Politik

Ein Teddy von der Polizei: Bereitschaftspolizisten haben spontan für Flüchtlingskinder Stofftiere gesammelt. (Fotos: Markus Fleck/Bayer. Bereitschaftspolizei)

25.09.2015

"Planbare Wochenenden gibt’s nicht mehr"

Bereitschaftspolizei-Präsident Wolfgang Sommer über die Herausforderung der Flüchtlingskrise, personelle Engpässe und die Stimmung in der Truppe

Immer wenn die Polizei eine Situation vor Ort nicht bewältigen kann, kommt sie zum Einsatz: die bayerische Bereitschaftspolizei. Flüchtlingskrise und Oktoberfest binden derzeit alle Kräfte, die Belastungsgrenze ist erreicht, sagt Präsident Wolfgang Sommer. Der 59-Jährige leitet seit 2010 die bayerische Bereitschaftspolizei, die auch für die Polizei-Ausbildung zuständig ist. Er berichtet, wie nah den meist jungen Polizisten im Einsatz die Not der in Bayern ankommenden Flüchtlinge geht. BSZ: Herr Sommer, als Angela Merkel verkündete, alle syrischen Flüchtlinge seien willkommen und „Wir schaffen das!“, spürten Sie da nicht einen kleinen Anflug von Panik?
Wolfgang Sommer: Nein, das hat uns nicht besonders erschreckt. Das ganze Jahr war ja schon sehr unruhig. Denken Sie an die Pegida-Demonstrationen, die Zunahme an Einbruchsdelikten, Crystal Speed und den G7-Gipfel – so schnell bekommen wir keine Panik.

BSZ: Jetzt hat auch noch die Wiesn begonnen – wie groß sind denn die aktuellen Herausforderungen für die Bereitschaftspolizei?
Sommer: Das Oktoberfest immerhin ist planbar. Viele andere Einsätze sind das nicht. Wir unterstützen die Polizei ja immer dort, wo Situationen und Phänomene auftauchen, die sie mit eigenen Einsatzkräften nicht bewältigen kann. Und natürlich sind wir zwischenzeitlich auch schon mal an unsere Belastungsgrenzen gelangt. Es gibt Engpässe, aber keinen polizeilichen Notstand – dieser Begriff ist in anderen Bundesländern ja bereits gefallen.

BSZ: Wie wirken sich diese Engpässe konkret aus?
Sommer: Was die Anzahl der Einsatzkräfte betrifft, können wir nicht alle Wünsche der einzelnen Präsidien erfüllen. Wir müssen Prioritäten setzen, und die heißen im Moment natürlich Flüchtlingskrise und Oktoberfest.

"Die Situation werden wir jetzt mit dem Innenministerium besprechen"

BSZ: Was bedeutet das für die einzelnen Beamten?
Sommer: Das beeinträchtigt im Einzelfall natürlich auch das Privatleben. Angesichts der derzeitigen Einsatzdichte ist es sehr schwierig, den Kollegen zwischendurch planbare Wochenenden zu ermöglichen. Und dann kommt natürlich auch schon mal die berechtigte Frage: Wie sind meine familiären Interessen noch mit dem Dienst kompatibel? Das müssen wir in Griff bekommen. Und diese Situation werden wir, wenn das Oktoberfest vorbei ist, auch mit dem Innenministerium besprechen.

BSZ: Ist die Stimmung in der Truppe also eher mies?
Sommer: Nein, ganz im Gegenteil! Unsere geschlossenen Einheiten bestehen aus Beamten, die nach der Ausbildung für 18 Monate zu uns kommen. Und die sind hoch motiviert und möchten bei möglichst vielen Einsätzen dabei sein. So ist das beispielsweise bei Unterstützungseinsätzen in anderen Bundesländern und Städten wie Hamburg, Frankfurt oder Dresden. Nicht selten melden sich die Einheiten bei uns und fragen nach, warum sie nicht berücksichtigt wurden.

BSZ: Die Staatsregierung will Beamte im Ruhestand reaktivieren, um Engpässe auszugleichen. Macht sich das bei Ihnen bereits bemerkbar?
Sommer: Für diese Aktion wurden Ruhestandsbeamte weit über die Polizei hinaus angeschrieben. Vereinzelt gibt es Rückmeldungen, auch von Ruheständlern der Bereitschaftspolizei. Allerdings arbeiten diese dann im Verwaltungsbereich, eine Unterstützung der Vollzugsbeamten gibt es nicht.

BSZ: Wie reagieren Flüchtlinge auf bayrische Polizisten? Viele von ihnen dürften in der Heimat weniger gute Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben.
Sommer: In der Regel sind die Flüchtlinge gut vernetzt, sie wissen also, dass sie in Deutschland und auch von der Polizei freundlich empfangen werden. Deshalb gibt es kaum Probleme. Unsere Maßnahmen sind ja auch stark von Hilfe geprägt. Repressive Maßnahmen richten sich gegen Schleuser.

"Es gibt spontane Hilfsaktionen. Polizisten haben zum Beipiel Plüschtiere gesammelt"

BSZ: Wie reagieren die meist jungen Einsatzbeamten auf die Not der Flüchtlinge?
Sommer: Viele sind sehr betroffen, und das ist für uns ein großes Thema. Zu sehen, wie arm viele der ankommenden Familien sind, ist eine sehr starke emotionale Belastung – das schildern uns immer wieder Kollegen. Auch wie mancher Flüchtling die Nacht verbringen muss, halten viele für grenzwertig. Diese Gefühle beeinflussen auch den Umgang mit den Menschen, der, wie gesagt von Hilfsbereitschaft geprägt ist. Es gibt auch spontane Hilfsaktionen. Bereitschaftspolizisten haben zum Beispiel Plüschtiere für ankommende Flüchtlingskinder gesammelt – und freuen sich über die leuchtenden Augen.

BSZ: Wie werden die Polizisten aufgefangen, wenn sie emotional überfordert sind?
Sommer: Grundsätzlich werden alle Einsätze mit Vorgesetzen vor- und nachbesprochen. Außerdem steht den Kollegen ein umfangreiches und dichtes psychologisches Netzwerk zur Betreuung in schwierigen dienstlichen und privaten Situationen zur Verfügung. Neben dem Zentralen Psychologischen Dienst in München sind in diesem Netzwerk auch Sozialpädagogen und Seelsorger aktiv.

BSZ: Werden angehende Polizisten auch auf den Umgang mit Flüchtlingen vorbereitet?
Sommer: Soziale Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit bilden einen Schwerpunkt in der Ausbildung. Dazu gehört auch die interkulturelle Kompetenz. Wir beschäftigen uns zum Beispiel mit anderen Religionen, besuchen auch Moscheen. Und es gibt Kontakte mit Angehörigen der unterschiedlichsten Gruppierungen. Die Flüchtlingsproblematik wollen wir hier jetzt noch stärker einbeziehen, indem wir beispielsweise Flüchtlinge einladen, jungen Kollegen in Ausbildung ihre Erlebnisse schildern.

"Wir werben gezielt um Migranten, sie brauchen wir dringend"

BSZ: Gibt es auch Unterstützung von Kollegen mit Migrationshintergrund? Wie groß ist deren Anteil bei der Bereitschaftspolizei?
Sommer: Dazu führen wir bei der Bereitschaftspolizei keine Statistik. Einstellungsvoraussetzung ist das Bestehen der umfangreichen zweitägigen Einstellungstests, eine hervorragende Rangzahl und grundsätzlich auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Dass der Anteil aber immer größer wird, lässt sich daran erkennen, welche Sprachkenntnisse die Kollegen mitbringen. Natürlich brauchen wir diese auch angesichts der Veränderungen in der Gesellschaft dringend. Deshalb werben wir auch gezielt um Migranten.

BSZ: Aber nur um die mit deutschem Pass?
Sommer: In Ausnahmefällen stellt die bayerische Polizei auch Bewerber ohne deutsche Staatsangehörigkeit ein, wenn dafür ein besonderes Bedürfnis besteht. Für einen syrischen Bewerber, der bei der Einstellungsprüfung gut abschneidet, könnte es also aktuell eine Ausnahmegenehmigung geben. Das dürfte bundesweit einmalig sein. (Interview: Angelika Kahl)

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