben.
(Interview: Angelika Kahl)
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