Politik

Der Admiralfalter gehört zu den schönsten heimischen Schmetterlingen – ist aber stark gefährdet. (Foto: dpa)

28.07.2017

Kein großes Flattern mehr

Zu viele Umweltgifte und immer weniger Naturflächen: In Bayern sorgen sich Wissenschaftler um die Insekten, einige Arten sind akut vom Aussterben bedroht

Auch wenn die kleinen Biester mitunter ganz schön nerven können, für Natur und Umwelt sind sie extrem wichtig. Um bis zu 80 Prozent habe sich der Bestand der Insekten in Deutschland verringert, so Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Doch wie aussagekräftig sind die Zahlen, und was bedeuten sie für Bayern? Forscher sind sich einig: Die Bestände gehen auch im Freistaat deutlich zurück. Politikern wird ja gerne vorgeworfen, sie hätten wenig mit der Lebenswelt der normalen Leute gemein. Doch die Erfahrung von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, von der sie vor Kurzem öffentlich berichtet hat, dürften auch viele Menschen im Freistaat teilen: Wer heute übers Land fahre, finde „danach kaum noch Insekten auf der Windschutzscheibe“, erklärte die SPD-Politikerin.

Hendricks’ Ministerium zufolge hat sich der Bestand an Insekten in Teilen Deutschlands seit 1982 um bis zu 80 Prozent verringert. Besonders gefährdet seien Falter, Heuschrecken und Schwebfliegen. Einige Arten seien vom Aussterben bedroht.

Zweifel, dass die Insekten hierzulande in großer Zahl zugrunde gehen, hat kein seriöser Forscher. Doch der renommierte Zoologe Wolfgang Wägele weist mit Blick auf die Zahlen aus Hendricks’ Haus darauf hin, dass es „bislang keine bundesweiten wissenschaftlichen Daten über den Umfang des Artensterbens bei Insekten gibt“. Es existierten lediglich aus Nordrhein-Westfalen umfassende und aussagekräftige Zahlen für die vergangenen drei Jahrzehnte, sagt der Professor an der Uni Bonn der Staatszeitung.

Der in Krefeld beheimatete Entomologische Verein hatte von 1989 bis 2014 an 88 Standorten in NRW Insektenfallen aufgestellt. Teils beliefen sich die Rückgänge der Population an Fluginsekten auf bis zu 70 Prozent, an einzelnen Orten sogar auf bis zu 80 Prozent.

Bis zu 99 Prozent weniger Schmetterlinge in Bayern

Lassen sich derlei Zahlen auf Bayern übertragen? Beim Bayerischen Landesamt für Umweltschutz heißt es, es gebe keine verlässlichen Daten über ein mögliches Insektensterben im Freistaat. Doch Wägele ist überzeugt: „Es ist davon auszugehen, dass die Entwicklung in Bayern und den meisten anderen Bundesländern ähnlich verlief.“ Ausgenommen hiervon seien jedoch „die Bergregionen, wo das Artensterben aufgrund der dort weniger verbreiteten konventionellen Landwirtschaft in weit geringerem Tempo voranschreite dürfte“. Auch in Wäldern dürfte die Zahl der Insekten nicht so stark gesunken sein.

Das Voralpenland könnte demnach also weniger vom Insektensterben betroffen sein als andere Teile Bayerns. Wägele sagt aber auch: „In der Fläche ist der Trend klar. Das zeigen auch Fallstudien von deutlich zurückgegangenen Beständen in Frankreich und England. Warum sollte es hier anders sein?“
Längst sind Experten im Freistaat alarmiert: Die Bestände an Schmetterlingen in Bayern seien in den vergangenen Jahren „um 90 bis 99 Prozent“ geschrumpft, sagte Andreas Segerer, Oberkonservator der Zoologischen Staatssammlung, dem Bayerischen Rundfunk. Fünf Prozent der Arten seien seit der Jahrtausendwende in Bayern nicht mehr nachweisbar. Auch die Europäische Umweltagentur (EUA) hatte zuletzt gewarnt, der Bestand von 17 der in Europa beobachteten Schmetterlingsarten sei zwischen 1990 und 2011 um die Hälfte zurückgegangen.

Für Umweltschützer und viele Forscher sind die Ursachen für das Massensterben klar: Der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft und die Zersiedelung mit immer kleineren Lebensräumen setze den Insekten insgesamt stark zu, so Segerer. Auch Wägele geht davon aus, „dass dieses flächendeckende Artensterben bei den Insekten auf Umweltgifte zurückzuführen ist“.

Fakt ist: Die Gesamtmenge der in Deutschland ausgebrachten Pflanzenschutzmittel legte laut Bundesregierung allein zwischen 2009 und 2015 um rund 4600 auf 34 700 Tonnen zu. Das Umweltbundesamt sieht durch deren Einsatz „zahlreiche Risiken für die Umwelt einschließlich der biologischen Vielfalt“.

Zugleich gingen viele Naturflächen verloren. „Hecken werden entfernt, Feuchtstellen trockengelegt“, kritisiert Wägele. Ein weiteres Problem: „Das Ammoniak von Düngemitteln verteilt sich über die Luft und führt dazu, dass seltenere Pflanzen, auf die manche Schmetterlinge angewiesen sind, weniger werden.“ Weltweit könnten sich 75 Prozent unserer Nutzpflanzen ohne Bestäubung durch Insekten nicht fortpflanzen. Und viele Vögel werden in Bayern – auch als Folge des Insektensterbens – immer seltener. Ein Drittel aller Vogelarten in der EU zeigt seit Ende der Neunzigerjahre eine signifikante Bestandsabnahme.

Jeder Einzelne kann etwas für den Schutz von Insekten tun

„Die heutige Landwirtschaft macht den Insekten das Überleben schwer“, sagt auch Bundesumweltministerin Hendricks. Ihre Behörde rechnet mit einem weiteren Insektensterben. Hendriks fordert, bei der EU-Agrarförderung Landwirte nicht mehr nach Hektarzahl zu bezahlen, „sondern nach dem, was sie für die Allgemeinheit leisten, zum Beispiel für den Artenschutz“. Und die Zulassung des umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat durch die EU-Kommission müsse an „effektive Auflagen zum Schutz der Artenvielfalt“ gekoppelt werden.

Die SPD-Landtagsfraktion attackiert dagegen massiv die CSU. Diese sei eine „Glyphosat- und Pestizidpartei“, so deren umweltpolitischer Sprecher Florian von Brunn. Sie mache sich damit zum „Komplizen der Agrochemie-Konzerne“, poltert er. Allerdings gibt es auch bei den Christsozialen Politiker, die den zunehmenden Einsatz der umstrittenen Pflanzenschutzmittel durchaus kritisch sehen. Überdies sind bei der Begrenzung des Pestizideinsatzes vor allem Brüssel und Berlin gefragt. Andere mögliche Ursachen für das Insektensterben wie der Flächenverbrauch können dagegen auch auf Landesebene wirksam bekämpft werden.

Bayerns Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) versichert: „Wir nehmen das Thema Artenschutz sehr ernst.“ Das Ministerium setzte auf „vielfältige Maßnahmen, um den Bestand wildlebender Insekten zu sichern“. Landschaftspflege und Vertragsnaturschutz seien „entscheidende Werkzeuge für den Natur- und Artenschutz in Bayern“, so Scharf. Mit Fördermitteln von jährlich über 40 Millionen Euro werden dem Ministerium zufolge im Freistaat etwa 85 000 Hektar Flächen naturnah bewirtschaftet. 19 000 Landwirte nehmen den Angaben zufolge am Vertragsnaturschutzprogramm teil.

Doch auch jeder Einzelne könne „etwas zum Schutz der kleinen Lebewesen beitragen“, sagt Scharf. Tatsächlich sollten Gartenbesitzer auch Blühwiesen anlegen. Und Kinder können sogenannte Insektenhotels aus Holz und anderen Naturstoffen bauen. Diese dienen als Nistplätze. Und wenn alles gut geht, können sich Klein und Groß dann auch weiterhin über das laute Summen von Bienen, Hummeln und anderen Insekten freuen. (Tobias Lill)

Kommentare (1)

  1. Opal am 23.08.2017
    Waldsterben, Tschernobyl, Ozonloch, BSE, Schweinegrippe, Vogelgrippe, Fukushima, Diesel. Zu all diesen tödlichen Gefahren gesellt sich jetzt noch das Insektensterben. Wir werden auch das überleben.
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