Politik

Die Wissenschaft von den strahlenden Atomen hat für Studierende an Attraktivität verloren. (Foto: Getty)

22.06.2012

Lehrstühle für eine sterbende Branche

Der Atomausstieg hat auch dazu geführt, dass das Fach Kernphysik für angehende Studenten an Attraktivität verliert

Schlechte Aussichten für Nukleartechniker: Erst der Atomausstieg und jetzt auch noch die Ankündigung des deutschen Atomstrom-Riesen RWE, selbst im Ausland keine Atomkraftwerke mehr zu bauen. Die Lehrstühle für Nukleartechnik werden trotzdem nicht abgebaut.
In zehn Jahren soll in Deutschland das letzte Kernkraftwerk in Deutschland abgeschaltet werden. Dazu passend hat jetzt der deutsche Noch-Atomstromriese RWE angekündigt, mit Atomenergie nichts mehr zu tun haben zu wollen und auch im Ausland keine neuen Kraftwerke zu bauen.
Deutschland braucht bald keine Nukleartechniker mehr, so scheint es. Noch gibt es sechs Lehrstühle für Nukleartechnik in Deutschland, einer davon ist in Bayern an der Technischen Universität München (TUM) angesiedelt, wo die Studenten auf die Arbeit in Atomkraftwerken vorbereitet werden. Auf der Webseite des Masterstudiengangs der TUM heißt es, die Absolventen seien vorbereitet auf Führungspositionen im Betrieb eines nuklearen Energiesystems, außerdem auf die Entwicklung von Konzepten zur Reaktorsicherheit.

Genervter Atom-Professor


Wie viele Studenten in Deutschland das Fach studieren, ist nicht bekannt. Viele sind es nicht. An der TUM haben sich in diesem Jahr nur vier Masterhauptfachstudenten eingeschrieben, im Jahr davor waren es drei. Schon als die rot-grüne Regierung im Jahr 2000 zum ersten Mal den Atomausstieg beschloss, ging das Interesse der deutschen Studenten an dem Fach zurück. In München wurde der erste Lehrstuhl erst 2007 gegründet, mit Finanzierung vom Stromkonzern Eon. Im Semester nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima und dem zweiten Atomausstieg merkten aber auch die Münchner Nukleartechniker, wie sich politische Entscheidungen auf die Studentenzahl auswirken: Es schrieben sich weniger Studenten ein. Mittlerweile ist auch die Förderung von Eon ausgelaufen. Mit der politischen Entscheidung zum Atomausstieg habe das aber nichts zu tun, so ein Sprecher der TUM.
In jedem Fall stellt sich die Frage: Muss der bayerische Atom-Lehrstuhl bald schließen? Professor Rafael Macián-Juan, den Inhaber des Lehrstuhls Nukleartechnik an der TUM, nerven solche Fragen. „Wieso sollte ein Land ohne Atomkraftwerke keinen Lehrstühl für Nukleartechnik haben?“, fragt er zurück. „Schauen Sie nach Italien. Das Land hat nach dem Supergau von Tschernobyl alle Atomkraftwerke abgeschaltet und bildet trotzdem weiterhin Nukleartechniker aus.“
Tatsächlich werden Nukleartechniker trotz des beschlossenen Ausstiegs auch in Bayern und Deutschland noch eine Weile gebraucht. Aus dem bayerischen Wirtschaftsministerium heißt es: „Das letzte Kernkraftwerk geht ja erst 2022 vom Netz.“ Und danach komme noch die Nachbetriebsphase und der Rückbau, der sich über viele Jahre hinziehe.
Doch welcher junge Mensch will schon in eine sterbende Industrie einsteigen? Nuklearprofessor Macián-Juan ist überzeugt, dass sein Lehrstuhl das Ende des Rückbaus überdauern werde. Sein Argument: „In Deutschland ausgebildete Nukleartechniker sind im Ausland sehr gefragt.“ Und: „Viele unserer Studenten sind aus dem Ausland, weil die Ausbildung hier so gut ist.“ Er fordert die Politik auf, an den Lehrstühlen festzuhalten.

Zuversicht im Ministerium


Für Macián-Juans Hoffnung, dass sein Fach den Ausstieg überlebt, spricht auch die Tatsache, dass Nukleartechnik für deutsche Studenten vor allem als Nebenfach interessant ist: Zwischen 200 und 300 Studenten haben sich seit 2007 an der TUM jedes Jahr zur Nebenfachabschlussprüfung angemeldet. Sie studieren Energie-, Medizin-, Produktions- oder Pharmazietechnik. Nukleartechnik interessiert sie nicht wegen der Atomenergie, sondern wegen der vielen Anwendungsmöglichkeiten der Kernspaltung in ihrem jeweiligen Hauptfach.
Auch aus dem bayerischen Wissenschaftsministerium heißt es, der Lehrstuhl werde in jedem Fall weiter existieren. „Die Endlagerfrage ist ja immer noch nicht gelöst. Da werden Nukleartechniker langfristig gebraucht“, sagt eine Sprecherin. Außerdem würden Fachkräfte in Atomkraftwerken überall händeringend gesucht. „Die Absolventen haben in Bayern noch viele Jahre allerbeste Chancen auf gutbezahlte und verantwortungsvolle Positionen“, so die Sprecherin. Auch im Ausland: Weltweit steige die Zahl der Atomkraftwerke schließlich.
Darüber hinaus gibt es in Bayern Unternehmen, die sich auf Kerntechnik spezialisiert haben und ihr Personal schon jetzt vor allem ins Ausland schicken. Da ist zum Beispiel die französische Firma Areva, die einen Sitz in Erlangen hat – dort arbeiten 3500 Menschen. Das Kerntechnikunternehmen gilt als Weltmarktführer beim Neubau und bei Modernisierungen von Kernkraftwerken.
(Veronica Frenzel)

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