Politik

Vier der bei Cornelius Gurlitt gefundenen Bilder. (Foto: dpa)

22.11.2013

München leuchtet - vor Scham

Gibt es demnächst ein Gurlitt-Museum? - Kir Royal, neue Folge: Der Schwabinger Kunstfund und die bayerischen Behörden

Vielleicht sollte man Helmut Dietl und Patrick Süskind fragen, wie’s jetzt weitergeht im Drehbuch. Denn was bisher geschah, mutet an wie eine neue Folge der legendären Fernsehserie Kir Royal: Mitten in Schwabing, im Appartement eines 80-jährigen Münchners, stößt die Polizei auf 1280 Bilder von Picasso, Chagall, Kokoschka, Marc und vielen anderen, Bilder, die insgesamt einen Wert von mehreren hundert Millionen Euro haben könnten – und Bilder, die von den nationalsozialistischen Kunstsäuberern und -räubern 1937/38 als „entartet“ verfemt, beschlagnahmt und verscherbelt worden waren.
Jenseits aller rechtlichen und moralischen Komplikationen steht eines fest: Die Bilder gehören ausgestellt! So wie die 16 Skulpturen, die 2010 bei Straßenbauarbeiten vor dem Berliner Rathaus im Bombenschutt gefunden wurden und die sich als verschollen geglaubte Kunstwerke aus den 20er und 30er Jahren entpuppten – von den Nazis als „entartet“ konfisziert. Vor einem Jahr waren sie in der Neuen Pinakothek zu sehen.

Auch Buchheim bekam

einst ein Museum


Der Schwabinger Kunstschatz wurde der Öffentlichkeit lange genug vorenthalten. In der Bundeskunsthalle in Bonn sind in einer Ausstellung zum Beginn des Ersten Weltkriegs derzeit zwei Selbstporträts von Otto Dix von 1915 zu sehen, auf denen der Künstler noch vor Selbstbewusstsein strotzt. In Gurlitts Wohnung entdeckte man ein bislang unbekanntes Selbstporträt von 1919, also nach dem Krieg: die eine Gesichtshälfte fast schwarz, ein bestürzendes, grausam ehrliches Bild – das erklärt, warum die Modernen den Nazis so verhasst waren: weil sie sich weigerten, die Verwüstungen des Krieges zu verleugnen, weil sie sie im Gegenteil gnadenlos darstellten, rücksichtslos auch gegen sich selbst. Das neu entdeckte Selbstporträt fehlt in der Bonner Ausstellung. Da aber gehört es hin, neben die anderen beiden, und nicht in ein Münchner Zolldepot.
Peinlich: Beinahe zwei Jahre erfährt die Öffentlichkeit von dieser fast märchenhaften Sensation nichts. In schrecklicher Deutlichkeit zeigt der Fall: Weder den bayerischen Behörden (neben Zoll und Polizei vor allem die Augsburger Staatsanwaltschaft) noch den angeblich ahnungslosen Ministern Beate Merk (CSU, damals Justiz) und Wolfgang Heubisch (FDP, Kunst) war klar, dass es von weltweiter Bedeutung ist, wenn Hunderte der von Hitlers Schergen beschlagnahmten Bilder 75 Jahre später unverhofft auftauchen – ausgerechnet in München. Dass von hier im Juli 1937 mit der Schmäh-Ausstellung „Entartete Kunst“ der Vernichtungsfeldzug gegen die Moderne ausging, scheint bayerischen Top-Beamten und -Politikern nicht präsent zu sein. Auf Bundesebene sieht es nicht besser aus.

Der Augsburger Staatsanwalt: umgehend abgewatscht


Auf der Internetseite lostart.de sollen nun 590 Bilder aus dem Schwabinger Kunstfund gezeigt werden, bei denen der Verdacht besteht, dass sie ihren rechtmäßigen Besitzern von den Nazis geraubt oder abgepresst wurden. Bislang sind dort allerdings erst 25 Bilder zu sehen.
Weitere 380 Bilder scheinen aus der Beschlagnahmeaktion unter dem Schmähbegriff „Entartete Kunst“ von 1937 zu stammen. Der Rest von gut 300 Bildern, so der Augsburger Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz am Dienstag, solle dem verzweifelten Cornelius Gurlitt, aus dessen Schwabinger Wohnung sie von der Polizei in ein Zolldepot verfrachtet wurden, „unverzüglich zur Rücknahme angeboten werden“. Den wunderlichen Alten, der den von seinem Vater geerbten Kunstschatz ein halbes Jahrhundert lang wie seinen Augapfel gehütet hat, wird das freuen.
Staatsanwalt Nemetz freilich wurde für seine Ankündigung umgehend abgewatscht. Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses nannte sein Vorhaben „unverantwortlich“, und die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Isabell Zacharias, die vor einer Woche bereits mit einem Untersuchungsausschuss gedroht hatte, fragte sich, „wie sich das die Herren Ermittler vorstellen: Sollen die Bilder im Millionenwert einfach wieder in die Schwabinger Wohnung zurückgestellt werden? Das wäre wie eine Einladung mit Goldrand für Kunstdiebe.“ Stattdessen fordert Zacharias, den Schwabinger Kunstschatz „möglichst zusammenzuhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“ – am besten „in einem eigenen Museum“.
Ein „Gurlitt-Museum“? So abwegig ist die Idee nicht. Auch für die von Lothar-Günther Buchheim in den Nachkriegsjahren für Peanuts zusammengekaufte Expressionistensammlung wurde schließlich am Starnberger See ein Museum gebaut. Und die Erben der einstigen rechtmäßigen Besitzer könnte man, soweit sie einverstanden sind, entschädigen.
„München leuchtet“: Der Thomas-Mann-Satz bekommt dieser Tage eine ganz neue Bedeutung: München leuchtet – vor Scham.
(Florian Sendtner)

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