Politik

Laut Mikrozenzus 2015 liegt der Anteil der Erwerbstätigen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst in Bayern bei 11,6 Prozent. (Foto: dpa)

21.10.2016

Interkulturelle Staatsdiener

Die Zahl der Migranten im öffentlichen Dienst wächst – im Vergleich zur Bevölkerung sind sie aber unterrepräsentiert

Mit der Sensibilität für kulturelle Besonderheiten war es früher im öffentlichen Dienst nicht weit her. Damals haben Polizisten zum Beispiel bei der Durchsuchung von Gebetsräumen noch ihre Schuhe angelassen. „Aus den anfänglichen Fehlern vor vielen Jahren hat die Polizei längst gelernt“, versichert der bayerische Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPoIG), Herrmann Benker, der Staatszeitung. Inzwischen würden die Schuhe ausgezogen oder zumindest mit einem Schutzüberzug versehen.

Die Vermittlung interkultureller Kompetenz ist mittlerweile auch ein Schwerpunkt der polizeilichen Aus- und Fortbildung – wie beispielsweise vor Kurzem bei der Arbeitstagung für Polizei- und Sozialwissenschaftler beim Präsidium der Bereitschaftspolizei in Bamberg. Dabei erfuhren die Beamten Hintergründe über andere Kulturen, Religionen, Sitten und unterschiedliche rechtliche Folgen.

Nicht erst seit der Flüchtlingskrise versucht die Polizei, den Anteil von Migranten in ihren Reihen zu erhöhen. Das erleichtert die Arbeit, wenn zum Beispiel Opfer eines Autounfalls kein Deutsch sprechen. Maßgeblich für die Einstellung ist allerdings das Ergebnis der Einstellungsprüfung – Abweichungen davon zur Erhöhung des Migrantenanteils sind nicht erlaubt. Einen Bewerber ohne deutschen Pass einzustellen, ist nur zulässig, wenn ein „dringendes dienstliches Bedürfnis“ besteht.

Ein solcher Bedarf kann laut Finanzministerium zum Beispiel bestehen, wenn das Verständnis „zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und der Verwaltung im Sinne einer möglichst bürgernahen Verwaltung“ verbessert werden soll. „Voraussetzung hierfür ist, dass, dass auch die ausländischen Bewerber – mit Ausnahme der deutschen Staatsangehörigkeit – alle gültigen Einstellungsvoraussetzungen erfüllen“, betont ein Sprecher des Finanzministeriums.

Polizisten in Socken

Besonders häufig wurde diese Ausnahmeregelung jedoch nicht angewandt. Offizielle Zahlen gibt es zwar nicht. Nach Recherchen der DPoIG wurden in den letzten drei Jahren zusammen 16 ausländische Polizeibewerber eingestellt. Heuer waren es neun, nächstes Jahr sind es voraussichtlich sechs. Insgesamt beschäftigt der Freistaat rund 9900 Arbeitnehmer mit ausländischer Staatsangehörigkeit – ausländische Beamte werden bei dieser Statistik nicht erfasst.

Laut Mikrozenzus 2015 liegt der Anteil der Erwerbstätigen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst in Bayern bei 11,6 Prozent – das sind immerhin 1,4 Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt. Selbst die Freien Wähler loben, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund in den kommunalen und staatlichen Behörden sitzen. „Ich persönlich kann mich an Klagen zu mangelnder interkultureller Kompetenz nicht erinnern“, sagt der Vize des Landtags und des Ausschusses öffentlicher Dienst, Peter Meyer (FW), der BSZ.

„Schon vor der aktuellen Flüchtlingssituation wurde begonnen, die Besonderheiten kultureller und religiöser Gruppen, ihre Problemstellungen und Möglichkeiten zur Vorbeugung von Diskriminierung zu erarbeiten“, lobt auch die Vorsitzende des Ausschusses öffentlicher Dienst, Ingrid Heckner (CSU), die Staatsregierung. Eine weitere Steigerung des Beschäftigtenanteils mit Migrationshintergrund sei dennoch „ein wünschenswertes Ziel“.

Eine Erhöhung wünscht sich auch der SPD-Abgeordnete Arif Tasdelen. Denn er ist mit den aktuellen Zahlen absolut nicht zufrieden. Der integrationspolitische Sprecher der Fraktion weist darauf hin, dass rund 20 Prozent der Einwohner Bayerns einen Migrationshintergrund haben. Migranten seien also in der Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. „Eine interkulturelle Öffnung bedeutet auch, dass der öffentliche Dienst ein Spiegel der Gesellschaft sein soll“, mahnt er. Besonders kritisiert Tasdelen, dass interkulturelle Kompetenz noch immer kein fester Bestandteil der Lehrerausbildung ist.

„Das Leck nach oben ist immens“, bestätigt die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), Simone Fleischmann, im Gespräch mit der BSZ. Dabei können mitunter schon Kleinigkeiten zu Missverständnissen führen, beispielsweise wenn ein Lehrer einer muslimischen Schülerin die Hand geben möchte. Lehrer müssten laut Fleischmann in Deutsch als Fremdsprache, in interkultureller Elternarbeit und im Umgang mit internationalen Schülern geschult werden. Außerdem fordert die Präsidentin, mehr Lehrer mit Migrationshintergrund an die Schulen zu bringen. Bisher liegt deren Anteil in Bayern bei lediglich fünf Prozent, das entspricht rund 6000 Lehrern.

Wie viele Hochschullehrer einen Migrationshintergrund haben, ist der Hochschule Bayern nicht bekannt. Doch auch die bayerischen Hochschulen begrüßen ausdrücklich eine verstärkte Bewerbung fachlich geeigneter Akademiker. Um die Internationalität der Lehre zu stärken, würden Gastprofessoren angeworben, für Studierende Wahlpflichtfächer für interkulturelle Kompetenz angeboten und über das Förderprogramm Internationalisierung der Verwaltungen Mitarbeiter für die „Diversität der Herkunft der Hochschulmitglieder“ fitgemacht.

Beim Bayerischen Richterverein wird ebenfalls nicht erfasst, wie viele Richter, Staatsanwälte oder höhere Justizbeamten einen Migrationshintergrund haben. Es sei aber sowieso ausgeschlossen, bestimmte Verfahren aufgrund der ethnischen Herkunft von Beteiligten bestimmten Richtern zuzuweisen, erklärt der Vorsitzende Walter Groß. „Etwaige kulturelle Konflikte müssen deshalb im jeweiligen Verfahren ungeachtet der Herkunft der Kolleginnen und Kollegen von diesen erkannt und bewältigt werden – was ihnen auch gelingt.“

Die Grünen im Landtag wünschten sich für die Zukunft, mehr anonymisierte Bewerbungsverfahren durchzuführen und der Mehrsprachigkeit bei der Bewerbung ein größeres Gewicht zu verleihen. Der grüne Abgeordnete Markus Ganserer erkennt zwar „positive Bemühungen“ der Staatsregierung. „Was die gezielte Anwerbung von Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst anbelangt“, kritisiert er, „hinkt Bayern jedoch anderen Bundesländern hinterher.“ (David Lohmann)

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