Politik

Stefan Körner arbeitet freiberuflich als Software-Entwickler – noch, denn künftig will er sich ganz auf die Politik konzentrieren. (Foto: Thilo Schumann)

16.12.2011

"Keiner von uns ist Politikprofi"

Bayerns Piratenchef Stefan Körner über den momentanen Höhenflug seiner Partei, die Legalisierung harter Drogen und Schwierigkeiten eines Wahlkampfs mit geringen Mitteln

Sechs Prozent der Bayern würden heute die Piraten wählen, so eine Forsa-Umfrage. Landeschef Stefan Körner ist sich sicher: Die Piraten schaffen 2013 den Einzug in den Landtag. In Jeans und Wollpulli sitzt der 43-jährige Amberger im Café eines Münchner Hotels vor seinem Milchkaffee und erklärt, warum er nicht alle Beschlüsse des Piraten-Parteitags in Offenbach toll findet. BSZ: Herr Körner, der Erfolg der Piraten zieht Stimmen von SPD, Grünen und vielleicht auch Freien Wählern ab. Sofern Sie 2013 den Sprung in den Landtag schaffen und nicht mit den drei genannten koalieren, profitiert dann die CSU. Wie gefällt Ihnen das?
Körner: Aber was ist denn die Alternative? Aufgeben? So weit geht mein Opferbedürfnis für die politischen Ziele der anderen nicht. Unsere eigenen Ziele sind wichtig genug. BSZ: Aber zu vielen Themen haben die Piraten ja noch nicht einmal eine Position. Wie gehen Sie zum Beispiel mit dem Thema Eurokrise um?
Körner: Das stimmt, gerade für im Bereich der Wirtschaftspolitik angesiedelte Themen hat die Piratenpartei noch keine klare Position gefunden. Das Ausarbeiten von politischen Inhalten dauert, da muss man Geduld haben. Aber jede Partei wird auch ein Stück weit für das Lebensgefühl gewählt, für das sie steht. BSZ: Für welches Lebensgefühl stehen die Piraten?
Körner: Wir sind die einzige Partei, die Bürgerrechte und die Freiheit des Individuums hoch genug ansetzt. Die FDP hat das Thema vor vielen Jahren verraten. BSZ: Sind Sie mit den jüngsten Beschlüssen des Piraten-Parteitags in Offenbach zufrieden?
Körner: Nein. Nach meinem Gefühl hätten wir Beschlüsse fassen können, die breiter aufgestellt wären. BSZ: Ihre älteste Tochter ist 16, geht es nach den Piraten, soll sie ganz legal auch an harte Drogen kommen. Wollen Sie das tatsächlich?
Körner: Mit reinen Verboten hat man noch nie viel erreicht. Es ist notwendig, den Menschen zu erklären, worum es geht, um ihnen dann ein Stück weit selbst die Entscheidung zu überlassen. Viele halten die Unterscheidung zwischen legalen Drogen, also Alkohol und Nikotin, und illegalen wie Marihuana, für relativ willkürlich. An diesem Punkt zu rütteln, ist grundsätzlich richtig. BSZ: Aber die Piratenpartei will auch keine Trennlinie mehr zwischen Alkohol und Heroin.
Körner: Ich bin tatsächlich überrascht, dass sich die komplette Freigabe von Drogen aus unseren beiden Beschlüssen konstruieren lässt. Denn der eine hebt die Trennung zwischen harten und weichen Drogen auf und der andere fordert die Legalisierung. Wenn man beide hintereinander schaltet, kommt man unter Umständen zu einem Ergebnis, das in die falsche Richtung läuft.

"Jede Partei hat zehn Prozent Idioten"

BSZ: Also alles nur ein Missverständnis? Sie wollen gar keine Legalisierung harter Drogen?
Körner: Persönlich sehe ich die komplette Freigabe aller Drogen tatsächlich sehr kritisch. Heroin ist eine stark süchtig machende Substanz. BSZ: Halten Sie die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen echt für realisierbar?
Körner: Ich verstehe die verzweifelte Suche nach einer Alternative. Unser Sozialsystem ist heute nur noch eine Ruine dessen, was es früher einmal war. Allerdings glaube ich nicht, dass der Weg, jedem einfach Geld zu geben, der richtige ist. Ich halte es für naiv zu glauben, dass ein kompletter Austausch des Sozialsystems keine weiteren Auswirkungen hätte. Wenn sich dadurch aber die Mieten verdoppeln und alles teurer wird, hilft das den sozial Schwächeren gar nichts. Ich halte es für gefährlich, solch ein Experiment auf dem Rücken vieler Millionen Menschen auszutragen. BSZ: Aber ist es nicht kurios, dass Sie – als führender Kopf der Piraten – mit grundsätzlichen Positionen der Partei nicht übereinstimmen?
Körner: Mit grundsätzlichen Beschlüssen stimme ich doch überein. Zum Thema Grundeinkommen: Wir wollen, dass der Bundestag eine Enquete-Kommission einberuft, die ein realistisches Modell für das Grundeinkommen ausarbeitet. Das soll anschließend der Bevölkerung in einer bundesweiten Volksabstimmung vorgelegt wird. Das sind Hürden, die dafür sorgen könnten, dass das Ding scheitert. BSZ: Also ist der Beschluss zum bedingungslosen Grundeinkommen doch nur eine Spaß-Forderung?
Körner: Nein. Ein entscheidender Vorteil dieses Beschlusses könnte sein, dass etablierte Parteien ihre Haltung zum Thema soziale Grundsicherung überdenken. BSZ: Bei Ihren Parteitagen gibt’s keine Delegierten, es kann einfach jeder kommen. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass deshalb künftig noch viel extremere Beschlüsse gefasst werden?
Körner: In Bayern haben wir unsere Mitgliederzahl in nur ein paar Monaten verdoppelt. Im September waren wir noch 2600, bis zum Jahresende rechnen wir mit 5000. Aber dass wir extrem in einer Richtung werden, halte ich für ausgeschlossen. 19 000 Mitglieder bundesweit sorgen schon für eine gewisse Trägheit, was politische Wechsel betrifft.

"Manche Diskussionen laufen seltsam"

BSZ: Erstaunlich, ich hätte damit gerechnet, dass Sie mit der Intelligenz der Mehrheit argumentieren und nicht mit deren Trägheit.
Körner: Ich tu mich da ein bisschen hart. Ein früherer Vorsitzender der Piratenpartei hat einmal gesagt: Niemals könnte ein Einzelner von uns so dumm sein wie wir alle zusammen. Die Entscheidungsfindung der Menge ist mitunter etwas seltsam nachzuvollziehen – gerade wenn man sich so manche Diskussionen auf unseren Parteitagen ansieht. Aber eine Mehrheit für Menschen mit obskuren Absichten wird es bei uns nicht geben. BSZ: Wie viele Spinner sind in Ihrer Partei?
Körner: Gysi hat mal sinngemäß gesagt: Jede Partei hat zehn Prozent Idioten. Aber ich denke, dass das eine demokratische Partei aushalten muss. BSZ: Sie wollen jetzt eine Parteizentrale in München einrichten. Ist das der Auftakt für den Wahlkampf?
Körner: Nein, das ist völlig illusorisch. Wir haben weder die Leute noch die Mittel, um einen Wahlkampf fast zwei Jahre lang durchzuhalten. Unser Wahlkampf wird deshalb auch nicht mit einem großen Paukenschlag beginnen. Es wird immer wieder einzelne Aktionen geben, die dann im Laufe der Zeit vielleicht mehr werden.

BSZ: Sie arbeiten freiberuflich als Softwareentwickler, bleibt da überhaupt Zeit für den Wahlkampf?
Körner: Das ist tatsächlich ein Spagat. Im Augenblick läuft es darauf hinaus, dass ich mich komplett auf die Politik konzentrieren werde. Auch meine beiden Töchter freuen sich, wenn sie noch ein paar Stunden in meinem Terminkalender Platz finden. Für Privates und Freizeit bleibt im Moment aber kaum Zeit. BSZ: Wo, glauben Sie, stehen Sie in fünf Jahren? Träumen Sie von einer Regierungsbeteiligung?
Körner: Ob das ein Traum oder ein Albtraum ist, weiß ich im Augenblick nicht. Es ist utopisch zu glauben, dass wir alles wüssten, um dieses Land regieren zu können. Wahrscheinlich hätten wir genauso viel Angst wie Sie, würden wir nächste Woche Regierungsverantwortung übernehmen. Keiner von uns ist heute Politikprofi. Ich bin allerdings fest davon überzeugt, dass wir in den nächsten fünf Jahren in allen wichtigen Parlamenten vertreten sein werden.
(Interview: Angelika Kahl)

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