Politik

Geduld ist gefragt, wenn man bei einer Behörde etwas erledigen will – noch immer gibt’s zu wenig Online-Angebote. (Foto: dpa)

24.06.2016

Nie mehr Schlange stehen: Schön wär’s!

Seit Jahren preist Bayern die Vorzüge von E-Government – doch dessen Ausbau kommt nur schleppend voran

Es ist Dienstag kurz vor 12 Uhr. Seit dreieinhalb Stunden hat das Bürgerbüro in der Münchner Leonrodstraße geöffnet. Der Warteraum ist proppenvoll. Die Menschen starren auf die Nummernanzeige und beten um Erlösung. Das vielgepriesene E-Government: hilft hier nicht.
Per Mausklick vom heimischen Sofa aus Behördengänge erledigen – das ist ein Versprechen, das schon lange durch den Freistaat geistert. Und nicht nur für Münchner Bürger wäre dessen Erfüllung eine große Erleichterung. Aber noch ist das ziemlich ferne Zukunftsmusik.

Im November 2015 schaltete Finanzminister Markus Söder, zuständig für E-Government, das Bayernportal frei, ein zentraler Zugang zu digitalen Verwaltungsleistungen in Bayern. „Das ist bundesweit einmalig“, betont Söder. 800 der 2056 Kommunen sind bereits angeschlossen, bis Ende des Jahres soll es die Hälfte sein, hofft Söder. Ein Zwang zur Nutzung des Bayern-Portals besteht indes nicht. Allerdings sollen nach dem bayerischen E-Government-Gesetz bis zum Jahr 2020 alle bayerischen Kommunen E-Government-Angebote zur Verfügung stellen. Sie können das auch über eigene Plattformen tun. So wie es derzeit beispielsweise Söders Heimatstadt Nürnberg macht.

Tadellos funktioniert die elektronische Steuererklärung


Der Haken: Auch ab 2020 dürfen Kommunen selbst bestimmen, was sie online anbieten wollen. Denn jeder Online-Dienst bedeutet Zusatzkosten. Deshalb „entscheiden die Kommunen selbstständig nach Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit“, sagt Richard Stelzer vom bayerischen Städtetag der Staatszeitung. Würde der Freistaat den Kommunen nämlich vorschreiben, welche Leistungen sie online anzubieten haben, so müsste er sich auch an den Kosten beteiligen – gemäß dem Konnexitätsprinzip, das auf dem Prinzip fußt: „Wer zahlt, schafft an.“ Kostenfrei stellt der Freistaat den Kommunen über das Bayern-Portal indes Basisdienste wie die Authentifizierung mit dem neuen Personalausweis zur Verfügung. Weshalb die Bürger wohl noch lange damit leben müssen, dass das Online-Angebot im Freistaat ziemlich uneinheitlich ist.

Aktuell ist es so, dass man beispielsweise in der Landeshauptstadt für die Wohnungs-Ummeldung aufs Amt muss – in der 4600 Einwohner zählenden Gemeinde Röttenbach im Landkreis Erlangen-Höchstadt dagegen nicht. Viele Gemeinden bieten auch die Meldebescheinigung, ein Führungszeugnis oder die Beantragung eines Wahlscheines online an. Den internationalen Führerschein wiederum kann man bei den wenigsten Kommunen per Mausklick beantragen – der Landkreis München gehört zu den Ausnahmen. In München soll das Online-Angebot jetzt ausgebaut werden: Anwohner- und Handwerker-Parkausweise können künftig online beantragt werden. Und auch Gewerbeab- und -ummeldungen sind dann online möglich. Ziemlich weit ist man heute schon in Ingolstadt – Bayerns E-Government-Vorzeigekommune: Dort funktioniert die Autozulassung, die Beantragung von Ehe- oder Lebenspartnerschaftsurkunde und vieler anderer Leistungen bereits seit Längerem online.

Doch selbst wenn eine Kommune es wollte: Alle Verwaltungsleistungen per Mausklick anzubieten, das ist derzeit rechtlich gar nicht möglich. Zum Beispiel den Personalausweis online zu beantragen: Im Personalausweisgesetz ist festgeschrieben, dass der Antragsteller persönlich erscheinen muss. Die Identifizierung der jeweiligen Person und der Abgleich des Lichtbildes sei zwingend, teilt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums der BSZ mit.

Die SPD meint: "Die Möglichkeiten des E-Government werden überschätzt"


Immerhin: Es gibt die Überlegung, Personalausweise wie heute schon Führerscheine künftig per Post zu verschicken. Zurzeit muss der Ausweis noch persönlich oder von einer bevollmächtigten Person abgeholt werden. Auch eine Strafanzeige bei der Polizei kann man in Bayern nicht online melden. In den meisten Bundesländern geht das. Im bayerischen Innenministerium befürchtet man, dass dadurch Missbrauch Tür und Tor geöffnet würde. Ohnehin könne eine Online-Anzeige weitere Schritte wie eine persönliche Zeugenbefragung durch die Polizei nicht ersetzen, sagt ein Sprecher.
Die Möglichkeiten von E-Government, bilanziert der SPD-Landtagsabgeordnete Paul Wengert, innenpolitischer Sprecher der Fraktion, „werden überschätzt“.

Viele Dienstleistungen, moniert auch die Grünen-Landtagsabgeordnete Verena Osgyan, „erfordern in Bayern immer noch, dass Bürgerinnen und Bürger persönlich zum Amt kommen“. Sie fordert, „Schriftformerfordernisse abzubauen“, aber auch mehr Geld in den Ausbau von E-Government zu stecken – „um Tempo in die Sache zu bringen und Organisationswiderstände abzubauen“.

Was heute schon gut funktioniert, ist die elektronische Steuererklärung (Elster) – 60 Prozent der Steuererklärungen in Bayern wurden im Jahr 2015 online eingereicht – grundsätzlich ist das vollkommen papierlos möglich. Erforderlich ist eine einmalige kostenlose Registrierung im Elster-Online-Portal. Danach erhält man ein elektronisches Zertifikat, mit dem man sich in den Elsterprogrammen und -portalen authentifizieren kann. Eine Unterschrift auf Papier entfällt, ein Signaturgerät ist ebenfalls nicht nötig. Belege müssen grundsätzlich nur auf Anforderung eingereicht werden. So etwas wünscht man sich eigentlich für sämtliche Verwaltungsleistungen. Doch diverse rechtliche und finanzielle Hürden stehen diesem Traum derzeit entgegen.

Andere Länder sind schon viel weiter: Österreich etwa


Aber auch die Bürgerinnen und Bürger ziehen nicht recht mit. Denn um sämtliche Online-Services etwa über das neugeschaffene Bayern-Portal zu nutzen, benötigt man die e-ID-Funktion des neuen Personalausweises – zur Authentifizierung. Derzeit besitzt rund die Hälfte der Deutschen den neuen Personalausweis. Die kostenlose e-ID-Funktion aber nutzen nur 30 Prozent – zwei Drittel haben sie ausschalten lassen. Aufgrund von Sicherheitsbedenken, aber auch Unkenntnis über bestehende Möglichkeiten, wie Studien ergeben haben. Dazu kommen die Kosten für das erforderliche Kartenlesegerät: mindestens 50 Euro kostet ein einigermaßen sicheres Modell. Anwenderfreundlichkeit sieht anders aus, monieren sowohl bayerischer Gemeinde- als auch Städtetag. „Das muss einfacher werden“, sagt Richard Stelzer, der beim Städtetag den Bereich E-Government leitet.

Ein Problem, das auch Markus Söder erkannt hat: Bayern prüfe derzeit, ob die überaus praktische Elster-Authentifizierung als „sicheres Verfahren“ auch für andere Online-Verwaltungsangebote in Frage komme. Das hat Söder jetzt der Grünen Verena Osgyan auf deren schriftliche Anfrage zum E-Government in Bayern mitgeteilt.

Die bittere Konsequenz aus all den Widrigkeiten hierzulande: Während in Österreich, der Schweiz und in Schweden die E-Government-Nutzung kontinuierlich steigt, ist sie in Deutschland sogar gesunken. Das belegt der E-Government-Monitor 2015. Danach hatten 39 Prozent der Befragten in den vergangenen 12 Monaten E-Government-Angebote genutzt. 2014 waren es noch 45 Prozent – die meisten von ihnen wollten sich für das Steuerprogramm Elster registrieren. Zum Vergleich: In Österreich machen von E-Government-Angeboten viel mehr Menschen Gebrauch: Im Jahr 2015 waren es mit 73 Prozent fast drei Viertel der Bürger.
(Angelika Kahl, Waltraud Taschner)

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