Politik

Zwei Buben mit Kippa. Manche Eltern setzen ihren Kindern lieber Bascaps auf – aus Sicherheitsgründen. (Foto: dpa)

18.05.2018

Ressentiments sind Alltag

CSU sagt dem Antisemitismus den Kampf an - mit einem neuen Beauftragten und einem Gesprächsforum

Zwei Seiten umfasst das unsägliche Pamphlet. Es will beweisen, dass Juden die Weltherrschaft an sich reißen wollen. „Es wurde erst heute bei einem meiner Vorstandskollegen in den Briefkasten geworfen“, erzählt der Vorsitzende der liberalen jüdischen Gemeinde Beth Shalom in München, Jan Mühlstein, der Staatszeitung. Auch Hakenkreuz-Schmierereien kennt er. „Natürlich“, sagt der 68-Jährige. Besonders unangenehm aber sei, dass sich Juden im Alltag, ob im Bekanntenkreis oder beruflichen Umfeld, immer wieder mit antisemitischen Klischees konfrontiert sehen. „Ganz schwierig ist der Bereich Schule“, sagt Mühlstein. „Ich kenne kaum eine jüdische Familie, die das nicht beklagt.“

Beleidigungen und Bedrohungen – die jüdischen Gemeinden in Bayern mit ihren rund 18 000 Mitgliedern berichten schon lange über antisemitische Vorfälle. Die Täter sind Rechte, Linke, Leute aus der Mitte der Gesellschaft. Und auch Muslime. Aber erst der Skandal um die Echo-Verleihung an zwei Rapper mit judenfeindlichen Texten, das Mobbing einer Schülerin und Übergriffe auf Träger einer Kippa, der traditionellen jüdischen Kopfbedeckung, in Berlin haben das Thema prominent auf die politische Tagesordnung gebracht. Analog zum Bund hat die bayerische Staatsregierung jetzt einen eigenen Antisemitismusbeauftragten eingesetzt: Ex-Kultusminister Ludwig Spaenle bekommt das Amt – und dazu eine Geschäftsstelle mit bis zu vier Mitarbeitern.

Judentum als Teil der Leitkultur

Ministerpräsident Markus Söder nennt das ein „klares Signal gegen Antisemitismus und für das Bekenntnis zum jüdischen Leben“. Es dürfe nicht sein, dass sich auch in Bayern Menschen jüdischen Glaubens nicht mehr in bestimmte Stadtteile trauen, sagt er. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, riet jüngst sogar davon ab, „sich offen mit einer Kippa im großstädtischen Milieu“ zu zeigen. Auch wenn sich seiner Empfindung nach die Situation in Bayern besser darstelle als etwa in Berlin, dürfe man das Thema nicht kleinreden. „Es gibt ein Gefühl der Bedrohung, das sich in jüdischen Gemeinden breitgemacht hat“, betont Schuster. Mühlstein ist davon überzeugt, dass auch in München viele Orthodoxe statt Kippa ein Basecap tragen, um nicht als Juden erkannt zu werden. „Auch wenn hier die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass etwas passiert.“

Tatsächlich ist in Bayern die Zahl der antisemitischen Straftaten gegenüber dem Vorjahr leicht zurückgegangen, bewegt sich aber mit 148 Fällen auf einem hohen Niveau, darunter ein Fall von Körperverletzung. Propagandadelikte, Sachbeschädigungen und vor allem Volksverhetzung machen das Gros der Straftaten aus.

Was auffällt: 98 Prozent der Fälle werden als rechts motiviert eingestuft. Ist das Problem des importierten Antisemitismus durch Flüchtlinge also ein Mythos? Mit den Erfahrungen jüdischer Bürger stimme die Statistik nicht überein, betont Schuster. Das Problem: Kann bei einem antisemitischen Vorfall kein Täter ermittelt werden, so wird er automatisch dem rechten Spektrum zugeordnet. Schuster fordert eine differenziertere Statistik. Antisemitismus unter Muslimen dürfe nicht verharmlost werden. Mühlstein hofft deshalb, dass der neue Antisemitismusbeauftragte Spaenle auch den Dialog mit Muslimen sucht.

Schuster wünscht sich, gemeinsam mit der Staatsregierung ein niedrigschwelliges Meldesystem für antisemitische Vorfälle auch unterhalb der Strafbarkeit aufzubauen. Spaenle selbst gibt sich noch bedeckt. Er will dem Antisemitismus vor allem mit einer „Kultur des Hinschauens“ begegnen. Ein Tool, Vorfälle greifbarer zu machen, sei durchaus wichtig, sagt er der BSZ. Wie das genau aussehen könne, will er erst mal in Gesprächen mit Betroffenen klären.

Dem Mobbing jüdischer Schüler sagt Spaenle, der von einzelnen Vorkommnissen auch in Bayern weiß, ebenfalls den Kampf an.

Die Landtagsopposition begrüßt die neue Stelle des Antisemitismusbeauftragten. Auch wenn man bei den Grünen nicht versteht, warum die CSU in der Vergangenheit Anträge für eine interfraktionelle Arbeitsgruppe zur Stärkung des jüdischen Lebens in Bayern abgelehnt hat. Einen Hinweis geben könnte die Präambel zum ebenfalls neuen jüdischen Forum, einem Diskussionskreis von CSU und CDU, der sich verstärkt mit dem jüdischen Leben befassen und Antisemitismus bekämpfen will. Es soll auch Nicht-Juden und Nicht-Parteimitgliedern offen stehen. Dort heißt es: „Das Judentum ist Teil unserer Leitkultur.“ Das Thema ist also auch im Wahlkampf angekommen – und den macht man als Partei halt lieber alleine. (Angelika Kahl)

Kommentare (1)

  1. Philosemit am 18.05.2018
    Und weil all das so ist, deshalb brauchen die Juden Israel. Alle Juden, überall auf der Welt. Es ist ihre einzige Lebensversicherung, nachdem sie 2 Jahrtausende lang verfolgt und ermordet wurden. Eretz Israel ist ihre Garantie, nicht ausgelöscht zu werden. Und deshalb können die Juden Israel nicht mit den Palästinensern teilen. Der gemeinsame Staat ist für die Juden sicherheitstechnisch absolut unannehmbar. Denn es wäre, demografisch bzw. aus Gründen der Fertilität bedingt, nach maximal zwei Generationen nicht mehr ihr Land, sondern ein mehrheitlich arabisches Land.

    "Wir werden nicht noch einmal wie die Lämmer zur Schlachtbank gehen!"
    (David Ben Gurion, erster Premierminister von Israel, am 5. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz)
Die Frage der Woche

Ist das geplante Demokratiefördergesetz sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.