Politik

24.02.2017

Rückkehr zum G9 wäre falsch

Ein Kommentar von André Paul

Ob sich Edmund Stoiber ab und zu veralbert vorkommt? Zwar wird der ehemalige bayerische Ministerpräsident nach seinem Sturz vor zehn Jahren wieder hofiert. Trotzdem demontieren seine Nachfolger munter Projekte, die zu Stoibers politischem Vermächtnis zählen. Jüngstes Beispiel: Die Rolle rückwärts beim G8. Fortan soll wieder das neunjährige Gymnasium gelten, grundsätzlich. Darauf deutet derzeit alles hin. Die endgültige Entscheidung fällt Anfang März.

Das Abitur prinzipiell nach zwölf Jahren abzulegen, darf bayerischen Kindern offenbar nicht länger zugemutet werden. Die Mädchen und Buben im Freistaat könnten an einem unmenschlichen Lerntempo und Leistungsanspruch zerbrechen. Dabei ist die Hochschulreife nach zwölf Jahren in vielen europäischen Staaten Standard. Und auch von den ostdeutschen Ländern, die lange Zeit auf das G8 setzten, ist nicht bekannt, dass sie ein Übermaß an kleinen Psychowracks oder Reifezeugnisse auf Baumschulniveau hervorbrachten.

Die vereinte Front aus Helikoptereltern, Landtagsopposition und Gymnasiallehrern ist wohl am Ziel


Gleichwohl haben es die Befürworter des Slow-Motion-Gymnasiums – Landtagsopposition, Helikoptereltern und Gymnasiallehrer – geschafft, das G8 als Horrorschule zu diffamieren: Höhere Bildungsabschlüsse sollen halt auf keinen Fall mit Mühe und Anstrengung verbunden sein. Jedem, der will, sein Abitur, jedem seinen Bachelor und Master – alles andere ist „Diskriminierung“. Sie wünsche sich vom Staat das „Recht auf den individuell angestrebten Bildungsabschluss“, erklärte unlängst eine bayerische Schülersprecherin.

Die Rolle rückwärts würde obendrein eine Menge Geld kosten. Die kommunalen Spitzenverbände pochen bereits auf die Erstattung für die notwendigen baulichen Erweiterungen der Schulgebäude. Im Gespräch sind dafür rund 1,5 Milliarden Euro – Geld, das man sinnvoller für die zeitgemäße Computerausstattung der Gymnasien ausgeben könnte.

Hinzu käme eine immense Bürokratie in der Schulverwaltung. Denn erst mal würde es ein jahrelanges Nebeneinander von G8 und G9 geben. Ein prinzipienfester Regierungschef und ein stringent argumentierender Kultusminister könnten den Unfug noch abwenden. Leider scheint das äußerst unwahrscheinlich. Aber gut, man kann nicht alles haben.

Kommentare (3)

  1. hh8 am 01.03.2017
    Witzigerweise werden jetzt als Argumente Sachen ins Spiel gebracht, bei denen sich bei der (völlig überstürzten und planlosen) Einführung des G8 keiner darum scherte:
    "Die Rolle rückwärts würde obendrein eine Menge Geld kosten." => Das G8 kostete Unsummen (an vielen Schulen mussten überstürtzt Mensen usw. gebaut werden. Ebenso mussten alle Lehrbücher ersetzt werden. Usw. Usw.
    "Hinzu käme eine immense Bürokratie in der Schulverwaltung. Denn erst mal würde es ein jahrelanges Nebeneinander von G8 und G9 geben." *lol* wie war denn das, als genau dieses Argument die G8 Gegner vor vielen Jahren ins Feld führten. Keinen hat es bei der CSU gejuckt.
    "Und auch von den ostdeutschen Ländern, die lange Zeit auf das G8 setzten, ist nicht bekannt, dass sie ein Übermaß an kleinen Psychowracks oder Reifezeugnisse auf Baumschulniveau hervorbrachten."
    Kein Wunder. In Sachsen ist die Übertrittsquote kleiner als 10%. In Bayern ist vielen bei der CSU 40 % zu wenig.
    Als letztes zeigt der Verfasser wie wenig Ahnung er vom Schulalltag hat:
    "Höhere Bildungsabschlüsse sollen halt auf keinen Fall mit Mühe und Anstrengung verbunden sein."
    Früher war das Abitur deutlich schwieriger und die Schüler konnten viel mehr. Aber immer mehr Schüler in weniger Zeit durchzuschleusen ist wohl das, was angesterbt wird. Koste was es wolle.
    Andre Paul: Setzen, Sechs.
    Zum Glück gibt es in der CSU nicht nur solche Leute wie Sie, sondern auch Leute wie den MP Seehofer, der sich auch traut, Fehler zu korrigieren.
  2. Pädagoge am 24.02.2017
    Was die große Mehrheit betroffener Eltern, was die große Mehrheit betroffener Schülerinnen und Schüler, was die übergroße Mehrheit betroffener Lehrkräfte sagen, das ist unserem Kommentator völlig egal.

    Er argumentiert mit dem Vermächtnis Stoibers, den drohenden Kosten und dem angeblichen europäischen Standard.

    1. Politische Vermächtnisse, die - wie im Stalinismus-Leninismus - niemand antasten darf, gibt es in einer Demokratie Gottseidank nicht.

    2. Dass in einem reichen Land wie Bayern eine sinnvolle Bildungsreform am Geld scheitern soll, kann ja wohl nur ein Witz sein. Wenn man übrigens zusammenrechnet, was alles an Nachbesserungen fürs G8 finanziert werden musste, kommt man ebenfalls locker auf einen dreistelligen Millionenbetrag.

    3. Wer sich in Europas Schulsystemen ein bisschen auskennt, weiß, dass es in fast allen anderen Ländern nach 12 Jahren nur eine fachgebundene oder eingeschränkte Hochschulreife gibt und nicht eine allgemeine wie in Deutschland. Ganz abgesehen davon, dass in Europa die Zwangs-Ganztagsschule Standard ist, die aber in Bayern keiner will.

    So kann man zu diesem Kommentar nur feststellen: Si tacuisses, philosophus fuisses!
  3. Wolfgang Kuert am 24.02.2017
    Die Ergebnisse der wissenschaftlich begleiteten G9-Umfrage der Gymnasialelternvertreter in NRW finden Sie unter

    http://www.le-gymnasien-nrw.de/fileadmin/user_upload/G8G9Pra__sentation_Dollase_Kopie_2.pdf

    Mit G8 lässt sich keine Landtagswahl gewinnen. Gegen G8 schon eher.

    Auszug nds-verlag.de - Dr. Frank Vollmer

    Am 30.05.2016 referierte der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, bei einer öffentlichen Elternveranstaltung im Herzog-Ernst-Gymnasiums in Uelzen. Nach seinem Vortrag konnten auch Fragen gestellt werden. Nachstehend ein Auszug.

    Frage an Josef Kraus:
    Herr Kraus, in Niedersachsen ist auf Druck der Gymnasialeltern und des Philologenverbandes die rot/grüne Landesregierung zum G9 zurückgekehrt. Eltern haben in der Lobbyarbeit einen großen Stellenwert. Bei einer Umfrage der Gymnasialeltern in NRW haben sich dort 88 % der Eltern und 88 % der Gymnasiallehrer für die Rückkehr zum G9 ausgesprochen. Herr Kraus, 2017 sind Landtagswahlen in NRW. Sollte auch NRW zum G9 zurückkehren?

    Antwort Josef Kraus: Ja! …….. Es geht mir nicht um die Frage, da können die jungen Leute ja nichts dafür, dass die G8er weniger können. Tausend Stunden weniger Unterricht lügen doch nicht, davon 400 Stunden Fremdsprachen und das in Zeiten von Globalisierung, sondern es geht um die psychische und soziale Reife.

    Rückkehr zu G9 unausweichlich - Schulpolitik gegen den Willen der Eltern rächt sich

    Heike Schmoll, Auszug faz.net, 25.02.2014

    „Wenn mir eine Fee zum Thema Gymnasien einen Wunsch erfüllen würde, wäre mein Wunsch die Rückkehr zum G9.“

    Josef Kraus, Präsident Deutscher Lehrerverband, Erfurt, 27.05.2013

    Der Philologenverband fordert die sofortige Rückkehr zu G 9

    DPhV-Vorsitzender Heinz-Peter Meidinger, bild.de, 21.05.2013

    Nun hat auch der Bayerische Philologenverband nach langer Zurückhaltung eingeräumt, dass die Erfahrungen der letzten neun Jahre mit dem verkürzten Gymnasium gezeigt hätten, dass viele Schülerinnen und Schüler das Ziel einer qualitätsvollen allgemeinen Hochschulreife in neun Jahren besser erreichen als in acht.

    bundespresseportal.de, 04.06.2013

    Aus Niedersachsen
    Der Philologenverband hat sich unterdessen für die generelle Abschaffung des Turbo-Abiturs an Gymnasien ausgesprochen.
    Auch die Gewerkschaft GEW plädiert für eine Rückkehr zum alten Modell.

    Hannoversche Allgemeine, 07.06.2013

    Für eine Rückkehr zum Abitur nach 13 Schuljahren (G9) setzt sich die Niedersächsische Direktorenvereinigung (NDV) ein.

    kreiszeitung-wochenblatt.de, 13.09.2013

    Der Gymnasiallehrerverband (DPhV) ist überzeugt, dass die Rückkehr Niedersachsens zu G9 bundesweit "als Katalysator wirkt" und andere Bundesländer nachziehen. Diese müssten zur Kenntnis nehmen, dass das Turbo-Abi nach acht Jahren nie in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei. Es sei gut, dass Niedersachsen die Konsequenzen daraus gezogen habe, dass Dreiviertel der Bürger neun Jahre Gymnasium für richtig hielten, betonte Meidinger.

    hannoverzeitung.net, 20.02.2014

    "Da ist nun eine Dynamik entstanden, die sich selbst verstärkt", sagt der Chef des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger. "Das achtjährige Gymnasium ist nicht mehr zu retten, die Akzeptanz sinkt weiter."

    welt.de, 23.02.2014

    WB: Hat das Schul-Niveau unter G8 etwa gelitten?
    Josef Kraus: Lassen Sie es mich so sagen: Mit G8 sollte die Unzufriedenheit der Bürger mit den Schulsystemen gesenkt werden. Deshalb sind die Anforderungen an die Schüler grundsätzlich gesenkt worden.

    Auszug wochenblatt.de, 20.02.2014

    Schüler applaudierten bei Kritik an Turbo-Abi und Vereinheitlichung der Schulformen

    Auszug derwesten.de, 03.05.2014

    G9 in NRW / Gegen Dreiviertelmehrheiten Politik zu machen, ist aber riskant, besonders in der Schulpolitik. Mit der lassen sich Wahlen schwer gewinnen, aber leicht verlieren.

    Auszug Rheinische Post, 02.05.2014

    Aber wie Schulsenator Ties Rabe wenden sich auch die anderen Fraktionen gegen eine neue Strukturreform, die viel Unruhe bringen würde. Und vor allem: Die längere Schulzeit gilt als Wettbewerbsvorteil der Stadtteilschulen, die durch leistungsbewusste Schüler gestärkt werden sollen. Gäbe es auch an Gymnasien wieder G9, würde man die Stadtteilschulen aber schwächen.

    Auszug Hamburger Abendblatt, 14.12.2013

    Niedersachsens Ministerpräsident Stefan Weil (SPD) / Im verkürzten Bildungsgang sieht er eine „Schlechterstellung“ der Gymnasien. Und er sieht nicht ein, warum er die Gymnasien „künstlich benachteiligen soll, nur um die Gesamtschulen zu fördern“.

    Auszug tagesspiegel.de, 04.05.2014

    Stoch sieht keinen Diskussionsbedarf, das neunjährige Gymnasium ist für ihn ein natürlicher Feind der ebenfalls neunjährigen Gemeinschaftsschule, dem Leuchtturmprojekt der sozialdemokratischen Bildungspolitik.

    Auszug swp.de, 11.07.2014

    Einen Schulkrieg gegen das Gymnasium hat in der Geschichte der Bundesrepublik noch keiner gewonnen.

    Guillermo Spreckels, Vorsitzender Philologenverband Niedersachsen, 29.11.2007

    Der Stellenwert von Eltern (vereinfacht dargestellt)

    In einer Klasse gibt es

    Einen Lehrer

    Dreißig Schüler

    Sechzig Elternteile (Hier ist die Lobby)
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