Politik

Zukunftschance für Migranten: eine Ausbildung im Pflegebereich. (Foto: dpa)

25.09.2015

Migranten können Pflegenotstand lindern

Immer mehr Flüchtlinge drängen auf den Arbeitsmarkt – wo sie gute Chancen haben und welche Probleme es gibt

Was hat Bayern in den nächsten Jahren an Integration zu leisten? Um dies beurteilen zu können, muss man mehr über die Menschen wissen, die hier Asyl suchen. Allein im August kamen laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 105 000 Migranten nach Deutschland, fast die Hälfte (45 Prozent) von ihnen waren Syrer. In der Statistik folgen Afghanen (11 Prozent), Iraker (9 Prozent), Albaner (8 Prozent), Pakistaner (5 Prozent) und Eritreer (3 Prozent). Zum Stichtag 31. August waren rund 23 700 Asylbewerber unter 18 Jahren in Bayern untergebracht.
Das BAMF hat jüngst die Angaben von rund 100 000 Asylsuchenden aus dem laufenden Jahr ausgewertet. Demnach haben 13 Prozent eine Hochschule besucht, 18 Prozent ein Gymnasium, 30 Prozent waren auf einer Mittelschule, 24 Prozent nur auf einer Grundschule, 8 Prozent verfügen über gar keine Schulbildung. Laut BAMF haben Syrer im Schnitt ein deutlich höheres Bildungsniveau. Ein Viertel hat studiert, ein weiteres Viertel hat Abitur, ein Viertel war auf der Mittelschule und 17 Prozent lediglich auf der Grundschule.

Besonders Menschen aus Syrien sind gut ausgebildet


Nicht alle diese Abschlüsse erreichen bayerisches Niveau. Und doch machen diese Zahlen gerade der Wirtschaft Hoffnung. „Angesichts der demografischen Entwicklung und der Fachkräftelücke sehen die Betriebe in den Flüchtlingen ein großes Potenzial. Das Ziel der bayerischen Wirtschaft ist, möglichst viele Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren“, sagt Eberhard Sasse, Präsident des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags (BIHK). Auch das bayerische Sozialministerium hält es „für sinnvoll, dem Fachkräftebedarf mit der Mobilisierung des vorhandenen Arbeitskräftepotenzials entgegenzutreten. Dazu gehören auch anerkannte Asylbewerber.“
Voraussetzung dafür ist allerdings häufig, dass Deutschland die bisherige Ausbildung der Migranten für gültig erklärt. „In den Gesundheitsberufen, also bei Ärzten und Pflegekräften, werden ausländische Qualifikationen in den allermeisten Fällen anerkannt, während dies bei Lehrern sehr schwierig ist“, sagt Wido Geis, Migrationsexperte beim Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW). In der Regel sei eine Nachqualifizierung möglich, so der Abschluss in Deutschland nicht anerkannt werde. Doch liegt „für Flüchtlinge die größte Hürde meist darin, dass notwendige Nachweisdokumente, beispielsweise Zeugnisse, bei der Flucht verloren gegangen sind“, so Geis. Die Landtagsabgeordnete Christine Kamm (Grüne) spricht von „manchmal unsinnigen Hürden“. Hinzu kommt, dass Asylbewerber in den ersten drei Monaten nach ihrer Ankunft in Deutschland nicht arbeiten dürfen, vom 4. bis 15. Monat nur „nachrangig“, wenn also kein gleichqualifizierter einheimischer Bewerber zur Verfügung steht. Dieses Verfahren nennt man Vorrangprüfung. Grüne und SPD wollen es abschaffen. „In Zeiten, in denen Arbeitgeber Probleme haben, Arbeitnehmer zu finden, ist eine Vorrangprüfung unnötige Bürokratie, die bei Arbeitgebern und Arbeitsagentur unnötige Kapazitäten bindet“, sagt der SPD-Landtagsabgeordnete Arif Tasdelen. Hubert Aiwanger, Freie-Wähler-Fraktionschef, gibt sich skeptischer. Ob Flüchtlinge helfen könnten, den Fachkräftebedarf zu mildern, müsse sich „erst noch zeigen.“

Flüchtlinge im Pflegebereich: Der Vorschlag stammt vom Linken-Bundestagsabgeordneten Harald Weinberg


Der bayerische Bundestagsabgeordnete Harald Weinberg (Die Linke) hat den Vorschlag gemacht, Flüchtlinge verstärkt für Pflegeberufe auszubilden, auch um den sich verschärfenden Pflegenotstand zu bekämpfen. Beim IW stößt dies auf offene Ohren: „Dieser Vorschlag ist sehr gut“, lobt Wido Geis, „hier können Flüchtlinge einen wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung in Deutschland leisten.“ Auch der Landesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt, Thomas Beyer, würde sich freuen, wenn Flüchtlinge in Pflegeberufen ausgebildet werden, „wenn sie das möchten“. Allerdings müsse dies ohne Abstriche bei den Qualitätsstandards geschehen. „Sehr wichtig ist“, so Beyer, „dass die Pflegekräfte in spe die deutsche Sprache erlernen. Denn gute Pflege setzt die Interaktion zwischen Pflegenden und zu Pflegenden voraus.“ Finanziell fördern könnte dies zum Beispiel die Bundesagentur für Arbeit mit einem Sonderprogramm. (Jan Dermietzel)

Kommentare (5)

  1. Florian Ritter am 27.09.2015
    Ich kann an keiner Stelle des Artikels lesen, dass Menschen ohne geeignete Ausbildung eingesetzt werden sollen. Daher mutet manche Aufregung schon etwas seltsam an. Für Altenpflege- und Altenpflegehilfeausbildungen gibt es Zugangsvorrausetzungen die die Auszubildenden erfüllen müssen. Selbstverständlich, das zeigt auch die Erfahrung, werden auch Menschen, die Ihre Schulausbildung (oder Teile davon) in anderen Ländern absolviert haben diese Zugangsvoraussetzungen erfüllen können. Ob die Anerkennung der Vorbildung vorraussetzungslos oder erst nach zusätzlichen Schuljahren oder Kursen geschehen kann ist von Fall zu Fall zu prüfen. Weitere Vorrausetzungen sind (Herr Beyer von der AWO weist im Artikel darauf hin) gute Sprachkenntnisse und eine persönliche Eignung für den Beruf. Sprachkenntisse kann man erwerben, persönliche Eignung ist Charaktersache und auch wahrhaftig nicht allen Deutschen in die Wiege gelegt. Übrigens haben bereits heute schon ca 30% der Auszubildenden keinen deutschen Pass. Da ist auch ein ordentlicher Anteil Muslime darunter. Wenn die Vorrausetzungen erfüllt sind, steht einer Arbeit in der Pfege nichts entgegen. Egal ob man mal Flüchtling war oder nicht.
  2. Patriot_whiteblue am 26.09.2015
    Das mit dem Pflegebereich sehe ich aus den genannten Gründen auch illusorisch, ebenso die anspruchsvolleren handwerklichen bzw. industriellen Lehrberufe. Dafür wird ja inzwischen fast überall der Realschulabschluss/Mittlere Reife vorausgesetzt. Die meisten jungen Migranten werden aber wohl nur die Hauptschule schaffen, bestenfalls den Quali.
    Es gibt aber durchaus eine Möglichkeit, sehr viele (junge) Migranten einzusetzen: haushaltsnahe Dienstleistungen, salopp gesprochen: Dienstpersonal. Noch vor 50,60 Jahren hatten viele Haushalte von Ärzten, Anwälten, Professoren, Bankfilialleitern, leitenden Verwaltungsbeamten etc. (also der gehobenen Mittelstand) einen Butler, einen Gärtner, einen Koch einen Chaffeur. Das wurde nach und nach mittels ideologische Propaganda und durch Lohnpolitik bewusst kaputt gemacht, nach vorherrschender sozialdemokratischer und sozialistischer Denkart soll ja kein Mensch einen anderen "bedienen". Hier könnte man ansetzen, natürlich, die Menschen sollen ja leben können von ihrer Arbeit, unter Einhaltung des Mindestlohns. Wenn die Arbeitsämter das konsequent anbieten bin ich sicher, da gibt es Nachfrage dafür - und Akademikerfamilien fänden die Neigung, auch mal mehr als ein (Status)kind in die Welt zu setzen. Derzeit reproduzieren sich ja leider primär die tätowierten Mandys und Sandys mit ihren Justins und Kevins...
  3. Leviathan am 25.09.2015
    Die vorgebrachten Ideen zum Einsatz von Migranten im Pflegebereich sind an Weltfremdheit und Wunschdenken kaum zu überbieten: Warum will wohl kaum ein Deutscher gerne in der Altenpflege arbeiten? Pflegetätigkeiten aller Art sind gemessen an der Verantwortung sowie der körperlichen und seelischen Belastung hoffnungslos unterbezahlt, haben ein geringes Sozialprestige und bieten kaum Aufstiegschancen. Es ist illusorisch zu glauben, dass sich auch nur ein einziger männlicher, moslemischer Migrant (und diese Gruppe bildet nun mal die überwiegende Mehrheit der Neuankömmlinge) mit sozialen Aufstiegsträumen und einer kulturellen Prägung, in der soziale Aufgaben grundsätzlich in den Verantwortungsbereich der Frau fallen, bereit wäre, eine solche Tätigkeit aufzunehmen! Die wenigen Frauen unter den Flüchtlingen sind zumeist Mütter mit kleinen Kindern und werden aufgrund der ungünstigen Arbeitszeiten in der Pflege ebenfalls nicht für diese Tätigkeiten zur Verfügung stehen können und wollen - ganz zu schweigen von den Sprachkenntnissen, die erst einmal erworben werden müssten. SPD-Traumtänzer aus NRW hatten vor zwei Wochen übrigens einen nicht minder genialen Vorschlag zur Problemlösung unterbreitet: Langzeitarbeitslose könnten doch den Flüchtlingen zur Seite gestellt werden, um diesen bei der Integration zu helfen. Auf die Resultate darf man gespannt sein.
  4. Politisch tituliertes Pack am 25.09.2015
    """In Zeiten, in denen Arbeitgeber Probleme haben, Arbeitnehmer zu finden, ist eine Vorrangprüfung unnötige Bürokratie, die bei Arbeitgebern und Arbeitsagentur unnötige Kapazitäten bindet“, sagt der SPD-Landtagsabgeordnete Arif Tasdelen. """

    Falsch!

    Ein Recht des deutschen Arbeitslosen, der jahrelang in die Rentenkasse eingezahlt
    hat!

    Deshalb ist die SPD für mich gestorben!
  5. Klaus-Dieter am 25.09.2015
    Ich kann es einfach nicht verstehen!
    Das von über 2,0 Mio Arbeitslosen ein Pflegenotstand
    vorherrscht?
    Welche Gründe liegen hierfür vor?
    Zahlen die Arbeitgeber zu wenig?
    Sind die Arbeitgeber nicht in der Lage auszubilden / umzubilden?
    Oder möchten die Arbeitgebern Hochschuldabsoventen als
    Pflegekräfte zu 9,50 Euro pro Stunde einstellen?
    Hier in diesem Rechtsstaat stimmt etwas nicht mehr, es sieht so aus
    wie wenn die Politik von den Arbeitgebern in irgend einer Form
    abhänig ist!
    Mit Verlaub, besuchen bedeutet nicht, dass ich etwas abgeschlossen habe!
    Ich besuche auch regelmäßig die Uni in Berlin.

    Das geht auch in die Hose!
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