Politik

Seehofer treibt die Kanzlerin, weil er selbst ein Getriebener ist, erklärt Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing. (Foto: dpa)

16.10.2015

"Jeder weiß: Transitzonen sind nicht realisierbar"

Die Politologin Ursula Münch über den scharfen Kurs Horst Seehofers in der Flüchtlingspolitik, die Macht der Inszenierung und die Gefahr von Rechtspopulisten

Die Forderung nach Transitzonen ist nur eine Nebelkerze, glaubt Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing. Ebenso wie die Drohung Seehofers, in Karlsruhe gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung zu klagen. Warum Merkel sich trotzdem auf die Forderung der CSU eingelassen hat? „Es ist der Versuch, ein bisschen den Druck rauszunehmen“, sagt Münch. BSZ Frau Münch, angesichts der Flüchtlingskrise haben Rechtspopulisten in ganz Europa Aufwind – auch in Bayern. Ist der Spruch von Franz Josef Strauß, es dürfe rechts von der CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben, noch zeitgemäß? Schließlich hat sich Seehofer schon weit nach rechts gewagt.
Ursula Münch Die Volksparteien müssen die Sorgen der Bevölkerung gerade in der Flüchtlingskrise wahrnehmen. Deshalb würde hier ein strikter Gegenkurs zu Rechtsparteien nicht funktionieren. Eine teilweise Übernahme von Positionen kann dagegen für Bayern und Deutschland  eine Strategie sein, um Wählerwanderungen nach rechts zu verhindern. Aber natürlich ist das ein unheimlicher Balanceakt. BSZ Aktuelle Umfragen aber zeigen doch, dass die Strategie nicht aufgeht. Die CSU hat verloren, und die AfD konnte zulegen.
Münch Aber wie sähen diese Umfragen aus, würde Seehofer eine ganz andere Strategie fahren? Das wissen wir nicht. Man sollte jetzt nicht wie aufgeschreckte Hühner rumlaufen, nur weil die AfD aktuell auf 5 Prozent kommt. Diese Partei ist auch nach ihrer Spaltung noch extrem zerstritten – auch über die Frage, wie weit man sich rechts aus dem Fenster lehnen möchte.

"Seehofer ist selbst ein Getriebener"

BSZ Wenn sich Seehofer selbst rechts aus dem Fenster lehnt, nützt das also der CSU?
Münch
Man darf Seehofers Verhalten nicht nur mit dem Blick auf die AfD betrachten. Migrationspolitik ist für die CSU von jeher ein ganz wichtiges Thema und ein schärferer Kurs nichts Neues. Natürlich spielt der Druck von rechts auch eine Rolle, aber in erster Linie ist es der Druck von Seiten der Kommunen und Landkreise, der dafür sorgt, dass innerhalb der CSU gerade etwas passiert. Hätte Seehofer nicht so energisch Position bezogen, wäre er in der Partei ganz stark unter Beschuss geraten. Söder hat schließlich schon versucht, hier voranzuschreiten.  Mein Eindruck ist: Seehofer versucht, die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende zu treiben, ist aber auch selbst ein Getriebener. BSZ Die Drohung, gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung in Karlsruhe zu klagen, ist also nur eine Show, um in der CSU gut dazustehen?
Münch Es war sicherlich auch ein Versuch, der Bundespolitik zu zeigen: Wir können nicht mehr. Und wir wollen auch nicht mehr. Ein dramatischer Versuch, der aber verpufft ist, weil jeder gewusst hat, dass hier nur eine Nebelkerze geworfen wird. Dass Bayern die Hauptlasten zu tragen hat, ist unbestritten. Aber gegen die Bundesregierung, an der man selbst beteiligt ist, zu klagen, wäre ja albern. Man würde gegen sich selbst klagen. Aber natürlich diente die Drohung auch dazu, der eigenen Partei und vor allem der kommunalen Ebene deutlich zu machen: Wir tun alles, um den Bund unter Druck zu setzen.

"Auch die Kanzlerin profitiert von Seehofers Inszenierung"

BSZ Wollte die CSU den Bürgern nach dem Scheitern von Maut und Betreuungsgeld auch zeigen, dass man noch eine bundespolitische Größe ist?
Münch Die Inszenierung als bundespolitische Opposition war für die CSU für ihren Stand in Bayern schon immer wichtig. Auch ihr Abschneiden bei Landtagswahlen hängt ganz maßgeblich davon ab, wie gut ihr das gelingt. Und die Migration ist nicht nur ein ganz genuines CSU-Thema. Die gesamte Republik nimmt es auch als relevant wahr – im Gegensatz zu den Themen Betreuungsgeld oder Maut, in denen nun wirklich nicht jeder in Deutschland zentrale Themen der Bundespolitik gesehen hat. Die CSU hat jetzt die Gelegenheit, ihre Kernkompetenz herauszukehren. Aber auch die Kanzlerin profitiert von dieser Inszenierung. Denn mit den Positionen der CSU in der Flüchtlingsfrage deckt die Union auch Positionen ab, die die CDU aktuell alleine nicht mehr abdeckt. Das vergrößert die Anhängerschaft. BSZ Besteht nicht die Gefahr, Ängste in der Bevölkerung zu befeuern, wenn man den Eindruck erweckt, die Lage sei außer Kontrolle. Seehofer sprach sogar von Notwehr und einer Kapitulation des Rechtsstaats.
Münch Ja, ganz klar. Natürlich kann man nicht so tun, als wäre alles in Ordnung. Aber die Ankündigung von Notwehr suggeriert, dass Politik, Parteien und Bundesregierung nicht mehr handlungsfähig seien. Und das ist natürlich Wasser auf die Mühlen der rechten Parteien. Seehofer würde hier einwenden, nicht sein Notruf sei das Wasser auf die Mühlen, sondern die Hilflosigkeit, die die Bundespolitik an den Tag legt. Aber egal, wie man das nun interpretiert: Ja, es ist brandgefährlich. BSZ Mit der Einigung auf Transitzonen in Grenznähe kann sich Seehofer als Richtungsweiser und Taktgeber in der Bundespolitik inszenieren. Ist für ihn also die Strategie aufgegangen?
Münch Ja, aber doch nur vorübergehend. Bald werden wir alle feststellen, dass es mit diesen Transitzonen nicht hinhaut. Es ist ein Unterschied, ob ich am Flughafen weiß, aus welchem Flugzeug jemand gestiegen ist und damit auch, aus welchem Land er gekommen ist, oder ob ich an der österreichischen Grenze tausende Menschen habe, von denen ich das eben nicht weiß.

"Merkel zeigt, dass sie vor einer deutlichen Modernisierung der CDU nicht zurückschreckt"

BSZ Warum haben sich Merkel und die CDU dann darauf eingelassen?
Münch Ich glaube, es ist ein Versuch der Kanzlerin, sich für den Augenblick zu entlasten. Diese Entscheidung nimmt jetzt ein bisschen den Druck raus. Aber wie gesagt, Transitzonen werden scheitern. Sie sind keine Lösung für die Flüchtlingsproblematik und auch keine für die Wahrnehmung der Bevölkerung, dass der Staat nicht mehr ausreichend handlungsfähig ist. BSZ Der Streit zwischen Seehofer und Merkel ist jetzt erst einmal entschärft. Dafür gibt es großen Unmut in der SPD. Besteht eine Gefahr für die Große Koalition?
Münch Nein, das hält sie aus. Eine Gefahr aber besteht darin, dass man nun jeden Vorschlag des anderen torpediert. Das wäre fatal, denn es würde die Wahrnehmung der Bevölkerung, dass die Regierung nicht in der Lage ist, das Problem in den Griff zu bekommen, verstärken. Es ist also zu hoffen, dass obwohl nach außen hin über den Vorschlag von Transitzonen gestritten wird – von dem ja ohnehin jeder weiß, dass er nicht realisierbar ist –, gleichzeitig an Lösungen weitergearbeitet wird. In zwei Wochen wird ein Gesetz mit einer ganz dramatischen Veränderung der Asylrechtsgewährung verabschiedet. Man konnte sich auf erstaunlich vieles einigen. Schafft es das Gesetz auch durch den Bundesrat, wird das sicher einiges verändern. BSZ Unter anderem sollen Geld- auf Sachleistungen umgestellt werden und Leistungen an Ausreisepflichtige beschränkt werden. Ist es tatsächlich denkbar, dass das von grün regierten Ländern mitverabschiedet wird?
Münch Ja, denn der Druck wird so groß, dass auch sie sich ihm nicht entziehen können. Außerdem werden Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann und die grünen Landräte ihren Beitrag dazu leisten. Man sieht also: Es wird keineswegs nur gestritten, es gibt auch Baustellen, auf denen relativ zügig und geräuschlos gearbeitet wird. BSZ Warum rückt Merkel nicht von ihrem Mantra „Wir schaffen das“ ab? Immerhin sinken ihre Umfragewerte.
Münch Ich glaube, dass ihr das tatsächlich ein Herzensanliegen war, sie sah darin eine humanitäre Notwendigkeit. Davon kommt sie nun aber relativ schwer wieder runter. In der Entscheidung für Transitzonen kann man durchaus bereits ein gewisses Abrücken von der Position wahrnehmen. Mit einem kompletten Schwenk aber würde sie ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Und sie zeigt damit, dass sie vor einer deutlichen Modernisierung der CDU nicht zurückschreckt.
(Interview: Angelika Kahl)

Kommentare (2)

  1. Hebel am 15.10.2015
    Das Betreuungsgeld abschaffen, weil sich die Zeiten geändert haben oder das Geld anderweitig besser eingesetzt wäre? Der Entwicklungsverlauf des Gehirns des Kleinkindes in den ersten 3 Lebensjahren hat sich seit Jahrtausenden nicht verändert. Er ist vielmehr derart komplex und vielschichtig, dass man sich nie akut an diese 3 ersten Jahre erinnern kann.
    Warum soll z. B. eine Mutter auf das Betreuungsgeld verzichten und ihr Kind, das sie 9 Monate getragen hat, gleich wieder abgeben, zumal die Aufbewahrung in der Krippe/Kita nicht unproblematisch ist.
    Sorgfältige Recherchen weisen deutlich auf die beachtlichen Probleme der scheinbar alternativlos propagierten Krippe (Stresshormonausschüttung: Cortisol, Wachstumshormonreduktion infolge Schlafmangel, Zerstörung der für die frühkindliche Sprachentwicklung wichtigen Dyadenbindung an die Mutter, auf deren Stimme der Foet bereits ab der 20. Entwicklungswoche massiv fixiert ist) hinweisen, wodurch z. B. mangelnde Stressresistenz und Angstbewältigung, Sprachentwicklungsstörungen (Lese- Rechtschreibstörungen) und auch ADHS teilweise zurückführbar sind. [siehe „Kinder – Die Gefährdung ihrer normalen (Gehirn-) Entwicklung durch Gender Mainstreaming“ in: „Vergewaltigung der menschlichen Identität. Über die Irrtümer der Gender-Ideologie, 6. Auflage, Verlag Logos Editions, Ansbach, 2015: ISBN 978-3-9814303-9-4 (http://www.amazon.de/Vergewaltigung-menschlichen-Identität-Irrtümer-Gender-Ideologie/dp/3) und „Es trifft Frauen und Kinder zuerst – Wie der Genderismus krank machen kann“, Verlag Logos Editions, Ansbach, 2015: ISBN 978-3-945818-01-5 (http://www.amazon.de/trifft-Frauen-Kinder-zuerst-Genderismus/dp/394581801X
  2. Jens am 15.10.2015
    "nur weil die AfD aktuell auf 5 Prozent kommt. Diese Partei ist auch nach ihrer Spaltung noch extrem zerstritten"

    Und genau das stimmt einfach nicht. Sicher wird in der Partei weiter über den Kurs diskutiert aber mein Gott, solche grundsätzlichen Fragen gibt es in jeder Partei. Aber generell muss man sagen das nach dem Abgang von Lucke und Co. der große Streit eben weg ist! Die "neue" AfD ist gefestigter denn je!
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