Politik

Wer auf einen Rollstuhl angewiesen ist, hat's nicht immer leicht. Allzuoft fehlen Rampen, Lifte oder Rolltreppen im öffentlichen Raum. (Foto: dpa)

16.05.2014

Rollstuhlfahrers Alptraum

Bayern soll bis 2023 barrierefrei sein, so will es Horst Seehofer - es ist noch viel zu tun

Auf dem touristischen Internetportal des Freistaats präsentiert sich Bayern schon mal als scheinbares Paradies für Menschen mit Handicap: Ein Foto zeigt einen Buben im Rollstuhl auf einer Alm, neugierig erkundet er mit seinem Fernrohr die Landschaft. Ein Link verweist auf Hotels, die geeignet sind für urlaubende Rolli-Fahrer.
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) möchte bis 2023 die Realität weitgehend diesem Marketing-Ideal anpassen. Spätestens in zehn Jahren, das kündigte er via Regierungserklärung an, soll Bayern barrierefrei sein. Rund 1,5 Milliarden Euro sind dafür eingeplant. Das Projekt klingt ehrgeizig – und irgendwie diffus. Tatsächlich liegt bis jetzt kein Konzept vor. Das zuständige Sozialministerium nimmt derzeit eine Bestandsaufnahme vor. „Alle Ressorts definieren Handlungsfelder und nehmen eine Kostenschätzung vor“, erklärt eine Sprecherin von Sozialministerin Emilia Müller. Auch Behindertenverbände und Kommunen sollen gehört werden. Danach entscheidet das Kabinett über ein Sonderinvestitionsprogramm.
Christian Seuß, Landesgeschäftsführer des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbunds, gibt sich zuversichtlich: „Ich glaube, dass der Ministerpräsident es ernst meint, auch wenn es, realistisch betrachtet, wohl bis 2023 nicht zu schaffen ist.“
Zweifellos gibt es noch viel zu tun, und die UN-Konvention zur Inklusion erhöht den Handlungsdruck zusätzlich. Defizite für Rollstuhlfahrer erkennt jeder, der aufmerksam durch die Innenstädte geht: Da fehlen Rampen, da sind Bordsteine nicht abgerundet, viele U-Bahnuntergeschosse haben keinen Lift. Hindernisse für Blinde und Sehbehinderte sind schon schwerer auszumachen. Allzu oft, moniert etwa Blindenverbandsgeschäftsführer Seuß, werde das Gleis für außerplanmäßige S-Bahnen nicht korrekt durchgesagt.

Nürnberg geht mit gutem Beispiel voran


Aber es gibt auch positive Beispiele. In Nürnberg etwa klagten Hörgeschädigte, dass die Durchsage der U-Bahn schlecht zu verstehen sei. „Also haben wir den Text nochmals einlesen lassen, und zwar in einem Spezialstudio und von einem professionellen Schauspieler, der deutlich und gedehnter spricht“, berichtet Elisabeth Seitzinger, Sprecherin des kommunalen Verkehrsbetriebs VAG. Große Städte können also, wenn sie wollen, ganz gut auf die Bedürfnisse von Behinderten reagieren, sie stemmen eine entsprechende Umrüstung auch finanziell besser. Für kleinere Kommunen sieht es schwieriger aus.
Trotzdem tut sich auch im ländlichen Raum einiges. So wurde etwa das Engagement der Gemeinde Furth im Landkreis Landshut bei einem bundesweiten Wettbewerb der Stiftung „Lebendige Stadt“ und des Bundesfamilienministeriums gewürdigt. Der rund 3400 Einwohner zählende Ort setzt sich besonders dafür ein, den Alltag von Senioren barrierefrei zu gestalten. Der junge Bürgermeister Andreas Horsche – er amtiert seit 1. Mai – kann dem Projekt „barrierefreies Bayern“ auch als Freier Wähler Gutes abgewinnen. Wichtig ist ihm jedoch, dass die staatlichen Fördermaßnahmen für die Kommunen „diesmal nicht so bürokratisch und kompliziert sind wie beim Breitbandausbau“.
Wohlwollend nimmt auch die Landtags-SPD Seehofers Ankündigung auf. „Aber die Staatsregierung muss das Projekt auch mit Leben füllen“, fordert Ruth Waldmann, SPD-Sprecherin für Inklusion und Belange von Behinderten. Im Zuge der Bestandsaufnahme fordert sie Anhörungen im Landtag – mit Betroffenen. Aus Waldmanns Sicht sollten auch Menschen mit seelischen Schäden berücksichtigt werden. Kürzlich hat ihre Fraktion einen 170 Fragen umfassenden Katalog zum Thema ans Sozialministerium geschickt. Das verspricht die Antworten bis Anfang 2015.
Christian Seuß vom Blindenverband hofft dabei auf Pragmatismus: „Vieles ließe sich besser für uns gestalten, wenn es professioneller umgesetzt würde.“ So wurden kürzlich an einem Bahnhof die Platten für die Bodenleitsysteme für Sehbehinderte – sie führen die Betroffenen mittels Rillen und Noppen über das Gelände – falsch herum verlegt, so dass sie nun absolut nutzlos sind. „Die Bauarbeiter hielten die Linien auf den Platten wohl für Kunst.“ Sein Vorschlag, damit derlei nicht mehr passiert: Experten der Behindertenverbände sollen dem Freistaat als technische Berater zur Seite stehen.
Insgesamt sei der Weg zur Inklusion aber noch lang. „Bei einem Marathonlauf würde ich sagen: Wir sind erst bei Kilometer sieben bis acht“, meint Seuß. (André Paul)

Kommentare (1)

  1. Susi am 16.05.2014
    Da haben aber die bayerischen Ämter, noch viel Arbeit vor sich.
    Wenn ich mir so die bayerischen Behörden ansehe feht es
    da noch weit.
    Nicht einmal alle Ämter sind in den Landratsämtern und
    Kommunen für Rollstuhlfahrer geeignet.
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