Politik

"Wie kann es sein, dass es nicht strafbar ist, Nacktbilder fremder Kinder zu bestellen, fragt Psychologin Julia von Weiler. (Fotos: dpa)

28.02.2014

"Pornofalle Facebook"

Psychologin Julia von Weiler über den Fall Edathy, notwendige Konsequenzen und die Gefahr sozialer Netzwerke

Die Affäre um den zurückgetretenen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy (SPD) zeigt: Der Kauf von Nacktbildern von Kindern kann legal sein. Die Berliner Kinderschützerin von Weiler, Geschäftsführerin von Innocence in Danger, einem internationalen Netzwerk gegen sexuellen Missbrauch, fordert ein Gesetz, dass jeglichen Handel unter Strafe stellt – und auch bessere Hilfen für Opfer und Täter. BSZ: Ein Bundestagsabgeordneter kauft Nacktfotos von Kindern. Sind Sie überrascht?
von Weiler: Nein, überhaupt nicht. Sexueller Missbrauch zieht sich durch alle sozialen Schichten. Auch über einen Abgeordneten, der Kinder missbraucht, wäre ich nicht überrascht.

BSZ: Ist jemand krank, der sich solche Bilder besorgt?
von Weiler: So ein Attribut bringt uns nicht weiter, man muss es klinisch beschreiben. Australische Strafverfolgungsbehörden beschreiben den typischen Kinderporno-Konsumenten – und hier spreche ich von harten Missbrauchsabbildungen – als leicht überdurchschnittlich intelligent, mit einem akademischen Abschluss und einer festen Beziehung, der Arbeit hat und nicht vorbestraft ist. Und nein, nicht alle sind pädophil. Manche haben Spaß daran, Machtphantasien ihren freien Lauf zu lassen.

BSZ: Edathy selbst fühlt sich ungerecht behandelt und sagt, der Bezug der Bilder sei völlig legal gewesen.
von Weiler: Die strafrechtliche Relevanz müssen die ermittelnden Behörden klären. Bei dem kanadischen Netzwerk Azov, wo er die Bilder bestellt hat, wurden auch richtig harte Missbrauchsfilme gefunden – bis hin zur Vergewaltigung von Babys. Da liegt es doch nahe, auch Herrn Edathy zu überprüfen. Jammern ist da fehl am Platz. Schlimm ist allerdings, dass diese Ermittlungen so öffentlich geworden sind. Was aber bleibt, ist die moralische Fragwürdigkeit, Nacktbilder von fremden Kindern zu beziehen, und seien diese noch so legal.

BSZ: Politisch ist er also nicht haltbar?
von Weiler: Nein. Ein Volksvertreter muss seine Impulse kontrollieren können. Ich würde zu Herrn Edathy sagen: Stellen Sie sich vor, ein Kollege hat Nazi-Fan-Artikel, die völlig legal sind, im Internet bestellt. Und dann stellt sich heraus, Hintermänner dieses Fanshops gehörten zur NSU. Ich glaube, dass Herr Edathy dann auch sagen würde: Dein Geld wurde von denen genutzt, um Waffen zu kaufen. Und selbst, wenn du dich juristisch nicht strafbar gemacht hast, moralisch hast du hier nichts mehr zu suchen. Aber eine Frage müssen wir uns doch alle stellen: Wieso ist es überhaupt erlaubt, Bilder von nackten Kindern zu verkaufen und zu kaufen?

BSZ: Diese Frage beantworten Politiker jeder Coleur jetzt fast unisono mit dem Ruf nach schärferen Gesetzen. Freut sie das?
von Weiler: Endlich beginnt man zu realisieren, dass die digitalen Entwicklungen eine riesige Herausforderung für den Kinderschutz bedeuten. Hat man früher strengere Regelungen gefordert, gab es in der Netzgemeinde einen großen Aufschrei und den Vorwurf der Zensur. Jetzt scheint man sich einig, dass der kommerzielle Handel mit Nacktbildern von Kindern verboten werden muss. Wir aber fordern, den gesamten organisierten Handel mit solchen Fotos zu verbieten. Denn viele werden auch über kostenlose Tauschbörsen verbreitet.

BSZ: Was aber ist dann zum Beispiel mit privaten Fotos?
von Weiler: Es sagt doch keiner, dass Eltern ihre Babys nicht mehr in der Badewanne oder ihre Kinder am Strand fotografieren dürfen. Aber wir müssen uns heute neue Gedanken machen. Denn es ist etwas anderes, ob ich ein im Labor entwickeltes Foto in mein Album klebe oder es auf Facebook poste. Im Internet habe ich jegliche Kontrolle über das Bild verloren.

BSZ: Liegt das aber nicht in der Verantwortung der Eltern?
von Weiler: Natürlich gibt es Bereiche, bei denen man sehr genau überlegen muss, ob es gesetzliche Regelungen braucht. Aber die Diskussion ist wichtig, damit sich Eltern und wir alle mögliche Folgen klarmachen. Und schließlich posten auch Kinder und Jugendliche Fotos von sich. Es müssten die Internetfirmen, die Angebote für Kinder und Jugendliche schaffen, in Verantwortung genommen werden. Für jeden Spielplatz gibt es bestimmte Auflagen, damit die Sicherheit der Kinder gewährleistet wird. Anbieter von Online-Plattformen müssen dagegen keinen einzigen gesetzlich vorgeschriebenen Standard erfüllen. Eine freiwillige Selbstkontrolle allein reicht nicht aus.

BSZ: Facebook-Fotos landen bei Kinderporno-Händlern?
von Weiler: Natürlich. Bei dem bereits angesprochenen kanadischen Netzwerk wurden 45 Terabyte an Material gefunden. Würden Sie das auf DinA4-Papier ausdrucken, würde daraus ein 1125 Kilometer hoher Turm. Das schafft doch kein einzelner Mann, der Kinder in Rumänien filmt. Auch deutsche Kinder sind betroffen. Da gibt es heimliche Aufnahmen am Strand oder von versteckten Kameras – es kam zum Beispiel heraus, dass ein Mitarbeiter einer Schule dort eine Kamera auf der Schülertoillette versteckt hat. Und dann gibt es eben auch Jugendliche, die sexy Bilder online stellen. Diese werden dann auch abgegriffen, um mit ihnen zu tauschen oder Geld zu verdienen.

BSZ: Was mache ich, wenn ich vermute, dass jemand Kinderpornos konsumiert?
von Weiler: Das Wichtigste ist, Ruhe bewahren und sich Unterstützung holen, etwa beim Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“. Hier muss allerdings noch viel passieren. In jeder Region sollte es Anlaufstellen  geben – für Opfer und Täter. (Interview: Angelika Kahl)

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