Politik

Die SPD spricht im Wahlkampf gezielt Frauen an. (Foto: dpa)

14.08.2017

Politikerinnen werden in Deutschland wieder seltener

Obwohl es in Deutschland seit Jahren eine Kanzlerin gibt und auch Ministerpräsidentinnen zum Alltag gehören, ist die Lage für Frauen in der Politik aber alles andere als rosig

Angela Merkel, Katrin Göring-Eckardt, Alice Weidel, Sahra Wagenknecht, Andrea Nahles - in vielen Parteien sind auf den Listen für die Bundestagswahl prominente Frauen zu finden - auch ganz oben. Diese Spitzenpolitikerinnen dürfen aber über eines nicht hinwegtäuschen: Knapp 100 Jahre nach dem Erhalt des Wahlrechts sind Frauen in der Politik noch immer unterrepräsentiert. Nur 37,1 Prozent der Mandate im Bundestag gehen aktuell an Frauen und nach den Umfragen sinkt der Anteil nach dem 24. September auf 32 Prozent und damit deutlich unter den Bevölkerungsanteil von mehr als 50 Prozent. Aber warum ist das so? Eine Spurensuche. Für Astrid Freudenstein, Listenplatz Nummer 26 bei der CSU, liegt ein Grund in der politischen Konfliktführung: "Politik wird von vielen Frauen als Ausübung von Macht, als permanentes Kämpfen wahrgenommen. Das ist für viele Frauen nicht so attraktiv." Zudem würde die Lebenssituation von Frauen mit der Geburt von Kindern oder häufigeren Wohnortwechseln die Karriere schwieriger machen, die Struktur - etwa die vielen Termine an Abenden und Wochenenden - sei sehr mühsam.

Politik schreckt Frauen noch immer ab, sagt ein Politikwissenschaftler

Ist Politik also zu männlich und schreckt deshalb Frauen ab? "Ja, das ist immer noch so", sagt der Politikwissenschaftler Wichard Woyke von der Universität Münster. "Auch wenn sich die direkten Verhaltensmuster gegenüber Frauen verbessert haben, ist die Politik in ihren Strukturen männlich dominiert." Vordergründig werde etwa nicht mehr über Frauen gelästert, hinter den Kulissen werde aber in den Männernetzwerken wie früher agiert. Dort entstünden Freundschaften, die für Postenvergaben und gegenseitige Unterstützung entscheidend seien. "Das macht es für eine Frau, die nicht Teil des Netzwerkes ist, fast unmöglich, sich unter normalen Bedingungen durchzusetzen." In Zahlen ausgedrückt zeigt sich diese männliche Dominanz etwa im Bundestag auf den ersten Blick: 396 Männern stehen gerade einmal 234 Frauen gegenüber. Während bei der Linken und den Grünen sogar knapp mehr Frauen als Männer im Parlament sitzen, ist in der Union der Frauenmangel unübersehbar: 64 CDU'lerinnen und 15 CSU'lerinnen stehen 230 Männer gegenüber. Bei der SPD sind es immerhin 86 weibliche Abgeordnete von insgesamt 193. Jedoch sind in diesem Jahr nur 38 Prozent der bundesweiten SPD-Kandidaten in allen Wahlkreisen Frauen. Trotz der vielen Jahre unter Führung von Angela Merkel ist sich die CDU bewusst, dass das Problem in den vergangenen Jahren nicht kleiner geworden ist: "Allerdings stimmt es nachdenklich, wenn etwa in einigen Bundesländern heute weniger Frauen Mitglied des Landtags, des Abgeordnetenhauses oder der Bürgerschaft sind als noch vor 20 Jahren", heißt es im Bericht der Bundes-CDU zur politischen Gleichstellung von Frauen und Männern von 2015. So offensichtlich die Männerdominanz auch ist, es finden sich nur wenige Frauen, die das auch öffentlich anprangern - oft aus Furcht vor weitergehenden Benachteiligungen. Das gilt aber nicht für die bayerische Landtagspräsidentin und CSU-Vizevorsitzende Barbara Stamm, die ihrer Partei zwar eine generelle Verbesserung der Situation attestiert, aber noch viel Luft nach oben sieht. "Die ganze Partei muss wissen, dass wir für eine erfolgreiche Zukunft das Gesicht der CSU auch mit Frauen prägen müssen", sagt die 72-Jährige, die in ihrer Karriere auch selbst von Männern benachteiligt wurde. "Ich habe in Unterfranken nie einen eigenen Stimmkreis bekommen, obwohl ich auch gerne einen gehabt hätte. 2008 wäre ich beinahe nicht in den Landtag eingezogen, obwohl ich fast 180 000 Stimmen erhalten habe." Da die CSU jedoch bei Wahlen viele Stimmkreise - und damit meist Männer - direkt gewinnt, haben auch gut platzierte Listenkandidatinnen nur bedingt Chancen.

Politikerinnen werden härter kritisiert als Männer. Das ist unfair

Oft bleibt Frauen daher nur das Warten auf ihre Chance, etwa weil sich wegen eines politischen Skandals kurzfristig eine Lücke in der Männerphalanx ergibt - so wie einst bei Angela Merkel nach der CDU-Spendenaffäre oder Hannelore Kraft in der NRW-SPD. Für Stamm der falsche Weg: "Man sollte nicht erst auf die Frauen zurückgreifen, wenn man glaubt, keinen männlichen Nachwuchs mehr zu haben." Die Schuld nur bei den Männern suchen, will Stamm aber auch nicht: "Das ist zu einfach." Nur mit einer Mitgliedschaft in einer Partei könnten Frauen auch mehr positive Personalentscheidungen für Frauen erreichen. "Nicht die Frauenunion wählt die Persönlichkeiten aus, sondern die Delegiertenversammlungen in den jeweiligen Bereichen. Das ist der Beweis dafür, dass wir Frauen es in der Hand haben." Für CSU-Chef Horst Seehofer haben Männer aber sehr wohl noch immer einen deutlichen Anteil an der schwierigen Situation für Frauen: "Politikerinnen werden schnell viel stärker kritisiert als Politiker. Das ist unfair und falsch." Rückblickend auf seine neun Jahre als Parteichef gibt er zu, dass er die CSU hier nicht gut aufgestellt sieht, erzwingen will er es aber auch nicht: "Ich möchte, dass wir als CSU die innere Kraft haben, Frauen besser zu platzieren." (dpa)

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