Politik

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles auf Bayern-Besuch - bei ihr darf es auch mal schnell gehen. (Foto: dpa)

17.03.2015

Schwäche für heiße Eisen - Arbeitsministerin auf Werksbesuch

Mindestlohn, Werkverträge, coole Autos - bei Andrea Nahles darf es auch mal schnell gehen. Eine Reisebeobachtung

Das helle Leuchten von 1350 Grad heißem Eisen spiegelt sich in Andrea Nahles' Schutzbrille. Die Ministerin hat einen weißen Helm auf dem Kopf und guckt zu, wie Arbeiter das flüssige Eisen in eine feuerfeste Steinform kippen. Beim Gang durch die Gießerei folgen ihr Werksmitarbeiter, örtliche Politiker,
Journalisten. Es ist warm, Maschinen brummen. Nahles, die linke Vertreterin der Bundesregierung, zeigt sich als Industrie-Freundin. Vergessen scheint da der ganze Ärger in Berlin mit Arbeitgeber-Funktionären und Wirtschaftspolitikern des Koalitionspartners CDU/CSU. Die Kritiker werfen der SPD-Frau derzeit immer stärker Bürokratie-Wahn und Gängelung der Unternehmen vor.
Normalerweise gießen sie in dem Schiffsmotoren-Werk die Gestelle, wie das hier heißt, nachts. Doch für Nahles macht der Augsburger Maschinenbauer MAN Diesel & Turbo eine Ausnahme. Erstens gehört sich das so, wenn eine Bundesministerin kommt. Zweitens wollen sie auf dem Augsburger Werksgelände auch etwas von der 44-Jährigen.
Bis zu 104 Tonnen schwere Motoren gigantischer Ozeanschiffe gießen die Arbeiter hier, das ist fast so schwer wie ein Blauwal. Als Besucher kann man lange über die Anlage staunen. Mit Nahles muss sich Gießereileiter Jochen Wyrtki aber beeilen. Die Führung dauert neun Minuten. «Normalerweise geht das nicht unter einer Stunde», sagt Wyrtki.
Nahles eilt weiter. Das haben die Mitarbeiter ihres Ministeriums in Berlin-Mitte gemeinsam mit dem Unternehmen minutengenau so getaktet. Wenn die Chefin unterwegs ist, sollen die Auftritte auch zum Image als Macherin im schwarz-roten Bündnis passen. Nahles will nicht nur Dinge angucken, die sowieso schon gut laufen in Deutschland.
Draußen, beim Gang über das Werksgelände, geht es jetzt um eine Pleite. An ihrer Seite hat Nahles Eva Weber, Augsburgs zweite Bürgermeisterin. Es ist erst gut drei Jahre her, dass der Druckmaschinenhersteller Manroland beim hiesigen Amtsgericht die Insolvenz beantragte. Der Druck-Markt für Zeitungen war wegen des Internets eingebrochen. Allein in Augsburg fielen Hunderte Jobs weg. Die Ministerin zeigt sich empathisch: «Das war ein Niedergang von Fachwissen und Know-how, das es dann einfach nicht mehr gibt.» IG-Metall-Mitglied Nahles erzählt sonst auch gern von den eigenen Arbeiterwurzeln als Tochter eines Maurermeisters in Rheinland-Pfalz. «Wenn ich einen rauchenden Schornstein sehe, freue ich mich», sagt sie nun der Bürgermeisterin. Die Mischung aus
Betroffenheit und Anteilnahme scheint zu verfangen. Als die SPD-Linke weitergeht, wirkt die CSU-Politikerin zufrieden. «Es ist wichtig», resümiert Weber das Gespräch mit Nahles, «dass man einer
Bundesministerin ein Gefühl für die Region gibt».

MAN-Firmenschef: "Nahles hat uns die Angst genommen"

Für den Vorstandsvorsitzenden von MAN Diesel zählt etwas anderes. «Unsere Sorge war, dass die Politik uns die Flexibilität nimmt», sagt Uwe Lauber. Denn Nahles will demnächst Werkverträge
stärker regulieren. MAN Diesel will aber unbedingt weiter mit Werkverträgen operieren. Personal kann so schnell hochgefahren und wieder abgebaut werden. Das bietet sich etwa an, um schnell zu den
Reparaturanlagen in den Häfen der Welt auszuschwirren, wenn ein Ozeanriese gewartet werden muss. Die Beschäftigten verdienen dabei nicht schlecht. In dem Unternehmen war man sich nicht sicher, ob Nahles darauf achtet, diese Art von Werkverträgen nicht zu gefährden.
Aus der Wirtschaft werden immer wieder Vorbehalte gegen die Germanistin, ehemalige Juso-Chefin und Ex-SPD-Generalsekretärin laut - und Forderungen nach Korrekturen am Mindestlohn und an der
Rente mit 63. Beides wurde von Nahles-Beamten ausgetüftelt. Beides sind SPD-Vorzeigeprojekte.
Eine halbe Stunde sind Lauber und Nahles vor dem Betriebsrundgang hinter verschlossenen Türen zusammengesessen. Bei Orangensaft, Wasser und Kaffee in der Endmontagehalle seines Betriebs zeigt sich der Firmenchef danach entspannt. «Sie hat uns die Angst genommen, sie will in Extrema rein.» Demnach soll also wohl tatsächlich nur der Missbrauch von Werkverträgen in Deutschland eingedämmt werden - etwa dass diese über mehrere Jahre laufen. Lauber lobt: «Das ist richtig.»
24 Stunden vorher. Die Nahles-Tour, die die Ministerin auch nach Augsburg führt, startet im Messezentrum Nürnberg. Hier gibt es heute Kunsthandwerk, Lebensmittel, Möbel und andere bunte Produkte aus Deutschlands Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Nahles ist für diese Menschen politisch zuständig und selbst wegen eines Hüftschadens nach einem Autounfall schwerbehindert. Sofort als Nahles an diesem Morgen aus dem Fond ihres Dienstwagens steigt, stürmen Menschen und Eindrücke auf sie zu.
Händeschütteln unter anderem mit Martin Berg, dem Chef der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten. Noch beim Reingehen drängt der Lobbyist, Bildungsabschlüsse müssten auch für Beschäftigte dieser Einrichtungen anerkannt werden. Die großen Kämpfe um Rentenreform und Mindestlohn, die Millionen Menschen betroffen haben, sind plötzlich ganz weit weg. Und ob die SPD jemals wieder aus ihrem Umfragetief kommt, scheint hier niemanden zu interessieren. Nahles meint, sie
werde mit Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) über die Bildungsabschlüsse reden. «Ich verspreche, mich darum zu kümmern.»
Die Halle ist schon ziemlich voll. Die Personenschützer vom Bundeskriminalamt, die ein Auge auf die Ministerin mitten im Getümmel haben, bleiben aber cool. Sogar ein Brandenburger Tor, etwa vier Meter hoch, hat die Nürnberger Messe aufgebaut. Nahles findet die Nachbildung lustig, sie stürmt durch und will weiter ins Innere des Gebäudekomplexes - wird aber von den Messeleuten und einer
Mitarbeiterin aufgehalten. Nahles muss den Weg zurück und dann in ein oberes Stockwerk. Es geht in einen gelbgrünen Saal, in dem rund 600 Zuhörer auf die offizielle Eröffnung der Messe warten.
Am Eingang des Saales trifft Nahles auf Horst Schmidbauer. Der 75-Jährige war 15 Jahre lang SPD-Abgeordneter im Bundestag. Jetzt tritt er unter anderem als Chef der Lebenshilfe Nürnberg für mehr Rechte von Kranken, Sozialschwachen und Behinderten ein. Schmidbauer redet wie ein Buch, wenn es um diese Themen geht. Sein Engagement hält ihn fit. Nahles fragt er bei dem kurzen Zusammentreffen nur knapp, was jetzt eigentlich mit dem längst angekündigten Gesetz für mehr Rechte von Behinderten sei, dem Bundesteilhabegesetz. «Es lebt noch», meint Nahles.

Nahles: "Lange fackeln bringt nichts, lieber machen"

Das amüsiert den Sozi-Senior nicht sehr. Als die Ministerin weiter Richtung Bühne ist, lacht Schmidbauer ein bisschen verzweifelt und meint im schönsten Fränkisch: «Das heißt ja nur, das Teilhabegesetz
ist noch nicht von der politischen Tagesordnung verschwunden. Wenn es nicht bis April durch die ersten Gremien gegangen ist, dann kommt es in dieser Wahlperiode gar nicht mehr.» Es gibt ein paar Begrüßungsreden, Musik spielt. Dann leitet Moderatorin Nicole Noevers zum offiziellen Höhepunkt der Messe über: «Jetzt ist es soweit, liebe Bundesministerin, wir freuen uns seit Wochen schon, dass Sie da sind.» Nahles geht ans Pult und eröffnet mit einer ausführlichen Rede die Messe. Für Schmidbauer und die anderen Zuhörer packt die Ministerin überraschend doch noch Beruhigendes zum Teilhabegesetz aus: «Mein Plan ist, dass wir das Gesetz 2016 verabschieden. Mein Motto ist: Lange fackeln bringt nichts, lieber machen.»
Direkt nach der Rede will Nahles das Messezentrum verlassen. Es eilt, außerdem ist sie nicht fit. Bevor Nahles raus auf den Parkplatz geht, raunt sie ihrer Mitarbeiterin zu: «Nichts für ungut, mein Schal.» Die Erkältung soll nicht schlimmer werden. Die Mitarbeiterin holt den Schal aus dem drei Meter entfernten Auto. Nahles geht raus, hebt zum Abschied die Hand, steigt ein und braust davon.
Ihr Ministerium ist für verschiedene Sachen zuständig. Ein paar Minuten nach dem Messe-Auftritt betritt Nahles das Nürnberger Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Zu Raum 2.001 schließen sich die Türen. Drinnen geht es im Gespräch mit Präsident Manfred Schmidt unter anderem um Geld. Ein paar Meter weiter warten in einer rund 30 Meter langen und 7 Meter breiten Marmorhalle schon Mitarbeiter des Amts an Stehtischen. Da geht die Tür des Präsidentenzimmers wieder auf. Nahles kommt heraus.
Sie begrüßt alle, bedankt sich bei den Behördenmitarbeitern für deren Arbeit, geht von Tisch zu Tisch und fragt nach der jeweiligen Aufgabe. 20 Minuten nimmt sie sich Zeit, ein Stockwerk tiefer warten
schon Kamerateams, Fotografen, Radio- und Textjournalisten auf Pressestatements von Nahles und Schmidt. Per Aufzug geht es hinunter.
Die Kameras gehen an. Nahles sagt, Deutschland brauche Zuwanderung. «Wir haben einen Bedarf an Manpower und Womanpower.» Nach einem Abstecher zur Bundesagentur für Arbeit, einem 18-stöckigen Komplex im Südosten Nürnbergs, ist erst mal Mittagspause in einem Gasthaus. Nahles bestellt eine große Johannisbeer-Schorle und das Tagesgericht mit Leber. Sie erzählt, dass sie sich auf der Messe gewundert habe. Denn die Reaktionen auf ihre Rede waren verhalten. Dabei hat sie viele Verbesserungen für Behinderte angekündigt, auch mit Details. Sie braucht keine zehn Minuten, um ihren Teller leer zu essen. Der nächste Termin soll drei Stunden später stattfinden. In Ingolstadt soll Nahles als Gast an der Betriebsräteversammlung von Audi teilnehmen. Sie freut sich. «Ich mag ja auch schnelle Autos.»
Die Vorliebe für coole Schlitten teilt Nahles mit ihrem Fahrer, dem «Ersten Chefkraftfahrer», wie es offiziell heißt. Er ist mitverantwortlich für den reibungslosen Ablauf so einer Tour. Nach dem Essen setzt sich Nahles hinter ihm auf den Rücksitz, ihre Mitarbeiterin sitzt neben ihr. Die Atmosphäre wechselt schlagartig. Die pausenlose Selbstkontrolle gegenüber Unternehmern, Lobbyisten, Behördenleitern, anderen Politikern, Journalisten und den vielen Mitarbeitern und Service-Angestellten setzt aus. Es gibt eine Pause vom Trubel - und offenbar in dem Moment volles Vertrauen zu den wenigen Menschen drumrum.

Fachsimpeln bei Audi in Ingolstadt

Es ist ganz ruhig im Auto auf der Fahrt nach Ingolstadt. Konzentriert geht Nahles eine Rede durch. Sie ärgert sich kurz über Mitarbeiter, die daran geschrieben hatten, einzelne Formulierungen kommen ihr nicht flott genug vor. Dann entschuldigt sie sich, gehen lassen wollte sie sich nicht. Sie gibt ein Zitat für eine Pressemitteilung frei, tippt etwas in ihr Handy und schließt für ein paar Minuten die Augen. Der Fahrer macht ein bisschen Musik an, hörbar nur vorne. Er bleibt auf der linken Spur. 180 Stundenkilometer sind für ihn nicht gerade schnell.
Es trifft sich gut, dass die nächste Station Audi ist. Der Fahrer hat nämlich etwas zu dem Dienst-Audi zu fragen. Im dunklen Anzug steht er mit Mitarbeitern des Autokonzerns vor dem Eingang zum Audi-Forum in der Sonne und fachsimpelt. Irgendwas stimmt nicht ganz mit der sensiblen Technik der Limousine. «Die Kamera-Sensorik sollte mal gecheckt werden», raten die Audi-Leute dem Fahrer. Der verabschiedet
sich, checkt kurz etwas per Telefon und fährt um das Firmenhaus herum, so dass seine Ministerin das Auto vor der richtigen Tür hat, wenn sie wieder herauskommt.
Der dichte Takt hat seinen Preis. Mit ihrer Tochter Ella Maria und ihrem Mann, einem Kunsthistoriker, lebt Nahles in ihrer Heimat in der Eifel. Die Politikerin, die vehement für eine bessere Vereinbarkeit von Job und Familie eintritt, sieht die Vierjährige bei weitem nicht jeden Tag.
Dafür ist jetzt drinnen in einem Konferenzzentrum bei Audi so eine Art Familientreffen. Mit Peter Mosch, dem Betriebsratschef der AG, ist Nahles befreundet. Vor gut 50 Mitgliedern des Gremiums erzählt Mosch: «Wir kennen uns seit Jugendtagen.» Sie war bei den Jusos, er bei der IG Metall. Nahles sitzt in der ersten Reihe, strahlt den Redner an, zieht manchmal skeptisch grinsend die Mundwinkel nach
unten, wenn Mosch einen Witz macht. Man ist sich einig: Mitbestimmung, Arbeitnehmerrechte - alles gut, alles ausbaufähig. Nahles wirkt ein bisschen aufgekratzt: «Alle Audi-Praktikantinnen und Audi-Praktikanten bekommen 8,50 Mindestlohn», meint sie, «das ist ja à la bonne heure, da freut sich die Mindestlohnministerin.»
Jetzt bekommt der Fahrer noch einmal zu tun. Die letzte Etappe des Tages, der Jahresempfang des DGB München. Rund um und in der bayerischen Hauptstadt ist aber der übliche große Abendstau. Im Gewerkschaftshaus sitzen die Besucher längst bei Bier und Apfelschorle an Bierbänken. Die Platten auf den Buffettischen sind noch mit Zellophan abgedeckt. Eine Band spielt lockere Barmusik. Man hat sich was zu erzählen hier. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter ist auch da.
Dann kommt der Gast aus Berlin. Die DGB-Kreisvorsitzende Simone Burger begrüßt Nahles mit Mikrofon. Sie redet ein bisschen über die hohen Mieten in der Stadt und lobt die Mietpreisbremse, die die SPD im Bund durchgesetzt hat. Nahles steht als Zuhörerin da, nickt ernst und zupft sich einen Fussel von ihrem Blazer. Im Rücken ist die Jacke inzwischen ziemlich zerknittert. Dann setzen sich Burger und Nahles in zwei aufgestellte rote Sessel. Die DGB-Frau befragt die Ministerin. Es geht noch einmal um alle typischen Nahles-Themen dieser Tage. Werkverträge? Klar, meint Nahles nun vor dem Münchner Publikum, gehe sie an. «Es gibt ganze Branchen, die benutzen Werkverträge, um sittenwidrige Löhne durchzusetzen.» Nahles erwartet eine politische Schlacht deswegen: «Das wird ein ganz schöner Kampf werden.» Vielleicht bringt sie ja den Vorstandsvorsitzenden von MAN Diesel & Turbo dann einmal dazu, bei den politischen Nahles-Gegnern etwa vom Arbeitgeberverband BDA und dem Union-Wirtschaftsflügel anzurufen. Zumindest diesen Manager scheint die Ministerin in dieser Sache für sich eingenommen zu haben. (Basil Wegener) (Foto: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD, l.) während einer Werksführung bei MAN Diesel & Turbo in Augsbur; dpa)

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