Politik

Blanke Zerstörungswut, der die Polizei in Hamburg nicht mehr beikam. Auch 1500 Einsatzkräfte aus Bayern waren vor Ort. (Foto: dpa)

14.07.2017

"In München wäre das nicht passiert"

Thomas Bentele, Vize-Chef der Polizeigewerkschaft in Bayern, über die Gewaltorgie in Hamburg, die dortige Einsatzstrategie und welche Lehren die Politik ziehen sollte

Angezündete Autos, verwüstete Straßenzüge, geplünderte Geschäfte – das sind die Bilder, die vom G20-Gipfel bleiben. Auch bayerische Polizisten waren in Hamburg im Einsatz. Unter extremsten Bedingungen, mit nur zwei Stunden Schlaf. Thomas Bentele, Vize-Chef der Polizeigewerkschaft in Bayern, fordert, dass in den Ländern die Bereitschaftspolizei gestärkt werden muss. Auch in Bayern. Dort ächzen aber auch die Inspektionen unter Personalmangel. BSZ: Herr Bentele, hat Sie die Gewaltorgie in Hamburg überrascht?
Thomas Bentele: Mit diesem Ausmaß an Gewalt hat niemand gerechnet, auch wenn wir natürlich wissen, dass die linksautonome Szene rund um die Rote Flora groß ist.

BSZ: War Hamburg also der falsche Ort für den Gipfel?
Bentele: Grundsätzlich muss die Versammlungsfreiheit für alle gelten, auch für unsere Politiker und ihre Gäste. Aber nein, ideal war Hamburg als Veranstaltungsort nicht.

BSZ: Hätte es in München Ausschreitungen in diesem Ausmaß auch geben können? Von der jährlichen Sicherheitskonferenz kennt man das ja zum Glück nicht.
Bentele: Ich persönlich glaube nicht. Wir haben eine sehr erfahrene Polizeiführung und hochmotivierte Beamte. Dazu kommt: In Hamburg werden Bereiche wie zum Beispiel die Rote Flora toleriert. Dort konnten möglicherweise Wurfgeschosse und Brandsätze deponiert werden. Solche rechtsfreien Räume, die als Rückzugsorte für Gewalttäter dienen können, werden in Bayern nicht geduldet.

BSZ: Aus Bayern waren 1500 Polizisten in Hamburg im Einsatz, 78 wurden verletzt. Was haben diese dort erlebt?
Bentele:
Mir wurde berichtet, dass auch bayerische Kräfte in Situationen gekommen sind, in denen sie um ihr Leben fürchten mussten. Sie hatten Angst, dass sie mit Gehwegplatten oder Molotow-Cocktails beworfen werden. So etwas hatten wir in Bayern noch nicht.

"Nur zwei Stunden Schlaf - geht gar nicht"

BSZ: Manche erzählen, sie haben nur zwei Stunden geschlafen. Ist das überhaupt noch vertretbar?
Bentele: Normalerweise beträgt die Ruhezeit zwischen zwei Einsätzen mindestens elf Stunden. Natürlich kann diese einsatzbezogen verkürzt werden. Aber eine Einsatzdauer von über 20 Stunden mit einer Ausrüstung von über 20 Kilogramm bei so großer Hitze – das geht nicht.

BSZ: Waren 21 000 Einsatzkräfte nicht genug?
Bentele: Nein, das zeigt allein die Tatsache, dass Kräfte nachgefordert wurden. Trotzdem hat es nicht gereicht, eine Reserve zu bilden, um Beamte durchtauschen zu können. Hier lag eine Fehleinschätzung vor. Ob man sie der Einsatzleitung vorwerfen kann, weiß ich nicht. Das muss man jetzt in Ruhe aufarbeiten.

BSZ: Die Einsatzstrategie steht jedenfalls in der Kritik. Statt auf Deeskalation zu setzen, hat man schon bei kleinsten Anlässen eine Null-Toleranz-Linie verfolgt. Ein Fehler?
Bentele: Findet noch eine politische Auseinandersetzung statt, kann man mit einer Deeskalationsstrategie oft etwas erreichen. Nicht aber bei Leuten, denen es einzig um Hass und Gewalt geht. Ich befürchte, da lässt sich mit keiner Strategie ein Blumentopf gewinnen.

BSZ: Besteht die Gefahr, dass es in Zukunft immer öfter Situationen gibt, denen der Polizei trotz Großaufgebot nicht mehr Herr wird?
Bentele: Die sehe ich nicht. Die Polizei wird auf solche Vorfälle wie in Hamburg entsprechend reagieren. Und ich hoffe auch, dass die Politik daraus lernen wird. Zum einen, dass man in Zukunft in eine Stadt geht, wo es für gewalttätige Demonstranten nicht so einen großen Nährboden und Rückzugsmöglichkeiten gibt. Zum anderen, dass die Bereitschaftspolizei in den Ländern gestärkt wird. Bayern hat 24 Züge von Einsatzhundertschaften. Wir fordern 30 – das wären insgesamt 900 Mann. Allein ein Zug ist an der Grenze. Dazu kommen unzählige Veranstaltungen – gerade im Sommer, für die ebenfalls zahlreiche Kräfte gebraucht werden.

"Sicherheitswachten machen uns noch mehr Arbeit"

BSZ: Angesichts der Terrorgefahr noch mehr als sonst, oder?
Bentele: Ja, man muss ernst nehmen, dass das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen angesichts des internationalen Terrorismus beeinträchtigt ist. Mit einer größeren Stärke an Einsatzkräften kann man den Bürgern ein Stück weit die Angst nehmen. Auch wenn die Sicherheitslage nicht anders ist als vor fünf Jahren.

BSZ: Innenminister Herrmann erklärt aber doch regelmäßig, die bayerische Polizei habe den höchsten Personalstand aller Zeiten ...
Bentele: Wir haben aber auch den größten Anteil an Teilzeitbeschäftigten aller Zeiten. Auch Polizistinnen und Polizisten gehen in Elternzeit. Der Minister zählt die Köpfe, aber die verfügbare Personalstärke auf den Dienststellen ist zu gering. Kaum eine Inspektion kommt auf ihre Soll-Stärke – obwohl die Beamten mittlerweile über zwei Millionen Überstunden angehäuft haben. Wir arbeiten mit immer weniger Leuten.

BSZ: Von 2017 bis 2020 gibt es 2000 zusätzliche Stellen, reicht das auch nicht?
Bentele: Nein, allein um den Überstundenberg abzubauen, bräuchte es 1500 Polizisten mehr. Und die Belastungen nehmen ständig zu, so dass neue Einheiten erforderlich sind. Sei es im Bereich Cybercrime oder bei den Spezialkommandos, die auf einen Terroranschlag rund um die Uhr reagieren können müssen. Die gibt es nicht im Kaufhaus, man muss sie aus den eigenen Kräften heraus rekrutieren. Dadurch aber entsteht wieder eine Lücke an der Basis.

BSZ: Herrmann will die Sicherheitswachten in Bayern stärken. Können Ehrenamtliche Personaldefizite bei der Polizei kompensieren?
Bentele: Natürlich nicht, wir brauchen komplett ausgebildete Polizeibeamte. Dazu kommt: Oft machen uns Sicherheitswachten noch mehr Arbeit. Denn stellen sie Verstöße fest, – das kann auch eine Kleinigkeit wie unerlaubtes Grillen in der Grünanlage sein –, müssen wir das ahnden. Die Gesamtzahl der Einsätze aber nimmt ohnehin immer mehr zu.

BSZ:
Mit was für Folgen?
Bentele: Es gibt kaum mehr eine Streife, die es schafft, die Vorgänge in der regulären Dienstzeit aufzuarbeiten. Das findet oft in der Freizeit statt – es werden also wieder Überstunden angehäuft.
(Interview: Angelika Kahl) Foto (Sylvia Bentele): Thomas Bentele (44) ist stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). 

Kommentare (1)

  1. hoba am 18.07.2017
    Wichtig wäre für mich, dass unsere Politik endlich begreifen würde, dass das werfen von Brandsätzen ein versuchtes Tötungsdelikt darstellt, auch der Angriff mit gefährlichen Gegenständen wie etwa einer Eisenstange fällt darunter. Politiker und Medien verharmlosen das alles. Wirft ein Demonstrant auf einer politischen Veranstaltung mit Eiern auf einen Politiker, wird er verhaftet und (zunächst) eingesperrt und schließlich auch hart bestraft. Hier zeigt sich die Wertigkeit in unserer Gesellschaft, wo Polizisten "kloppen" zum Volkssport wird und von der Politik und Staat (den wir ja vertreten) geduldet wird. Ich bin froh, dass ich bald in Pension gehe, denn die Gewalt nimmt immer mehr zu.
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