Politik

Ausgezeichnete Initiative: Aufgrund des Einlassvorbehalts im bayerischen Versammlungsrecht kann man Nazis den Zutritt verwehren. (Foto: dpa)

28.03.2013

"Neonazi-Tarnlisten bei den Kommunalwahlen"

Der Geschäftsführer des "Bayerischen Bündnisses für Toleranz" über rechtsextremistische Unterwanderungsversuche bayerischer Dörfer, Vereine und Feuerwehren

Martin Becher befürchtet, dass Rechtsextreme bei den Wahlen 2014 unter völlig irreführenden Namen antreten werden. Seine Gegenrezept: Aufklärung. Auch Vereine, Feuerwehren und Fußball-Fans laufen Gefahr, von Neonazis unterwandert zu werden – diese versuchen dort Themen zu setzen, die auf den ersten Blick nicht undemokratisch scheinen. Auch hier gilt: Informieren ist das Wichtigste. BSZ: Herr Becher, warum ist gerade Bayern für Neonazis so interessant?
BECHER: Das muss man relativieren, Dortmund ist zum Beispiel eine Hochburg der Rechtsextremisten, und gemessen an der Zahl der Straftaten ist Ostdeutschland stärker betroffen als Bayern. Aber im Vergleich mit Baden-Württemberg gibt es in Bayern eine unvergleichbar stärkere und aktivere Neonazi-Szene. Die Gründe sind vielfältig. Die Nähe zum Osten Deutschlands ist ein Grund, einige führende Neonazis sind nach Bayern gezogen, das ökonomisch attraktiv ist. Aber gerade im Fränkischen gibt es auch eine große Tradition des Nationalsozialismus. Coburg war die erste Stadt mit einem nationalsozialistischen Oberbürgermeister. Und der 70-jährige Sohn des damaligen NS-Oberbürgermeisters stellt jetzt seine Wiese für einen NPD-Parteitag zur Verfügung. BSZ: Was ist so attraktiv am ländlichen Raum?
BECHER: Probleme wie Arbeitslosigkeit und Abwanderungen können ein Nährboden für Rechtsextreme sein. Hier ist auch die bayerische Politik gefragt. Der Zukunftsrat der Staatsregierung hat in einem Gutachten dafür plädiert, bestimmte Gegenden geringer zu unterstützen, da sie sich aufgrund ihrer Grenzlage ökonomisch sowieso nicht nach Bayern orientieren würden. Dieses Gutachten ist eine Steilvorlage für Neonazis, die die dadurch entstehende Lücke nur allzu gerne besetzen würden. Slogans wie „Wir bleiben da“ hat die NPD im mecklenburgischen Wahlkampf bereits plakatiert. Betriebswirtschaftlich mag dieses Gutachten einer gewissen Logik entsprechen. Aber volkswirtschaftlich ist es absolut schädlich. Die Folgekosten, falls solche Gegenden wegkippen, sind wesentlich höher als die Einsparung aller Subventionen. BSZ: Laut Innenminister Herrmann treten Rechtsextreme seit Aufdeckung der NSU-Morde offensiver auf. Wie macht sich das bemerkbar?
BECHER: Die Szene wird insgesamt aggressiver, die Nähe zum Nationalsozialismus wird überhaupt nicht mehr kaschiert. Wenn das Freie Netz Süd beispielsweise in der Tradition von Julius Streicher Frankentage veranstaltet oder man am 1. Mai T-Shirts trägt mit der Aufschrift „Der 1. Mai seit ‘33 arbeitsfrei“ sind das ganz deutliche Anspielungen. BSZ: Anderseits aber geben sich viele einen seriösen Anstrich. Hinter dem „Bündnis soziales Fürth“ oder der „Bürgerinitiative soziale alternative Oberpfalz“ stecken Rechtsextreme.
BECHER: Ja, hier ist Aufklärung extrem wichtig. Denken Sie nur an die Kommunalwahlen im kommenden Jahr. Wir müssen davon ausgehen, dass wir es mit einer Reihe von nationalsozialistischen Tarnlisten zu tun bekommen und Rechtsextreme unter einem völlig irreführenden Namen bei den Wahlen antreten. Bei dem Beispiel aus der Oberpfalz gehen die Assoziationen ja eher in Richtung rot-grün. Das ist wirklich gefährlich. BSZ: Neonazis versuchen, getarnt gesellschaftliche Strukturen zu unterwandern?
BECHER: Die freien Kameradschaften und auch die NPD wissen, dass wenn sie offen ihre Ziele und Kampagnen an die Bürgerinnen und Bürger bringen, die meisten abgeschreckt sind. Also drehen sie den Spieß um und sagen sich, wenn die Leute nicht zu uns kommen, dann gehen wir dahin, wo die Menschen sind und verbreiten dort unsere Botschaften. Und das gilt für die unterschiedlichsten Lebensbereiche. Denken sie an den Fußball mit seinen Fangruppen. Die Ultras sind für sich erst einmal nicht rechtsextrem, aber da finden sich aufgrund der jugendlichen Subkultur entsprechende Anknüpfungspunkte, die zu einer Unterwanderung einladen. Aber auch Elternbeiräte in Kindertagesstätten und Schulen bieten sich  an. Gott sei Dank kennt man das in Bayern bislang weniger, aber in Ostdeutschland gibt es das. Experten stellen auch fest, dass Neonazis vermehrt Kontakt zu lokalen Vereinen und Feuerwehren suchen. BSZ: Wie treten die dort auf?
BECHER: Natürlich nicht offen. Sie sagen nicht, von welcher Organisation sie kommen. Aber sie versuchen, Themen zu setzen. Gerne setzen sie an einer bereits vorhandenen allgemeinen Empörung an, zum Beispiel dass den Schulen zu wenig Geld zur Verfügung steht. Oder denken Sie an die Anti-Euro-Demos der Freien Wähler im vergangenen Jahr in München, denen sich Neonazis angeschlossen haben. Gegen den Euro zu sein, ist ja erst einmal nicht undemokratisch. Aber wohin geht das? Die einen wollen vielleicht die D-Mark wieder, die anderen aber die Reichsmark. Dann ist Schluss mit lustig. Probleme wie prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder das immer weiter auseinanderklaffende Verhältnis zwischen Arm und Reich sind ebenfalls willkommene Themen für alle Arten von Populisten. BSZ: Und am Vereinsstammtisch lässt sich besonders gut gegen die aktuelle Politik poltern?
BECHER: Ja, oder denken Sie an das Beispiel Feuerwehr. Es gibt Uniformen und eine starke Aktionsbezogenheit. Die Feuerwehr hat eine absolut positive Konnotation, sie hilft, sie rettet. Dazu kommt das Männerbündische. Sie haben also jede Menge Faktoren, die für Nazis attraktiv sind, ohne dass die Feuerwehr selbst etwas dafür kann. BSZ: Kennen Sie denn konkrete Fälle, dass Rechtsextreme Feuerwehren unterwandern?
BECHER: In Ostdeutschland sind ganze Feuerwehrkameradschaften in der Hand von Neonazis. Und ich kenne auch einen Fall aus Bayern, wo ein NPD-Mann in die Feuerwehr eines kleinen Dorfes eingetreten ist. Der Bürgermeister hat dem Feuerwehrkommandanten gesagt, er solle auf den „halt ein wenig aufpassen“. Aber das wäre so, als würde ich gegen Vladimir Klitschko boxen. So etwas ist alarmierend. BSZ: Wie sollte man damit umgehen?
BECHER: Wenn es sich um Hardcore-Nazis handelt, ist das Wichtigste, sich zu informieren. Man muss wissen, mit wem man es zu tun hat. Das ist nicht so einfach, denn natürlich versuchen sie, unerkannt zu bleiben. Deshalb sind Beratungsstellen so wichtig – nicht nur von der Polizei und dem Verfassungsschutz, sondern auch zivilgesellschaftliche. Und dann muss man denjenigen in jedem Fall outen: seine Zitate, Positionen, Ziele und Strategien öffentlich machen. BSZ: Was für Strategien sind das zum Beispiel?
BECHER: Die NPD nennt das Wortergreifungsstrategie. In Schulungen hat man Mitgliedern beigebracht, wie man Botschaften in einem anders gelagerten Kontext am besten unterbringt. Dass Neonazis sich immer wieder melden und sich immer wieder ins Gespräch bringen, habe ich auch bei eigenen Veranstaltungen erlebt. BSZ: Und wenn ich ihre Strategie kenne, wie werde ich sie wieder los?
BECHER: Es gibt zum Beispiel den Einlassvorbehalt nach Paragraf 10 des bayerischen Versammlungsrechts. Personen, die neonazistischen Organisationen angehören oder der extrem rechten Szene zuzuordnen sind oder in der Vergangenheit durch antisemitische, rassistische oder nationalistische Äußerungen in Erscheinung getreten sind, kann der Zutritt zur Veranstaltung verwehrt werden. BSZ: „Wir alle sind erst Teil der Lösung, wenn wir erkennen, dass wir ein Teil des Problems sind“, haben Sie einmal gesagt. Was heißt das?
BECHER: Beim Thema Rechtsextremismus reden wir gerne in der öffentlichen Wahrnehmung meist nur über eine relativ kleine Gruppe von Neonazis, die gewaltbereit sind und die Ideologie des Nationalsozialismus verherrlichen. Wir reden aber nicht darüber, dass es in breiten Teilen der Bevölkerung Einstellungsmuster gibt, die ideologisch zumindest eine gewisse Nähe haben. BSZ: Es machen Ihnen also nicht nur die 1200 Rechtsextremen in Bayern Sorgen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden?
BECHER: Nein, es gibt die handelnden Neonazis und eine große schweigende Minderheit, die Ähnliches denkt. Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Antiziganismus oder Homophobie gibt es in jeder Institution. Wenn eine Menge von Menschen zusammenkommt – das gilt auch für die evangelische Kirche oder die Gewerkschaften, denen ich nahestehe, gibt es Menschen, die Träger solcher Vorurteilsstrukturen sind. Das muss man anerkennen, denn nur wenn man erkennt, dass man Problemträger ist, kann man auch Lösungsträger sein.
(Interview: Angelika Kahl)

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