Politik

Rinderspacher geht davon aus, dass Edmund Stoiber seine Kanzlerkandidatur 2002 systematisch demoskopisch vorbereiten ließ. (Foto: dpa)

27.08.2010

"In jedem anderen Land reicht dies für 20 Rücktritte"

SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher über Glanz und Elend der Opposition, die SPD-Diaspora auf dem Land und Konsequenzen aus der CSU-Umfragenaffäre

Momentan radelt der SPD-Fraktionsvorsitzende Markus Rinderspacher durch den Freistaat. Im BSZ-Gespräch sieht er seine Partei im Aufwind, der Mitgliederschwund sei gestoppt. Außerdem rechnet der 41-Jährige damit, dass auch ältere Resonanzstudien der Staatskanzlei brisantes Material enthalten. BSZ: Derzeit sind Sie auf Radltour quer durch Bayern. Was bewegt die Leute?
Rinderspacher: Die Menschen sind sehr neugierig auf die neue bayerische SPD. Was tut sich dort? Neue Gesichter, neue Profile. Die Radltour ist eine sehr gute Form, um mit den Menschen in Kontakt zu treten. BSZ: Wie reagiert denn der durchschnittliche Bayer auf den Pfälzer Rinderspacher?
Rinderspacher: Überall äußerst positiv. Wenn die Inhalte stimmen, spielt es für die Menschen in Bayern keine Rolle, ob ein Politiker schwäbisch, bayerisch, fränkisch oder pfälzisch spricht. BSZ: Mit der Veröffentlichung der Resonanzstudien haben Sie Ihren ersten persönlichen Coup gelandet. Wie genau haben Sie Ihren Gang an die Öffentlichkeit geplant?
Rinderspacher: Ich habe im Februar 2009 – damals war ich vier Monate Mitglied im Landtag – die erste Anfrage gestellt, kurz darauf die zweite. Dann kam die Verfassungsklage und Staatskanzleichef Siegfried Schneider hat uns Mitte Juli die Resonanzstudien zukommen lassen. Dass dies im Sommerloch öffentlich geworden ist, ist ein reiner Zufall. Dieses Thema hätten die Medien ohne Zweifel auch im Frühling oder Winter aufgegriffen. Wenn der Ministerpräsident unter Verdacht steht, Steuergelder missbraucht zu haben, um die eigene Parteikasse zu entlasten, ist das ein Vorwurf, der von Jahreszeiten unabhängig ist. BSZ: Edmund Stoiber hat gesagt, auch Gerhard Schröder habe solche Umfragen in Auftrag gegeben. Ist Ihre Kritik nicht überzogen?
Rinderspacher: Nein, denn im Vergleich zu anderen Bundesländern sind die Studien der Staatskanzlei in einer Art parteiengeprägt, dass dies einmalig ist. Und da hilft auch nicht der Verweis auf andere. Im Übrigen spielt das für mich persönlich überhaupt keine Rolle. Ich habe die Aufgabe, meine Kontrollfunktion als Opposition in Bayern wahrzunehmen. BSZ: Dennoch ist es in den letzten Wochen in dieser Sache ruhig geworden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht, die CSU blockiert, die FDP hält still. Sind Sie verärgert?
Rinderspacher: Ich wünsche mir von der FDP weiterhin Aufklärung. Sie ist etwas zurückgerudert, obwohl sie als erste Partei Rücktrittsforderungen in den Raum gestellt hat. Ich verstehe, dass sich das Bundestagspräsidium und der Oberste Rechnungshof Zeit lassen, weil die Vorwürfe gravierend sind. Meinerseits habe ich beantragt, auch die Umfragen der Jahre 2001 bis 2005 offenzulegen. Ich rechne damit, dass die Staatskanzlei dem nachkommt, und sollte sie dies nicht tun, werde ich wieder klagen. BSZ: Wie brisant sind die älteren Studien?
Rinderspacher: Ich gehe davon aus, dass sich Herr Seehofer in einer Tradition bewegt. Dass im gesamten Jahrzehnt in der Staatskanzlei entsprechende Parteistudien für die CSU auf Kosten des Steuerzahlers in Auftrag gegeben wurden. Ich gehe außerdem davon aus, dass Herr Stoiber sowohl seine Kanzlerkandidatur 2002 systematisch demoskopisch vorbereiten als auch die Landtagswahl 2003 durch eine Zielgruppen-Matrix in Bezug auf die CSU-Wähler entsprechend planen ließ. BSZ: Glauben Sie, dass es personelle Konsequenzen geben wird?
Rinderspacher: Wenn der Bundestagspräsident feststellt, dass ein Verstoß gegen das Parteiengesetz vorliegt, ist dies ein Straftatbestand. Dann wäre Ministerpräsident Seehofer überführt. In jedem anderen Land der Welt reicht dies für fünf, zehn, 15 oder 20 Rücktritte. Also bitte auch in Bayern.
BSZ: Trotz allem hat die Bayern-SPD schlechte Umfragewerte...
Rinderspacher: Unsere Umfragewerte sind hervorragend. Die jüngste besagt, dass wir im Bund eine deutliche rot-grüne absolute Mehrheit haben. Davon profitiert natürlich auch die bayerische SPD. BSZ: In Bayern gibt es Landstriche, die weder einen SPD-Landtags- noch einen SPD-Bundestagsabgeordneten haben. Auch die Mitglieder laufen Ihnen davon.
Rinderspacher: In der Tat gibt es Landstriche, in denen die SPD kaum vertreten ist. Wir haben daraus Konsequenzen gezogen. Wir wollen Verbänden und Vereinen ein Rederecht bei unseren Parteitagen einräumen. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Wir stehen in diesem Sommer besser da, als wir es vor einem halben Jahr selbst für möglich gehalten hätten. Der Mitgliederschwund ist gestoppt. Wir haben sogar viele Neueintritte insbesondere bei jüngeren Mitgliedern. BSZ: Haben Sie konkrete Zahlen?
Rinderspacher: Konkrete Zahlen gibt es nicht, aber wir haben definitiv nicht mehr die Austrittswelle, die es noch im Zuge der Agenda 2010 gab. Damit möchte ich aber nicht schönreden, dass wir in Bayern bei unserer Mitgliedschaft ein Durchschnittsalter von 60 Jahren haben. BSZ: Apropos Agenda 2010: Rente mit 67, Leiharbeit und Hartz IV – Ihre Partei distanziert sich immer mehr von der Agenda. Dennoch hat der DGB die Staatsregierung zu seinem Hauptansprechpartner auserkoren und nicht Ihre Partei. Schmerzt das?
Rinderspacher: Der neue DGB-Vorsitzende Matthias Jena hat uns als erste Fraktion besucht. Ich habe das damals als Signal gewertet. In der zweiten Jahreshälfte stehen eine Reihe von Gesprächen mit den Gewerkschaftsführern an. Die neue personelle Situation stellt eine Chance dar, das Verhältnis zwischen SPD und Gewerkschaften wieder zu verbessern. Wir wissen, dass das in den vergangenen Jahren nicht das Beste war, was vielfach auch mit den handelnden Personen zu tun hatte. BSZ: Hat die SPD überhaupt noch ein Alleinstellungsmerkmal?
Rinderspacher: Ja. Wir setzen unsere Schwerpunkte auf Soziales, Bildung und Wirtschaftspolitik. Die Menschen wissen: Beim Sozialen ist auf die SPD Verlass und wir sind der bildungspolitische Motor im Landtag. BSZ: Diese Themen bieten aber auch die anderen Parteien an.
Rinderspacher: Ich behaupte, dass wir die Partei der sozialen Gerechtigkeit sind. Die Programme der anderen Parteien unterscheiden sich erheblich von unserer Programmatik. BSZ: Die bayerische Linke ist heillos zerstritten. Hoffen Sie aus dieser Ecke auf potenzielle Wähler?
Rinderspacher: Ja. Wer links wählt, muss erkennen, dass er seine Stimme möglicherweise verschenkt. Diese Partei ist nicht politikfähig. BSZ: Ausgerechnet im traditionell konservativen Baden-Württemberg sieht es so aus, als verlöre Schwarz-Gelb bei der anstehenden Landtagswahl die Mehrheit. Wie wird es 2013 in Bayern aussehen?
Rinderspacher: Ich gehe davon aus, dass die SPD in Baden-Württemberg eine große Chance hat an der Regierung beteiligt zu werden. Das hätte unmittelbare Auswirkungen auf Bayern, wenn der konservative Nachbar einen Regierungswechsel vollzieht. Ob Freie Wähler und FDP nochmal den Einzug ins Maximilianeum schaffen, ist fraglich. Bei der Linken gehe ich definitiv davon aus, dass sie es nicht schafft. Die SPD aber könnte mitregieren. BSZ: Mit oder ohne CSU?
Rinderspacher: Wir bauen auf eine Mehrheit jenseits der CSU. Frau Leutheusser-Schnarrenberger ( FDP-Landeschefin, Anm. d. Red.)hat jüngst gesagt, dass es kein Dogma für die FDP sei, immer mit der CSU zu regieren. Jedenfalls wird die CSU die absolute Mehrheit nie mehr erreichen. BSZ: Sind nicht eigentlich die Grünen ihr direkter Gegner? Bei den Umfragen legen diese massiv zu. Wie wollen Sie gegen die ankommen?
Rinderspacher: Wir sehen die Grünen im sportlichen Wettbewerb. Ich war schon immer ein Anhänger des rot-grünen Projekts. In mindestens 90 Prozent aller Fälle gibt es im Abstimmungsverhalten unserer Abgeordneten Übereinstimmung. Das lässt für die Jahre 2013 und folgende hoffen.(Interview: Tobias Lill/Alexandra Kournioti)

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