Es ist seit Jahren ein absolutes Reizthema. Verletzt das Kopftuch einer muslimischen Staatsbediensteten das Neutralitätsgebot? Oder gibt die im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit jeder Muslimin das Recht, ihrer Religion damit Ausdruck zu verleihen – auch auf der Richterbank, im Klassenzimmer oder auf Polizei-Streife?
Vergangene Woche ging einmal mehr ein Punkt an die Religionsfreiheit. Das Verwaltungsgericht Augsburg erklärte das Kopftuchverbot für bayerische Rechtsreferendarinnen für unzulässig, da es im Freistaat kein Gesetz gibt, das Rechtsreferendare zu einer weltanschaulich-religiösen Neutralität verpflichtet. Bayerns Justizminister Winfried Bausback kündigte sofort Berufung an. „Die fehlende Bereitschaft, auf das Kopftuch zu verzichten, schließt bei uns die Berufung in das Richterverhältnis auf Probe und damit die Übernahme in den richterlichen und staatsanwaltlichen Dienst aus“, betont man im Justizministerium. Das Argument: „Das Grundgesetz verpflichtet Richterinnen und Richter zu absoluter Neutralität.“
Ein Gesetz, dass ein Kopftuchverbot impliziert, gibt es in Bayern allein für staatliche Schulen. „Äußere Symbole und Kleidungsstücke, die eine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung ausdrücken, dürfen von Lehrkräften im Unterricht nicht getragen werden“, heißt es im Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen. Außer diese sind „mit verfassungsrechtlichen Grundwerten und Bildungszielen der Verfassung einschließlich den christlich-abendländischen Bildungs- und Kulturwerten“ vereinbar. Allerdings: 2015 hat das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf Nordrhein-Westfalen entschieden: Das Tragen eines Kopftuchs könne nicht pauschal, sondern nur verboten werden, wenn es zu konkreten Konflikten komme – seither entscheidet man in Bayern von Fall zu Fall. „In wenigen Einzelfällen wurde Lehramtsanwärterinnen, Praktikantinnen oder Lehrerinnen an bayerischen Schulen das Tragen des Kopftuchs erlaubt“, heißt es aus dem Kultusministerium.
Nonnen am Lehrerpult oder Kruzifixe im Gerichtssaal sind im Gegensatz zu Kopftüchern kein Problem
Denn eines ist klar: Die viel beschworene religiöse Neutralität gibt es in Bayern nicht. Nonnen am Lehrerpult oder Kruzifixe im Gerichtssaal sind im Gegensatz zu Kopftüchern kein Problem. „Das entspricht unserer Verfassung“, betont Thomas Kreuzer, Chef der Landtags-CSU. „Bayern ist christlich-abendländisch geprägt.“ Gegen das Kopftuch-Urteil in Augsburg müssten nun alle Instanzen ausgeschöpft werden. „Scheitern wir dort, brauchen wir ein neues Gesetz.“
Tatsächlich ist Deutschland säkular, aber nicht laizistisch wie Frankreich, wo es Staatsbediensteten generell verboten ist, religiöse Symbole zu tragen. In Deutschland genießen die christlichen Kirchen viele Sonderrechte. „Bausback und die CSU begeben sich auf ein gefährliches Terrain“, treiben sie den Kopftuchstreit vor Gericht weiter, glaubt Ulrike Gote, religionspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen. Wie der SPD-Rechtspolitiker Franz Schindler sieht sie die Gefahr, dass am Ende auch alle anderen religiösen Kleidungsstücke und Symbole aus dem öffentlichen Leben verbannt werden müssen. Auch der Freie Wähler Florian Streibl fordert für alle Religionen Toleranz im öffentlichen Raum. Unisono begrüßen die Oppositionspolitiker deshalb das Augsburger Urteil.
Müssen am Ende alle religiösen Symbole aus dem öffentlichen Raum verschwinden?
Ebenfalls nicht erlaubt: das Tragen eines Kopftuchs im uniformierten Dienst der bayerischen Polizei. „Weil es kein zulässiges Uniformteil ist“, erklärt ein Sprecher des Innenministeriums. Für Beamte ohne Uniformpflicht, etwa bei der Kripo, gebe es keine Vorschriften – allerdings auch, weil es einen entsprechenden Fall noch nie gegeben habe, so der Sprecher. Die Londoner und die schottische Polizei dagegen testet aktuell Uniformen mit Hijab, der Kopf und Hals verhüllt, um mehr muslimische Frauen für den Polizeidienst zu gewinnen. Gote hält das für einen richtigen Schritt. Und auch Streibl könnte sich anstelle der Mütze in Bayern ein Polizeikopftuch vorstellen. Schindler allerdings betont, da eine Polizistin mehr noch als eine Lehrerin als Personifizierung des Staates wahrgenommen werde, überwiege hier die Neutralitätspflicht. Und CSU-Chef Kreuzer meint lakonisch: „Es wird ja in Bayern niemand gezwungen, Polizist zu werden.
Mit Spannung erwartet wird nun auch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) über die Frage, ob das Verbot, als Muslima am Arbeitsplatz ein Kopftuch zu tragen, eine Diskriminierung darstellt. Eine Belgierin hatte geklagt. Die Generalanwältin beim EuGH empfahl bereits, ein Kopftuchverbot zuzulassen – wenn allgemein religiöse Symbole untersagt sind. Auch wenn das Urteil die Privatwirtschaft betreffen wird, für den staatlichen Bereich gelte das dann erst recht, sagt Richard Giesen, Professor für Arbeitsrecht an der LMU. Er gibt allerdings zu bedenken: „Dann kann man den öffentlichen Bereich auch nicht mehr mit dem Christentum aufpumpen.“ (Angelika Kahl)
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