Politik

Designierte Verdi-Chefin Luise Klement.

23.04.2010

Mit Kostüm und Courage

Mit Luise Klemens erhält die Gewerkschaft Verdi am morgigen Samstag erstmals eine weibliche Landeschefin Portrait

Ob ein Mensch beruflich erfolgreich ist, hängt nicht zuletzt davon ab, wie gut sein Schreibtisch aufgeräumt ist – zu diesem Ergebnis kamen amerikanische Psychologen 2003 in einer Studie. Betrachtet man den Aufstieg von Luise Klemens aus dem Blickwinkel dieser durchaus ernst gemeinten Evaluation, dann ist ihr Aufstieg nur konsequent. Denn während draußen vor dem Münchner DGB-Hochhaus in der Schwanthalerstraße die roten Fahnen heftig im Sturm flattern, geht es auf dem Schreibtisch der Arbeitnehmervertreterin im obersten Stockwerk des Gewerkschaftshauses beschaulich und ordentlich zu. Akkurat liegt der Füllfederhalter samt Notizblock neben dem Rechner.
Lediglich die zahlreichen Ordner auf der Fensterablage verraten, dass die stellvertretende Vorsitzende von Verdi Bayern derzeit allerhand zu tun hat. „Das Klima in der Wirtschaft wird rauer. Viele Unternehmen haben ihre Tarifmitgliedschaft gekündigt, und selbst im Einzelhandel gab es erstmals Kurzarbeit“, sagt die 46-jährige Münchnerin. Sie trägt ein graues Kostüm, mit rotem Nelken-Button, und einen schicken Kurzhaarschnitt.
Mit ihrem Schreibtisch hatte der Aufstieg von Klemens in die Führungsebene der Arbeitnehmervertretung freilich nichts zu tun. „Sie ist Gewerkschafterin mit Herzblut“, lobt ein führender Verdi-Mann. Vor allem bei Gleichstellungsfragen sowie der Arbeit mit Selbstständigen hat sich die auch für Personalfragen zuständige gebürtige Weidenerin einen Namen gemacht. Wohl auch deshalb hat sie Josef Falbisoner, bisheriger Landeschef, zu seiner Nachfolgerin auserkoren. Am morgigen Samstag wählen die Delegierten bei einer außerordentlichen Landesbezirkskonferenz einen Ersatz für den aus Altersgründen ausscheidenden 60-jährigen Falbisoner, der den Verdi-Sitz seit 2001 innehat. Einen Gegenkandidaten hat Klemens nicht. Ihre Wahl gilt als sicher. „Aber, man weiß ja nie, was passiert“, wiegelt sie vorschnelle Glückwunschbekundungen ab. Klemens wäre laut Verdi die erste Frau an der Spitze einer bayerischen Dienstleistungsgewerkschaft.
Zwar sind – auch aufgrund eines Quotenverfahrens – weit mehr Frauen in den Führungsebenen von Gewerkschaften als in Unternehmen. Nicht einmal jedes zehnte Mitglied eines Aufsichtsrates in einem durchschnittlichen deutschen Großunternehmen ist eine Frau. Doch auch auf den Arbeitnehmerbänken der Kontrollgremien sind Frauen noch immer rar. „Eine Quote für die Vorstände wie in Norwegen ist unverzichtbar“, ist die Münchnerin überzeugt. Zugleich müsse in der gesamten Gesellschaft ein Umdenken einsetzen.
Wie schwer es das angeblich schwache Geschlecht auch in den Gewerkschaften mitunter noch hat, zeigt das Beispiel von Ursula Engelen-Kefer, langjährige DGB-Vizechefin. Sie sei, so schrieb Engelen-Kefer unlängst, 2006 einfach aus dem DGB-Vorstand gemobbt worden.
Ein Buch über Mobbing steht auch bei Klemens im Regal. Sie sei zwar nie das Opfer einer solchen Ausgrenzung gewesen. „Doch der Druck auf manche Mitarbeiter in der freien Wirtschaft ist immens“, sagt die Münchnerin mit ernster Miene. Wie rau es auf dem Arbeitsmarkt zugehen kann, erfuhr sie erstmals im Alter von 17 Jahren. Damals arbeitete sie als Schauwerbegestalterin bei der Kaufhauskette Hertie. „Die Unternehmensberater Mc Kinsey ging damals mit dem Besen durch den Laden“, erinnert sie sich. In jenem Winter kämpfte sie zum ersten Mal für Verdi. Es sollte nicht das letzte Mal sein.
Marx-Bücher oder Rote Fahnen – wie sie bei manchem Gewerkschaftsfunktionär noch immer zur Grundausstattung gehören – sucht man im Zimmer der parteilosen Frau allerdings vergebens. Stattdessen gibt es moderne Kunst. Vom gegenüber den Bossen oftmals unnachgiebigen Kurs ihres Vorgängers wird auch Klemens nicht abrücken. „Die Ausrichtung von Verdi wird unter meiner Führung politisch bleiben“, sagt sie. Diskriminierung will sie nicht dulden. „Gerechtigkeit ist für mich das zentrale Thema“, sagt die verheiratete und kinderlose Klemens. Sie werde auch weiterhin gegen die Rente mit 67, zunehmende Leiharbeit und die Häufung unbefristeter Arbeitsverträge kämpfen. Darüber hinaus fordert sie einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro. „So viel ist nötig, damit Menschen gut von ihrer Arbeit leben können“, ist sie überzeugt. Die Bayerin geht damit weit über den bislang vom DGB geforderten Mindestlohn von 7,50 Euro hinaus. Dieser Schritt sei unerlässlich, so Klemens, da sich der Niedriglohnsektor wie eine „Krake“ ausbreite. Zu ihrer Einstellung passt auch eine Postkarte, die an der Wand hängt, auf der in dicken Lettern prangt: „Würde hat ihren Wert. Arbeit ihren Preis.“ In Richtung der kommunalen Arbeitgebeverbände sagt sie zwar: „Ich habe großes Verständnis für die schlechte Haushaltslage vieler Städte und Gemeinden“. Diese sei von der Politik mitverschuldet.
Die Kommunen können sich dennoch auf harte Verhandlungen einstellen. Sie werde für die Angestellten im öffentlichen Dienst hart kämpfen, versichert sie. Viele der fast 240 000 Verdi-Mitglieder arbeiten beim Staat. „Die Finanzprobleme der Städte und Gemeinden dürfen nicht auf dem Rücken der Beschäftigten gelöst werden“, fordert sie. Zugleich hofft Klemens auf eine Verbesserung des jüngst auch wegen des Umzugs des Landesamts für Statistik angespannten Verhältnisses von Verdi zur Staatsregierung „Der Kontakt ist derzeit nicht einfach“, sagt sie.
Sie kritisiert, dass sie von wichtigen Entscheidungen von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) wie im Fall des Umzugs der Statistiker nicht gehört wurde. Wenn sie gewählt wird, will sie sich deshalb umgehend mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) treffen. „Denn hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen“, prophezeit Klemens. (Tobias Lill)

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