Politik

Junge Flüchtlinge, die hier Fuß fassen wollen, brauchen gerade in der Ausbildung viel Zuwendung. (Foto: dpa)

13.02.2015

Personelle Schätze heben

Bayerns Handwerk will junge Flüchtlinge in die duale Berufsausbildung integrieren – und stößt auf viele Hürden

Völlig mittellos und allein kam Abdoul Rahman Heidary aus Afghanistan im Jahr 2010 nach Deutschland. Der damals 16-Jährige lernte innerhalb von einem Jahr Deutsch und hat den qualifizierten Hauptschulabschluss gemacht: „Ich konnte ein wenig Englisch, das hat geholfen“, erzählt er. Jetzt macht er in der Bienenapotheke im Münchner Stadtteil Obermenzing eine Ausbildung zum pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten. Weil er weiß, wie sehr junge Flüchtlinge auf Begleitung und Hilfe angewiesen sind, arbeitet er nebenbei ehrenamtlich in diesem Bereich. Dafür hat er von der Landeshauptstadt bereits die Medaille „München dankt“ erhalten.
Seine Lebensgeschichte erzählte er unter dem tosenden Beifall der knapp 250 Teilnehmer der Veranstaltung der Europäischen Metropolregion München unter dem Motto „Schätze heben: Integration junger Flüchtlinge in die duale Berufsausbildung“ in der Handwerkskammer für München und Oberbayern. Denn allein im Kammerbezirk München und Oberbayern konnten im vergangenen Jahr rund 1700 Lehrstellen bei den Handwerksbetrieben nicht besetzt werden. Gleichzeitig drängen aufgrund der Flüchtlingsströme aus den Krisenregionen der Welt auch immer mehr junge Asylbewerber nach Deutschland und Bayern. Somit könnte sich die Nachfragelücke der Betriebe schließen lassen. Doch was in der Theorie einfach klingt, ist in der Praxis teils extrem kompliziert.
Größte Herausforderung bei allen Bemühungen um die jungen Menschen ist das Bleiberecht. Darum forderte Handwerkskammerpräsident Georg Schlagbauer, der auch Präsident des Bayerischen Handwerkstags ist, dass die Flüchtlinge während der Ausbildung und auch noch mindestens zwei Jahre danach in Deutschland bleiben dürfen. „Ich möchte hier auf unsere 3+2-Forderung verweisen, mit der wir uns als Bayerischer Handwerkstag bereits an Ministerpräsident Horst Seehofer und weitere Minister der Staatsregierung gewandt haben“, so Schlagbauer.
Mit viel persönlichem Einsatz kümmert sich auch Elektrikermeister Peter Rossmanith aus dem Münchner Stadtteil Neuhausen um einen jungen Mann aus Afghanistan: „Er war Analphabet und hat in drei Jahren Deutsch gelernt.“ Demnächst werde der junge Mann die Meisterschule besuchen. „Mein Vater war selbst Flüchtling, denn er kam aus dem Sudetenland. Da hat man einen gewissen Draht für die Nöte dieser Menschen“, sagt Rossmanith am Rande der Veranstaltung der Staatszeitung.
Doch nicht nur der humanitäre Aspekt ist für den Elektrikermeister entscheidend. Auch für seinen Betrieb ist es wichtig, junge Nachwuchskräfte zu finden. Denn das sei in den letzten Jahren immer schwieriger geworden. „2014 haben wir keinen Bewerber für unseren Ausbildungsplatz gefunden. Aber wir haben ja schließlich den Anspruch, die Elektroanlagen, die wir installiert haben, auch weiterhin betreuen zu können“, so der Meister des zwölf Mitarbeiter umfassenden Elektroinstallationsbetriebs. Das geht aber nur, wenn genügend Personal vorhanden ist. Die Kunden von Rossmanith jedenfalls finden das Engagement des Meisters für junge Flüchtlinge sehr positiv. „Ich habe aber auch Verständnis dafür, wenn man andernorts, wo die Wirtschaft nicht so boomt wie im Großraum München, Probleme mit Asylbewerbern hat“, so Rossmanith zur Staatszeitung.
Damit die Integration in den Betrieb erfolgreich verläuft, ist laut Rossmanith der Lehrherr stark gefordert: „Ein privater Anschluss ist nötig. Denn bei diesen Menschen ist es nicht so wie bei deutschen Azubis, die aus einer Familie kommen.“ Die jungen Flüchtlinge sind ganz auf sich allein gestellt.
„Die jungen Menschen sind finanziell und persönlich verunsichert, labil, orientierungslos, teils traumatisiert, geschwächt, allein, überfordert und stecken in einem laufenden Asylverfahren“, charakterisiert Klaus Seiler, Schulleiter der Städtischen Berufsschule zur Berufsvorbereitung München, die Lage der jungen Flüchtlinge. Posititv sei aber, dass diese jungen Menschen hoch motiviert, selbstständig, dankbar und mit viel Organisationstalent ausgestattet wären, denn sonst hätten sie den beschwerlichen Weg nach Deutschland nicht geschafft.

Lehrer sind als Psychologen und Sozialarbeiter gefordert


Hatte Seiler im Schuljahr 2011/2012 noch vier Klassen mit 73 Asylbewerbern, so sind es aktuell zehn Klassen mit 195 Schülern. Für das Schuljahr 2015/2016 rechnet er mit 14 Klassen und 267 Asylbewerbern. Auch er verweist mit Nachdruck darauf, dass diese jungen Menschen viel Betreuung brauchen: „Da ist der Lehrer nicht nur Wissensvermittler, sondern Lerncoach, Psychologe und Sozialarbeiter.“ Vom Ziegenhirten bis zum Abiturienten reiche die Spanne an Qualifikationen, die die jungen Flüchtlinge mitbringen.
Größtes Problem für die Flüchtlinge ist das Asylverfahren. „Allein das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fällt eine verbindliche Entscheidung“, verdeutlicht Steffen Mattes, Gruppenleiter Asylangelegenheiten beim Landratsamt München. Zwar dürften nach neuester Gesetzeslage die Asylbewerber bereits nach drei Monaten einer Beschäftigung nachgehen, aber 2014 erhielten nur 31,5 Prozent der insgesamt 202 834 Asylbewerber in der Bundesrepublik eine Aufenthaltserlaubnis. „Das Bundesamt schaut nur auf die Herkunftsländer“, so Mattes. Ob ein Asylbewerber sich um Spracherwerb, Integration und Beschäftigung bemühe, sei ohne Einfluss auf das Verfahren. Nur bei so genannten geduldeten Ausländern sei die Integrationsleistung entscheidend. Aber diese Duldung sei ein problematischer Schwebezustand, der dem Asylbewerber nie die Unsicherheit nehmen könne, ob er zum Beispiel seine Ausbildung hierzulande beenden könne.
Diese Gesetzeslücke muss aber dringend geschlossen werden – auch im Interesse der Wirtschaft. Denn sonst droht einem Betrieb während der dualen Ausbildung plötzlich der Verlust eines hoch motivierten Auszubildenden.
(Ralph Schweinfurth)

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