Politik

Noch immer ein ungewohntes Bild: Männliche Erzieher sind in bayerischen Kindergärten die große Ausnahme. (Foto: dapd)

13.01.2012

Neue Männer braucht das Land

Der Bund will die Quote der Erzieher in Kindergärten steigern – in Augsburg und Nürnberg gibt es bereits Modellprojekte

Alle reden von Frauenquote, doch es gibt auch Berufe, in denen ein eklatanter Männer-Mangel herrscht. Nicht einmal drei Prozent der Erzieher sind männlich. Familienministerin Kristina Schröder (CDU) will das jetzt ändern: Mit Förderprogrammen, Schnuppertagen und Aktionen an Schulen wirbt sie um männlichen Nachwuchs. Als Tobias Schießer Freunden von seiner Berufswahl erzählte, blickte er in staunende Gesichter: Erzieher im Kindergarten – den meisten im Freundeskreis fehlte das Verständnis, wie ein Mann überhaupt auf eine solche Idee kommen könne. „Wir müssen wegkommen vom Exotenstatus“, sagt der 30-Jährige, der seine Berufung nach Abitur und Zivildienst entdeckte und heute im Augsburger Waldkindergarten Fuchsbau arbeitet. Gleichzeitig ist er in der Region mitverantwortlich für das Modellprojekt „Mehr Männer in Kitas“, mit dem das Bundesfamilienministerium die Zahl von Erziehern in Kindergärten und -krippen deutlich steigern möchte.
Männer wie Schießer haben Seltenheitswert: Lediglich 2,4 Prozent Erzieher gibt es in Deutschlands Kindertagesstätten, rund 20 Prozent sollen es nach dem Willen von Familienministerin Kristina Schröder mittel- bis langfristig werden. Seit Anfang 2011 werden daher bundesweit 16 Projekte mit insgesamt 13 Millionen Euro gefördert. Das von Bund und EU finanzierte Modellprojekt dauert bis Ende 2013. Dann sollen Erfolg versprechende Strategien vorliegen, wie mehr Männer für einen klassischen Frauenberuf gewonnen werden können.
Die Politik handelt hier nicht nur aus Gründen der Gleichstellung: Das männliche Talent für Kleinkindpädagogik ist auch deshalb gefragt, weil im Zuge des bundesweiten Ausbaus von Krippenplätzen in den nächsten Jahren rund 40 000 zusätzliche Stellen zu besetzen sind. Eine Mehrheit der Eltern sowie der Verantwortlichen in den Einrichtungen und bei den Trägern wünscht sich einen höheren Männeranteil, wie eine vom Ministerium in Auftrag gegebene Studie ergab. „Da viele Jungen ohne Väter aufwachsen, fehlen ihnen realistische männliche Vorbilder“, sagte Schröder beim Besuch einer Modelleinrichtung. Wissenschaftler vermuten, dass eine Vielfalt positiver männlicher Rollenbilder für Mädchen wie Jungen bereichernd ist.
Tobias Schießer, selbst Vater einer kleinen Tochter, nimmt für die Bundesarbeitsgemeinschaft Elterninitiativen am Projekt teil. Mit einem knallgelben Info-Bus waren er und seine Mitstreiter im November in Augsburg unterwegs, um die Werbetrommel für den Erzieherjob zu rühren. Rund 500 Interessenten seien in den zwei Tagen erreicht worden. Auch bei den „Boys Days“ im vergangenen April waren die 17 teilnehmenden Elternkind-Initiativen in Augsburg und Umgebung aktiv.

Mit knallgelbem Bus auf Männerfang

Bilanz bislang: eine niedrige zweistellige Zahl von jungen Männern, die als Praktikanten gewonnen werden konnten. Das ist beachtlich, wenn man weiß, dass die Zahl der Männer in Augsburger Kitas bislang an einer Hand abzuzählen ist.
In der Fuggerstadt liegt die Männerquote derzeit mit 1,7 Prozent deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Schießer spielt mit den Schützlingen des Waldkindergartens auch Fußball. Das wird von ihm als Mann sozusagen erwartet, dabei macht er das gar nicht so gerne. Lieber gießt er Kerzen und liest Geschichten vor. Er ist nicht nur für Abenteuer zuständig, sondern tröstet und kuschelt auch, wenn die Kleinen Zuneigung brauchen. Im Waldkindergarten, wo sich 15 Erzieherinnen und zwei Erzieher um das Wohl der Kinder kümmern, kann er das mit großer Selbstverständlichkeit tun. Aber in den meisten Einrichtungen gibt es noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, damit Teams aus Erzieherinnen und Erziehern gut zurechtkommen: Zu stark werden die Einstellungen und das Handeln noch von Rollen-Klischees bestimmt.
In Nürnberg, dem zweiten bayerischen Projekt-Standort, ist Peter Grundler von der Stadt Nürnberg deshalb besonders stolz, dass die Teams der teilnehmenden Einrichtungen gecoacht werden. Die Ergebnisse sollen in einer Art Ratgeber zusammengefasst werden. Acht Kindergärten und ein Hort konnten in der Metropolregion Nürnberg bislang fürs Projekt gewonnen werden.
„Das Interesse ist groß, aber die Alltagsbelastung in den Einrichtungen lässt vielerorts keinen Spielraum für zusätzliche Dinge“, bedauert Grundler. Auch er kennt die Arbeit als Erzieher aus eigener Erfahrung. Nach fünf Jahren als Industriekaufmann absolvierte er eine Erzieher-Ausbildung und arbeitete sieben Jahre in verschiedenen Einrichtungen. Danach studierte er Sozialpädagogik und wechselte ins Jugendamt.


Für Kinder sind männliche Bezugspersonen wichtig


Was Grundler bereits während seiner Erzieher-Ausbildung auffiel, hat sein Augsburger Projekt-Mitstreiter Schießer auch Jahre später noch beobachtet: Die Inhalte der Erzieher-Ausbildung sind auf Frauen zugeschnitten. Peter Grundler sieht auch in den Einrichtungen Handlungsbedarf: Wo es männliche Erzieher gibt, sollten diese stärker in Entscheidungen eingebunden werden. Sei es bei der Zusammenstellung der Kita-Bibliothek oder bei der farblichen Gestaltung der Räumlichkeiten.
In Nürnberg können sich Männer der Projekt-Einrichtungen auf einer Internetplattform auch über solche Fragen austauschen. Was genau können Männer für das Wohl der Kinder in Kitas tun? Peter Grundler hat die Erfahrung gemacht, dass Erzieher größere Freiräume geben. Sie lassen es auch mal zu, wenn gerauft werde, solange die Regeln eingehalten werden. Tobias Schießer hat beobachtet, dass Männer im Umgang mit Kindern tendenziell gelassener sind und die Dinge auch mal laufen lassen.
Im Laufe des Modellprojekts werden auch Radiospots geschaltet, um den Erzieherjob als männliches Berufsbild zu profilieren. Auch bei Berufsbildungstagen und an den Schulen soll dafür geworben werden. „Insgesamt muss der Erzieherberuf gesellschaftlich aufgewertet werden“, sagt Schießer. Und es muss auch über ein heikles Thema offen geredet werden, wie alle Projektverantwortlichen betonen: Männer im Erzieherberuf stehen aufgrund der Berichte über Missbrauchsfälle der Vergangenheit unter einer Art „Generalverdacht“ des Kindesmissbrauchs. Deshalb betonen die Wissenschaftler, die das Modellprojekt begleiten: Vorurteile und Ängste müssten in der Ausbildung und in den Einrichtungen offen angesprochen werden. Schießer hat in einer Einrichtung erlebt, dass er nur bei offener Tür und nicht allein wickeln durfte. Aber so etwas ist ihm Gott sei Dank nur ein Mal passiert. (Robert Zsolnay)

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