Für einem Moment hat er sie alle auf seiner Seite. „Als Bundeskanzler würde ich dafür sorgen, dass alle Kinder freie Süßigkeiten bekommen“, verspricht Peer Steinbrück. Doch das freudige Erstaunen der Kinder des Betreuungsprojektes Lichtblick Hasenbergl, die den SPD-Kanzlerkandidaten umringen, erlischt ganz schnell. Denn der fügt gleich an: „So was ist ein typisches Politikerversprechen, das niemand halten kann.“ Richtig dankbar scheinen die Kinder für die Aufklärung in Sachen Wahlkampflügen zwar nicht. Emre (11) gibt Steinbrück aber eine zweite Chance: „Wenn Sie die Schule abschaffen, sag’ ich meinen Eltern, dass sie Sie wählen sollen.“
Gemeinsam mit SPD-Landeschef Florian Pronold, dem Münchner SPD-Bundestagsabgeordneten Florian Post und der Landtagsabgeordneten Diana Stachowitz besucht Steinbrück das Projekt, das 80 Kinder und Jugendliche betreut. 80 Prozent haben einen Migrationshintergrund, und alle kommen aus dem Hasenbergl, einem Viertel, das als sozialer Brennpunkt gilt. Sie leben in materiell schwierigen Verhältnissen und bildungsfernen Familien. Lichtblick Hasenbergl gilt als Vorzeigeprojekt. Es ist bundesweit einzigartig, da es den Kindern und deren Eltern langfristig hilft. Das beginnt mit dem Kennenlernen eines geregelten Tagesablaufs und einer Sprachförderung im Alter von drei Jahren und endet mit einer begleiteten Ausbildung. Weil das in keine existierende Förderschiene passt, bekommt die Einrichtung der katholischen Jugendfürsorge der Erzdiözese München und Freising keine staatliche Vollfinanzierung und ist stattdessen auf Spenden angewiesen.
Lichtblick-Leiterin Dörthe Friess sieht in Steinbrücks Besuch „eine große Chance“. Für das eigene Projekt. Aber auch für potenzielle Nachfolge-Projekte in ganz Deutschland. Die SPD-Abgeordnete Stachowitz, die im Gegensatz zu den Herren Pronold und Post an diesem Nachmittag aus der Rolle der stummen Statistin ausbricht, fordert individuell zugeschnittene Förderregelungen, die auch solche Projekte unterstützen.
Steinbrück spielt Topmodel und wackelt mit dem Hintern
Steinbrück selbst, der ja grundsätzlich etwas nordisch unterkühlt wirkt, tut das auch an diesem Tag. Die Frage eines TV-Reporters, ob er etwas zu seinem Gefühls- und Tränenausbruch auf dem Parteikonvent am vergangenen Wochenende sagen möchte, trägt nicht dazu bei, ihn etwas aufzutauen. Brüsk würgt er die Frage ab. Das Engagement von Friess und ihren Mitarbeitern interessiert Steinbrück dagegen sichtlich. Wie sie an die Familien herankommen und wie sie es schaffen, dass unter den Kindern und Jugendlichen kein einziger Schulabbrecher sei, will er wissen. Und er fragt auch, wie die Kurse für die Eltern – darunter Sprachunterricht und Training zur Bewältigung ganz alltäglicher Herausforderungen – funktionieren.
Aber dann sind die Kinder dran. Jetzt dürfen sie Steinbrück löchern. Wie alt er sei, wollen sie wissen (66 Jahre), ob er selbst Kinder habe (drei im Erwachsenenalter), warum er Bundeskanzler werden wolle („Damit ich vieles besser machen kann, damit alle Kinder die gleichen Chancen haben – egal aus welchem Stadtviertel sie sind“) und ob er Angela Merkel möge („Ich kenn sie ganz gut“). Und dann schaffen es die Kleinen tatsächlich. Sie knacken Steinbrück. Er lacht herzlich, steht vom Stuhl auf, läuft einen imaginären Catwalk entlang und schwingt demonstrativ seinen Hintern hin- und her. Das ist Steinbrücks Antwort auf die Frage, ob er schon mal ein Topmodel getroffen habe.
Mit Steinbrück verlieren auch die Kinder die Zurückhaltung, sie scharen sich um ihn, kichern und plappern durcheinander. Spätestens jetzt verzeiht auch Emre, dass Steinbrück die Schule nicht zwei Wählerstimmen opfert. Als der den Kindern dann gesteht, dass er zwei Mal sitzen geblieben ist, können sie es nicht fassen. „Sie haben zwei Mal die Klasse wiederholt und können trotzdem Bundeskanzler werden?“, fragt Anni ungläubig. „Ja, du darfst auch mal versagen“, sagt Steinbrück. „Aber dann musst du dranbleiben und es noch einmal versuchen.“ Es ist einer seiner besten Sätze an diesem Tag, denn die Kinder scheinen ihm zu glauben.
„Die Begegnung mit Steinbrück werden die Kinder in ihrem Leben nicht vergessen werden“, ist sich Projektleiterin Friess sicher. „Für die Kinder ist so jemand so weit weg. Unerreichbar“, sagt sie. Mit seiner Ehrlichkeit und Offenheit aber habe Steinbrück eine Brücke geschlagen – in ihre Welt. „Sie durften mit ihm lachen, ihm nah sein.“
Ob auch für Steinbrück die Begegnung mit den Hasenbergl-Kindern unvergessen bleibt? Für ihn ist es ein Wahlkampftag, dem noch viele folgen. Am selben Abend aber mag er sich vielleicht noch nach den erfrischenden Fragen der Kinder sehnen. Doch auf der Diskussionsveranstaltung „Politik für den deutschen Mittelstand“ beim Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung sind es bayerische Unternehmer, die ihn mitunter in die Zange nehmen. Es geht um Inhalte des Wahlprogramms, die angekündigten Steuererhöhungen, Energiewende und Euro-Krise. Und es geht vor allem auch darum, Befürchtungen der Unternehmer glaubhaft zu zerstreuen, die laut Steinbrück Ergebnis von „Propaganda und Windmaschinen“ konservativer Politiker und Medien sind.
Apropos Glaubwürdigkeit. Bei den Kleinen am Nachmittag hatte Steinbrück da so seine Schwierigkeiten. „Bist du reich?“, wollte die siebenjährige Techna wissen. „Ja“, antwortete Steinbrück. Techna prompt: „Das glaub’ ich nicht.“ Was sie wohl denken wird, falls Steinbrück nun auch noch als Kanzlerkandidat scheitert? Hoffentlich nicht: „Zwei Mal sitzengeblieben eben.“ (Angelika Kahl)
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