Politik

01.04.2010

Linksextremistische Gewalt nimmt zu

Verfassungsschutzbericht

Wer Verschwörungstheorien anhängt oder sich laufend von finsteren Mächten beobachtet und bedroht fühlt, sollte von der Lektüre des neuen bayerischen Verfassungsschutzberichtes Abstand nehmen. Was da auf 236 Seiten aufgelistet ist, kann zart besaiteten Gemütern schon den Schlaf rauben. Islamisten, radikale Kurden, Rechts- und Linksextremisten, Rockerbanden, Spione, kriminelle Organisationen – all das und noch viel mehr tummelt sich im Freistaat. Dessen Verfasungsschützer haben auf dieses Treiben – so gut es geht – ein Auge geworfen. Eine „hervorragende Arbeit zum Schutz unserer Bürger“ leisteten diese, erklärte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bei der Vorstellung des Jahresberichts. „Angesichts der aktuellen Sicherheitslage ist und bleibt ihre Arbeit unentbehrlich.“ Die Hauptbedrohung unserer Freiheit sieht Herrmann nach wie vor im islamistischen Terrorismus. Neben dem al-Qaida-Netzwerk führt der Bericht vier weitere Gruppierungen auf, die ihre Ziele mit dem Mittel des Terrors verfolgen. „Die Anschlagsdrohungen gegen Deutschland haben sich im vergangenen Jahr konkretisiert“, berichtete Herrmann. Tatsächlich finden sich dafür Belege. In frischer Erinnerung sind die massiven Sicherheitsvorkehrungen beim letztjährigen Oktoberfest in München oder die jüngst zu langjährigen Haftstrafen verurteilte „Sauerland-Gruppe“. Man nehme die Drohungen sehr ernst, insbesondere ihr Potenzial zur Mobilisierung junger Islamisten, so Herrmann. Diese seien entweder Einzeltäter oder kämen aus den Reihen weiterer radikal-islamischer Gruppierungen. Neun von diesen stehen derzeit unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes. Ihre Mitgliederzahl wird für Bayern mit gut 6000 angegeben, größte davon ist die Milli-Görüs-Bewegung mit etwa 4700 Mitgliedern. Ein regionaler Schwerpunkt der Szene ist der Raum Neu-Ulm. Mit Sorge verfolgt Herrmann, dass zunehmend Islamisten aus Deutschland zur Teilnahme an Kampfhandlungen in Krisenregionen reisten oder dort Ausbildungslager besuchten. Rund 200 derartige Personen sind den Sicherheitsbehörden in Deutschland bekannt, auch in Bayern eine gute Handvoll unter Beobachtung. Diese Leute stellten ein permanantes Sicherheitsrisiko dar, warnt Herrmann. Vor diesem Hintergrund fordert er Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) auf, umgehend einen Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung vorzulegen, nachdem der bisherige vom Bundesverfassungsgericht kassiert worden war. Nur mit diesem Mittel könnten Terrorplanungen rechtzeitig erkannt und verhindert werden. Bei den Gefährdungen durch inländische Extremisten gibt es, analog zum Bundestrend, auch in Bayern eine Verschiebung vom rechten ins linke Spektrum. Während die Zahl der Gewalttaten mit rechtsextremistischen Hintergrund erneut rückläufig war (53), wurde bei den linksextremistischen mit 127 der höchste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1990 gemessen. Ziel linker Gewalt seien Rechtsextreme, in zunehmendem Maße aber auch Sicherheitskräfte, so Herrmann. Fast die Hälfte aller Fälle linker Gewalt richteten sich gegen Polizeibeamte – mit zum Teil dramatischen Folgen für deren Gesundheit. „Für solche Gewalttaten gibt es keinerlei Rechtfertigung, auch nicht im Namen des Antifaschismus“, betont Herrmann. Die linke Szene und ihr Umfeld werde deshalb künftig die besondere Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes erhalten. Entwarnung bezüglich des Rechtsextremismus wollte Herrmann dennoch nicht geben. Zwar sei die NPD, deren Verbot er weiterhin fordere, auch in Bayern finanziell und personell geschwächt, doch gehe dies einher mit der stärkeren Vernetzung der Neonazi-Szene außerhalb der NPD. Drei kameradschaftsübergreifende Netzwerke seien in Bayern inzwischen bekannt, die sich ohne feste Strukturen zu verstecken versuchten, so Herrmann. Diese Netze werde man künftig genau beobachten. Zudem werde weiter versucht, andere Subkulturen zu unterwandern und Jugendliche an sich zu binden. Man dürfe im Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht nachlassen, warnt Herrmann. Die im Frühjahr 2009 eingerichtete Informationsstelle gegen Extremismus finde bei Bevölkerung, Schulen, Kommunen und Verbänden große Akzeptanz. Ein eigenes Kapitel widmet der Verfassungsschutzbericht der Partei „Die Linke“, die gerade in einem Führungskampf zwischen dem gewerkschaftlich orientierten und dem linksideologischen Flügel steckt. Im vergangenen Jahr habe sich die Führung bemüht, die Partei als linksdemokratische Alternative zu platzieren, eine „Gesamtschau der ideologischen Positionen“ verdeutliche aber nach wie vor eine extremistische Ausrichtung, so Herrmann. So gehörten in Bayern mehrere Mitglieder des Landesvorstands linksextremistischen Gruppierungen an. Deren Vorstellungen seien eine „reale Gefahr für unsere freiheitliche Grundordnung“, sagt Herrmann. Die weitere Beobachtung durch den Verfassungsschutz sei daher gerechtfertigt. (Jürgen Umlauft)


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