Politik

Die Angeklagte Beate Zschäpe zwischen ihren Anwälten Hermann Borchert (links) und Mathias Grasel. (Foto: dpa)

25.07.2017

NSU-Prozess auf der Zielgeraden

Bundesanwaltschaft fordert Verurteilung Zschäpes als Mittäterin. Zschäpe droht lebenslange Haft wegen Mordes

Die Bundesanwaltschaft fordert eine Verurteilung der mutmaßlichen Rechtsterroristin Beate Zschäpe als Mittäterin an allen Morden und Anschlägen des "Nationalsozialistischen Untergrunds". Bundesanwalt Herbert Diemer sagte zum Beginn der Plädoyers im Münchner NSU-Prozess, die Anklagevorwürfe gegen Zschäpe und die vier Mitangeklagten hätten sich in allen wesentlichen Punkten bestätigt. Sollte das Oberlandesgericht in seinem Urteil dieser Argumentation folgen, droht Zschäpe lebenslange Haft wegen Mordes.

Diemer bezeichnete Zschäpe als Mitgründerin und Mitglied einer terroristischen Vereinigung. Als Mittäterin habe sie gemeinsam mit ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Menschen türkischer oder griechischer Herkunft ermordet, einen tödlichen Anschlag auf Polizeibeamte sowie einen Bombenanschlag auf das Geschäft einer iranischen Familie in Köln verübt und ebenfalls in Köln eine Nagelbombe mit großer Sprengkraft zur Explosion gebracht. Darüber hinaus habe Zschäpe gemeinsam mit Mundlos und Böhnhardt schwere Raubüberfälle verübt und nach dem Tod der beiden die letzte gemeinsame Wohnung des NSU in Zwickau in Brand gesteckt.

Bundesanwalt nennt Zschäpe "gleichberechtigtes Mitglied des NSU"

Die Anklage argumentiert, Zschäpe sei entgegen ihrer eigenen Aussage gleichberechtigtes Mitglied des NSU und in die Logistik der Taten arbeitsteilig eingebunden gewesen. "Die Täter, Hoher Senat, waren Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe", sagte Diemer.

Diemer bezeichnete die Verbrechen des NSU als die "heftigsten und infamsten" Terroranschläge seit der linksextremen Rote Armee Fraktion (RAF). "Motiv für all diese Verbrechen war rechtsextremistische Ideologie." Das Ziel sei ein "ausländerfreies" Land gewesen, sagte Diemer. Die Bundesrepublik habe in ihren Grundfesten erschüttert werden sollen. Der NSU habe versucht, einem "widerwärtigen Naziregime den Boden zu bereiten". Die Opfer seien nur wegen ihrer ausländischen Herkunft "hingerichtet" worden, weil sie in den Augen Zschäpes und ihrer beiden Komplizen in Deutschland nichts zu suchen gehabt hätten. Sämtliche Opfer seien "willkürlich herausgegriffen" worden, sagte der Bundesanwalt.

Ursprünglich hätten die Plädoyers nach dem Willen des Gerichts schon am vergangenen Mittwoch beginnen sollen - nach mehr als vier Jahren Prozessdauer. Juristisches Hickhack über eine mögliche Tonbandaufnahme der Schlussvorträge verhinderte dies aber. Letztlich verzichteten die Verteidiger am Dienstag aber auf neue Befangenheitsanträge, so dass die Plädoyers starten konnten.

Zschäpe lebte denn Ermittlungen zufolge fast 14 Jahre mit Mundlos und Böhnhardt im Untergrund. Die beiden Männer sollen während dieser Zeit die zehn Morde, die Anschläge und Überfälle verübt haben. Zschäpe soll von allen Morden gewusst und diese unterstützt haben; sie selbst bestreitet das. Neben Zschäpe sitzen vier mutmaßliche Terrorhelfer auf der Anklagebank. Das Verfahren hatte am 6. Mai 2013 begonnen. (dpa)

Der NSU-Prozess in Zahlen
Seit dem 6. Mai 2013 läuft der NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. Einige Zahlen zu dem Mammutverfahren:

- 5 Angeklagte müssen sich verantworten, darunter Beate Zschäpe und der frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben.

- 5 Anwälte hat die Hauptangeklagte Zschäpe. Von den Pflichtverteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm distanzierte sich Zschäpe im Laufe des Verfahrens. Mathias Grasel kam als vierter Pflichtverteidiger, Hermann Borchert als Wahlverteidiger dazu.

- 5 Richter hat der Staatsschutzsenat des Münchner Oberlandesgerichts unter Vorsitz von Manfred Götzl. Zudem waren 3 Ergänzungsrichter benannt. Zwei Richter der Startbesetzung schieden inzwischen aus. Ein Ersatzrichter steht derzeit noch zur Verfügung.

- 10 Menschen soll die Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" ermordet haben. Neun von ihnen waren Geschäftsleute türkischer und griechischer Abstammung in den Jahren 2000 bis 2006. Außerdem die am 25. April 2007 in Heilbronn getötete Polizistin Michele Kiesewetter.

- 14 Jahre lang soll Zschäpe mit den Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund gelebt haben.

- Mindestens 33 Befangenheitsanträge zählte die Geschäftsstelle des Gerichts.

- 42 Sachverständige lieferten Einschätzungen zu Waffen, Munition, psychischer Verfassung der Angeklagten und Todesursachen der Mordopfer.

- 49 Anwälte vertreten die Nebenkläger.

- 71 Nebenkläger sind zugelassen, darunter Angehörige der Mordopfer.

- 123 Medien hatten sich für das Verfahren akkreditiert. 50 von ihnen haben einen fest reservierten Platz.

- Rund 230 Plätze hat der extra für den Prozess umgebaute Gerichtssaal A 101, etwa 100 mehr als vorher.

- 375 Verhandlungstage dauerte es bis zum Ende der Beweisaufnahme.

- 488 Seiten umfasst die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft. Darin wird Zschäpe Mittäterschaft bei den zehn NSU-Morden vorgeworfen.

- 815 Zeugenaussagen hörte das Gericht.

- Rund 150 000 Euro kostet ein Prozesstag. Die Gesamtkosten liegen damit bislang bei knapp 56 Millionen Euro.

- Die mehr als 280 000 Seiten Ermittlungsakten füllen mehr als 600 Ordner.

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