Politik

Rinderhaltung in Florida. Angelika Schorer (CSU) staunt, wie lässig die Amerikaner Hormonzusätze im Fleisch sehen. (Foto: LTA/Preis)

21.11.2014

Kulturschock in Orlando

Fünf Landtagsausschüsse waren diese Woche auf Reisen - in den USA, auf Zypern, in Brüssel und der Steiermark: Was hat’s gebracht?

Orlando, Florida – es gibt schlimmere Reiseziele, vor allem im November. In Urlaubsstimmung ist der Grünen-Abgeordnete Ulrich Leiner trotzdem nicht. Touristische Annehmlichkeiten wie Ausschlafen, Sonnenbaden oder Shoppen blieben ihm bislang verwehrt. Das Programm der sechstägigen Informationsreise, an der Leiner, Vizevorsitzender des Agrarausschusses, mit seinen Kollegen von CSU, SPD und FW teilnimmt, ist ambitioniert. „Das geht von sieben Uhr morgens nonstop bis 21 Uhr“, stöhnt Leiner, der beim Telefonat mit der Staatszeitung um 6 Uhr Ortszeit bereits wach ist. Um überhaupt was von Orlando zu sehen, ist er frühmorgens durch den Ort gejoggt.
Anlass der Reise ist das umstrittene Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. In der Kritik stehen vor allem die geplanten US-Lebensmittelexporte – chlorierte Hähnchen und hormonbelastetes Fleisch. Was Leiner und seine CSU-Kollegin Angelika Schorer, die Vorsitzende des Agrarausschusses, geschockt hat: wie entspannt die Amerikaner Hormonzusätze im Fleisch sehen. „Die haben ein völlig anderes Empfinden, was gesundheitsschädlich ist“, staunt Schorer über die ansonsten gesundheitsfixierten US-Bürger. Die Amerikaner, klagt Grünen-Politiker Leiner, „haben eine ganz eigene Sicht auf die Dinge und interessieren sich nicht wirklich dafür, was in Europa los ist.“ Leiner und Schorer setzen weiter darauf, Fleischimporte aus dem Freihandelsabkommen auszuklammern, haben aber in den Gesprächen vor Ort erkannt, wie schwer das wird.

Kritik an Abgeordnetenreisen ist leiser geworden


Überraschendes erlebte auch der Hochschulausschuss, der ebenfalls die USA besuchte. Die Hochschulpolitiker des Landtags besuchten in New York und Boston amerikanische Elite-Unis, informierten sich über deren Personal- und Finanzpolitik. Ausschusschef Michael Piazolo von den Freien Wählern staunte nicht schlecht über die horrenden Summen, die US-Unis über Spenden einnehmen. „Harvard hat rund 200 Leute, die nur mit Fundraising beschäftigt sind“, berichtet Piazolo. Und für die Uni-Chefs gelte die Maxime: „Jeder muss bis zum Lunch eine Million Dollar akquiriert haben.“ Dass Uniprofessoren mit Dollarzeichen in den Augen herumlaufen, wünscht sich Piazolo hierzulande zwar nicht. Gleichwohl meint er, dass ein bisserl mehr Spendengelder auch bayerischen Unis gut täten. „Wir müssen überlegen, welche rechtlichen Möglichkeiten wir dafür haben.“ Nachdenklich gemacht hat ihn auch, dass US-Professoren an Spitzenunis keineswegs exorbitante Gehälter kassieren. „Die Hochschulen setzen bei der Personalrekrutierung auf andere Faktoren“: auf die urbane Lage, das kulturelle Angebot einer Metropole oder die Möglichkeit, am Campus zu wohnen.

SPD-Politikerin befremdet über Zyperns Asylpolitik


Der Petitionsausschuss informierte sich bei seiner viertägigen Zypern-Reise über die Asylpolitik des Inselstaats. „Die Zahl der Asylsuchenden dort nimmt ab“, berichtet die stellvertretende Ausschussvorsitzende Johanna Werner-Muggendorfer (SPD). Ihr missfällt die „Vermeidungsstrategie“ Zyperns im Umgang mit Flüchtlingen. So erhalten Asylsuchende dort statt Geldleistungen nur noch Essenspakete. Mit den Themen Asyl und Migration befasste sich auch der Europaauschuss auf seiner zweitägigen Brüsselfahrt.
Im Fokus des Bildungsausschusses stand während dessen zweitägiger Steiermark-Reise die dortige Inklusionspolitik. Die Steiermark ist inklusive Modellregion. Weil in Österreich bis 2020 Sonderschulen abgeschafft sein sollen, müssen alle Lehrer für inklusives Unterrichten von Kindern mit und ohne Beeinträchtigung ausgebildet sein. Gerhard Waschler (CSU), Vizevorsitzender des Bildungsausschusses, staunte darüber, dass der Inklusionsanteil in Graz bereits 80 Prozent beträgt. „Wir müssen prüfen, welche Maßnahmen wir in Bayern übernehmen“, kündigt er an.

Transparenzinitiative Abgeordnetenwatch fordert öffentliche Vorab-Kontrolle


Dass sich ihre meist strapaziösen Reisen gelohnt haben, meinen alle Ausschüsse. Und werden dabei unterstützt von Landtagspräsidentin Barbara Stamm. „Es ist wichtig, vor Ort Informationen einzuholen, um die Lage so einzuschätzen, dass man daraus auch Schlüsse für sein eigenes politisches Handeln ziehen kann“, betont Stamm. Das sehen offenbar auch frühere Kritiker von Abgeordnetenreisen so. Zum Beispiel der Bund der Steuerzahler in Bayern: „Früher haben wir solche Reisen als Verschwendung betrachtet“, sagt Vizepräsidentin Maria Ritch. Inzwischen meint sie, „dass ein Blick über den Tellerrand nicht schadet“. Zudem bemühten sich die Abgeordneten inzwischen, mit einem straffen Arbeitsprogramm dem Eindruck von Vergnügungstrips entgegenzuwirken.
4400 Euro bekommt jeder Abgeordnete pro Wahlperiode für Informationsreisen. Daran hat auch die Transparenzinitiative Abgeordnetenwatch nichts auszusetzen. „Grundsätzlich“, so ein Sprecher, sei „gegen Ausschussreisen nichts einzuwenden“. Allerdings fordert Abgeordnetenwatch die Möglichkeit zur öffentlichen Kontrolle: Die Prüfung der Reise durch die Landtagspräsidentin beziehungsweise den Ältestenrat reiche nicht. Die Steuerzahler sollten bereits vorab erfahren dürfen, „wofür ihr Geld ausgegeben wird“. (Waltraud Taschner)

Kommentare (1)

  1. Roland am 21.11.2014
    Wenn ich mir das so alles durchlese, kommt mir der Gedanke,
    ob denn die Politik die Menschheit vergiften will?
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