Politik

31.01.2014

Mindestlohn light

Ein Kommentar von Tobias Lill

Ende der 90er Jahre ging ein Gespenst um in Deutschland. Wirtschaftskapitäne warnten für den Fall weiter steigender Löhne vor einer Deindustrialisierung. Zu groß sei die Billigkonkurrenz aus Osteuropa. Das Geheul der Unternehmenschefs zeigte Erfolg. Anders als in fast allen anderen Industriestaaten sanken zwischen 2000 und 2010 die Realeinkommen hierzulande. Die massiven Einbußen bei den unteren Gehaltsgruppen machten Deutschland nun selbst zum Lohndumping-Land.

Das Wehklagen der Konzernlobbyisten


Höchste Zeit also, dass die Bundesrepublik als einer der letzten EU-Staaten eine Einkommensuntergrenze einführt. Und schon unken Konzernlobbyisten erneut, viele Firmen könnten wegen des internationalen Wettbewerbs den von Berlin geplanten Mindestlohn nicht stemmen. Eine dreiste Lüge, denn in der Produktion, sei es bei den Autobauern oder im Maschinenbau, zahlen die Unternehmen ohnehin fast überall Gehälter von 8,50 Euro und mehr in der Stunde. Löhne von fünf bis sechs Euro brutto sind dagegen im Dienstleistungsbereich, etwa in Callcentern, bei Friseuren oder Bühnenbauern üblich. Doch ein Konzert lässt sich schlecht ins Ausland verlagern, und die firmeneigene Hotline dürfte rasch selbst massenhaft Reklamationen auslösen, wenn Kunden in schlechtem Deutsch geantwortet wird. Die Dienstleistungen werden wegen des Mindestlohns zwar teurer, Arbeitsplätze gehen deshalb aber wohl nur in sehr geringem Umfang verloren.

Weniger Lohn für Rentner: Warum?


Wenn dennoch die jetzt diskutierten Mindestlohn-Ausnahmen für Minijobber, Rentner, Schüler, Studenten und Aufstocker kommen, wären Wirtschaftsforschern zufolge rund zwei Millionen Menschen betroffen. Sonderregelungen für Mini-Jobber würden zudem zur weiteren Aufsplittung regulärer Arbeitsplätze führen. Denn Firmenchefs könnten Mitarbeiter entlassen, um dann neue oder dieselben Leute als 450-Euro-Kräfte wieder anzustellen – unter der Mindestlohngrenze. Vor allem Frauen dürften in der Folge schlechter verdienen; sie sind häufig geringfügig beschäftigt. Fatal wären auch Ausnahmen für Praktika außerhalb von Schule und Uni: Scharen gut ausgebildeter Südosteuropäer würden dann in manchen Branchen als Billig-Praktikanten schuften. Und warum sollen Rentner oder Saisonkräfte trotz Knochenjobs schlechter bezahlt werden? Gerecht ist das nicht.

Kommentare (2)

  1. zitrone am 03.02.2014
    Immer das gleiche Lied seit fünfzig Jahren. Die Unternehmensgewinne (netto) steigen wesentlich stärker, als die Einkommen von abhängig Beschäftigten (Ausnahme Bankgewerbe, geschäftsleittende Angestellte mit Bonuszahlungen und Dienstwagen). Entsprechende Statistiken werden mit dem Vermerk VS-NfD von den Verbänden veröffentlicht. Dabei braucht's doch wirklich keine Sorge vor einem Aufbegehren. Wir leben doch längst gesellschaftspolitisch wieder im Biedermeier. Und letztlich ist es auch wurscht, wen der Wähler wählt, im Hintergrund ziehen doch die Ackermänner und Goldmann Sachs die Fäden. Zynisch bestrachtet, könnten wir uns die Wahlen und die Parlamente schenken und die Regierungsgewalt auf die Aufsichtsräte der Dax-Unternehmen übertragen.
    Dass sich besonders die CSU für Ausnahmen beim Mindestlohn einsetzt, aber den Hoteliers zu einer massiven dauerhaften Steuerentlastung verholfen hat (zahlen die jetzt bessere Löhne?), sollte doch jedem Wähler zu denken geben.
  2. Christian am 03.02.2014
    Also ich stelle als Untenehmer nur "Billig" Löhner ein,
    das kommt mir ja auch billiger.
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