Politik

Die jüngsten bayerischen Neuzugänge der Parteien im Bundestag. Oben von links: Stephan Pilsinger (CSU), Lisa Badum (Grüne), Johannes Huber (AfD). Untere Reihe von links: Nicole Bauer (FDP), Michael Schrodi (SPD) und Susanne Ferschl (Linke). (Fotos: dpa (1), BSZ)

29.09.2017

Parlamentsneulinge mit schwieriger Mission

Aus Bayern haben es insgesamt 108 Abgeordnete in den Bundestag geschafft, 36 von ihnen wurden dabei erstmals gewählt. Wir stellen die jüngsten Neuzugänge vor

Gezittert haben sie bis zum Schluss: die jeweils jüngsten bayerischen Kandidaten der Parteien für die Bundestagswahl. Die Freude darüber, tatsächlich gewählt zu sein, mischte sich in den meisten Fällen mit dem Schock übers Wahlergebnis. Dass die AfD mit 12,6 Prozent erstmals in den Bundestag einzieht, registrieren die anderen Parteien mit maximalem Grausen. Wir stellen die jüngsten bayerischen Neulinge im neuen Bundestag vor.

Stephan Pilsinger, CSU

Mit 30 Jahren ist der Münchner Stephan Pilsinger der jüngste Neuling in der geschrumpften CSU-Landesgruppe. Andererseits ist er politisch schon ein mittelalter Hase. Bereits als Teenager trat er in die Junge Union Münchens ein, seit 2013 ist er deren Vorsitzender. Kommunalpolitische Erfahrung sammelt er seit 2008 im Bezirksausschuss München/Obermenzing.

Bislang arbeitete Pilsinger als Arzt in einem Landshuter Krankenhaus, seine berufliche Tätigkeit war nach seinen Worten auch die Initialzündung für die Bundestagskandidatur. „Ich hatte festgestellt, dass der Bundestag bei über 600 Abgeordneten nur über sechs Ärzte verfügt“, erklärt er. Dabei würden dort die grundlegenden Entscheidungen über das Gesundheitswesen getroffen. Folglich will sich Pilsinger als Abgeordneter vor allem in Fragen der Gesundheit und der Pflege engagieren. Er wolle „gesunde Politik für München und Deutschland machen“, hat Pilsinger schon im Wahlkampf verkündet, seine Treffen mit Bürgern nennt er deshalb auch naheliegend „Pilsingers Sprechstunde“. Kein Wunder, dass er dort dann nicht nur zu politischen Themen Auskunft geben muss, sondern auch auf so manches Zipperlein angesprochen wird.

Obwohl Pilsinger im Wahlkampf gezielt konservative Wähler angesprochen hat, kann er sich eine Jamaika-Koalition gut vorstellen. „Anderswo funktioneren Kooperationen mit den Grünen auch reibungslos, an diesen Beispielen sollten wir uns orientieren“, wünscht sich der Youngster von den Verhandlungsführern der CSU. (Jürgen Umlauft)

Michael Schrodi, SPD

Der 40-jährige Gymnasiallehrer aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck erfuhr erst am Montag früh, dass er es tatsächlich geschafft hat: Er verdankt seinen Einzug in den Bundestag einem Ausgleichsmandat. Ein Politneuling ist Schrodi nicht, er verbrachte insgesamt 11 Jahre in Kommunalparlamenten. Seinen Sitz im Kreistag von Fürstenfeldbruck will er behalten. Dass er nach Martin Schulz’ Absage an eine Große Koalition in der Opposition sein wird, stört ihn nicht, im Gegenteil: „Die Gemeinsamkeiten mit der Union sind aufgebraucht“, konstatiert Schrodi. Das schlechte Ergebnis der SPD erklärt er mit den Kompromissen von Schwarz-Rot – etwa bei der Mietpreisbremse, die ihm nicht weit genug geht, bei der Zeitarbeit oder der Lohngerechtigkeit für Frauen.

In Berlin würde sich der Vater zweier Kinder gern um die Themen Wohnungsbau, Renten- oder Steuerpolitik kümmern. Seine Nachfolgerin an der Schule hat er schon kennengelernt und „eine geordnete Übergabe organisiert“. Ob ihm der Abschied als Lehrer schwer fällt? „Ich war gern Lehrer“, sagt Schrodi, der Geschichte, Sozialkunde und Deutsch unterrichtet hat. Aber er freut sich jetzt darauf, „alle Energie auf die Politik konzentrieren zu können“. Kleiner Wermutstropfen: Fußballspielen mit seinem Sohn (5) wird er nun seltener können. (Waltraud Taschner)

Johannes Huber, AfD

Wie fühlt man sich als Abgeordneter einer Partei, mit der alle anderen im Parlament nichts zu tun haben wollen? Johannes Huber (30), Finanzbuchhalter aus dem Landkreis Freising, gibt sich cool: „Darauf ist die AfD eingestellt, das ist ja keine große Überraschung.“ Seine Partei, sagt Huber, werde jetzt ihre „Rolle als Opposition ausfüllen“. Dass die AfD mit „Nazi“-Vorwürfen konfrontiert wird, sieht Huber „gelassen“. Das seien „absolut haltlose Vorwürfe“ und eine „Strategie der Altparteien, uns zu stigmatisieren“. Seinen Job in einem mittelständischen Unternehmen will er noch ein bisschen behalten. „Der Bundestag konstituiert sich ja erst Ende Oktober.“

Wie sein Chef auf sein AfD-Engagement reagiert hat? „Wir haben ein super Verhältnis, er hat mich in allen Dingen unterstützt“, erzählt Huber, der nach seinem Studium der Soziologie und Betriebswirtschaftslehre erst in einer Personalabteilung gearbeitet hat, ehe er in die Buchhaltung wechselte. Zur AfD kam er als Student – damals regte ihn das Agieren der Politik während der Finanzkrise auf. Eine etablierte Partei hat er noch nie gewählt. „Ich war entweder Nichtwähler oder Protestwähler.“ 2014 trat Huber in die AfD ein.

Im Bundestag würde er sich gern um das Thema direkte Demokratie kümmern: im Petitionsausschuss. „Dort könnte ich Bürgeranliegen am besten aufgreifen.“ Huber, ledig und kinderlos, beschreibt sich selbst als „freiheitlich-konservativ“. Was konkret unter anderem heißt: nein zur Homo-Ehe. Er sei „absolut tolerant gegenüber jeglicher sexuellen Orientierung“, beteuert Huber. Und verweist auf die lesbische AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel. Aber Kinder adoptieren? Bitte nicht für Schwule und Lesben, sagt Huber. Kinder gehörten in die klassische Mann-Frau-Ehe. Das sei „von der Natur so vorgesehen“. (Waltraud Taschner)

Nicole Bauer, FDP

Die 30-jährige Nicole Bauer aus dem Landkreis Landshut musste bis zum Montagmorgen zittern, dann fuhr sie sofort zur ersten Fraktionssitzung nach Berlin. Dort würde sich die Diplom-Wirtschaftsingenieurin, die noch bis Ende Oktober in der Automobilbranche arbeitet, gern den Themen Wirtschaft oder Digitalisierung widmen. „Es sollte auf jeden Fall auch etwas mit Technik sein“, betont Bauer, seit 2010 in der FDP und seit 2015 Vorsitzende des Kreisverbands Landshut-Land. „Dort liegen meine Kompetenzen.“ Bauer kämpft gegen Technologieverbote, Stichwort Verbrennungsmotoren, und zu viele bürokratische Vorschriften in der Landwirtschaft. Den Koalitionsverhandlungen für ein Jamaika-Bündnis sieht sie deshalb mit „leichten Bauchschmerzen“ entgegen. „Die Menschen wollen, dass wir bei unseren Themen klare Kante zeigen“, ist sie überzeugt. „Und notfalls müssen wir dazu in die Opposition gehen.“

Bauer selbst ist auf einem landwirtschaftlichen Betrieb groß geworden und hat dort schon den Großeltern geholfen, Produkte im Hofladen und auf Bauernmärkten zu vermarkten. Was ihr völlig gegen den Strich geht: „Alle Landwirte zu diffamieren, nur weil es ein paar schwarze Schafe gibt.“ Beim Thema AfD macht es sich die Niederbayerin etwas einfach – in Landshut liegen die Rechtspopulisten mit 14,6 Prozent der Stimmen sogar noch vor der SPD. Hier müssten in erster Linie die anderen Parteien Antworten liefern, meint Bauer. „Die FDP war im Bildungsurlaub.“ Jetzt ist sie wieder zurück und wird für ein Einwanderungsgesetz kämpfen. „Das ist seit Jahren überfällig.“ (Angelika Kahl)

Lisa Badum, Grüne

„Klar bin ich Feministin“, erklärt die 33-jährige Forchheimerin Lisa Badum. „Dazu stehe ich, schließlich ist jede Frau, die für gleiche Chancen und Rechte ist, Feministin.“ Für die Politikwissenschaftlerin ist die Gleichstellung ein Querschnittsthema, „das immer mitgedacht werden muss“. Auch in ihrem Fachgebiet erneuerbare Energien, dem Badum gerne im Bundestag treu bleiben würde. „Wie können wir mehr Frauen in technische Berufe bringen, ist hier so eine Frage“, erklärt sie. Den Job in der Abteilung Bürgerenergie bei einem grünen Energieversorger hat sie – wenn auch schweren Herzens – schon gekündigt. „Ich organisiere noch die Übergabe, in zwei Wochen aber bin ich endgültig weg.“

Dass es jetzt im dritten Anlauf tatsächlich mit einem Mandat geklappt hat – Badum trat bereits bei den Bundestagswahlen 2009 und 2013 an – war mit Listenplatz 11 alles andere als sicher. „Aber das zeigt doch, dass es sich lohnt, bis zum letzten Moment zu kämpfen, zu hoffen und nicht zu viel auf Umfragen zu geben“, sagt Badum. Und wie sieht sie den Verhandlungen zu einer Jamaika-Koalition entgegen? „Wir sind nicht der billige Jakob und werden uns nicht unter Wert verkaufen“, kündigt sie an. „Im Vergleich zur CSU, einem absoluten Hühnerhaufen seit der Wahlschlappe, sind wir in der stärkeren Position.“ (Angelika Kahl)

Susanne Ferschl, die Linke

Susanne Ferschl hat schon lange mit dem Gedanken gespielt, sich politisch zu engagieren. Die heute 44-Jährige ist während ihrer Ausbildung zur Chemielaborantin in Kontakt mit dem Betriebsrat gekommen – und hat dabei gemerkt: „Nur wenn wir uns einbringen, können wir auch etwas verändern.“ So wurde die Kaufbeurerin Betriebsrätin, Mitglied der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und 2006 schließlich Gesamtbetriebsratsvorsitzende beim Nahrungsmittelkonzern Nestlé. Eine Parteimitgliedschaft kam damals für Ferschl zwar noch nicht infrage. Doch dann seien immer mehr Kollegen verzweifelt zu ihr gekommen, weil sie fürchteten, von ihrer späteren Rente nicht leben zu können. „Das war der Moment, als ich in die Politik wollte“, erinnert sie sich.

Doch warum im schwarzen Bayern ausgerechnet zur Linkspartei? „Wegen der Agenda 2010“, antwortet Ferschl. Inzwischen unterstützen sie sogar ihre politisch früher konservativen Eltern. Ob die Rettung des todgeweihten Mainzer Nestlé-Werks ihr den sicheren dritten Listenplatz eingebracht hat, kann sie nicht sagen. Im Bundestag will sie sich für Arbeit und Soziales einsetzen – und gegen prekäre Arbeitsverhältnisse, sachgrundlose Befristungen und Kettenverträge kämpfen.

Sie bedauert, dass keine Regierungsmehrheit mit der Linken möglich ist: „Ich wäre gerne bereit gewesen, Verantwortung in einer Regierung zu übernehmen.“ Jetzt will sie ihre Stärken in der Opposition einbringen – ihre Qualifikation als Coach zur „gewaltfreien Kommunikation“ wird ihr dabei sicherlich helfen. (David Lohmann)

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