Politik

1000 Babys wurden in Deutschland zwischen 1999 und 2010 anonym geboren. (Foto: Bilderbox)

03.02.2012

Schwierige Abwägung

Die anonyme Geburt soll legalisiert werden – auch wenn sie gegen wichtige Grundrechte des Kindes verstößt

Schwangere in Not sollen künftig legal entbinden können, ohne dass ihre Identität allgemein bekannt wird. Bundesfamilienministerin Kristine Schröder (CDU) hat ein Gesetz angekündigt, das die so genannte vertrauliche Geburt auf rechtliche Füße stellen soll. Babyklappen, in die verzweifelte Mütter ihr Neugeborenes anonym legen können, soll es nach dem Willen der Ministerin weiterhin geben.
Seit dem Jahr 2000 gibt es in Deutschland Babyklappen, und auch die Zahl der Kliniken, die eine anonyme Geburt durchführen, nimmt seither stetig zu. Die Anonymität sollte die verzweifelten Mütter davon abhalten, das Neugeborene zu töten oder es einfach irgendwo auszusetzen. Von vornherein war klar: Die Klappe muss Ultima Ratio bleiben. Birgt eine Geburt ohne fremde Hilfe doch erhebliche Gefahren für Mutter und Kind. Allen Angeboten gemein ist bislang, dass sie gegen wichtige Grundrechte verstoßen, wie das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft, auf Unterhalt und Erziehung durch die Eltern, aber auch gegen das Recht des Vaters, über eine etwaige Adoption mitentscheiden zu dürfen.
Die Duldung der bisherigen Praxis beruhte auf der Überzeugung, dass das Recht auf Leben vorrangig sei gegenüber dem Recht auf Kenntnis seiner Abstammung. Weil aber alle Beteiligten mit einem Bein im Gefängnis stehen, gab es schon 2002 die erste Initiative, das Ganze gesetzlich zu regeln. Doch bislang konnte man sich auf keine Regelung einigen. „Dass alle bisherigen Versuche gescheitert sind, wundert mich nicht“, sagt Marina Wellenhofer, Familienrechtlerin an der Uni Frankfurt. „Ich hätte auch erhebliche Bedenken, Babyklappen gesetzlich zu erlauben.“
Die schwarzgelbe Regierung in Berlin hat sich das Thema im Koalitionsvertrag selbst zur Aufgabe gemacht und will es nun offenbar auch angehen. Legalisiert werden soll eine Form der vertraulichen Geburt, die vorsieht, dass die Mutter im Krankenhaus ihre Identität hinterlegen muss, dass diese Informationen jedoch eine bestimmte Zahl von Jahren geheim bleibt.
Um das weitere Vorgehen auf eine solide Basis zu stellen, hat das Deutsche Jugendinstitut (DJI) in München im Auftrag des Bundesfamilienministeriums eine Studie erstellt, die Licht in die bisherige Praxis bringen sollte. Danach wurden von 1999 bis 2010 insgesamt rund 1000 Kinder anonym geboren oder in Babyklappen gelegt. Bislang wurde nur eine Zusammenfassung veröffentlicht, die gesamte Studie soll noch im Februar publik werden. Darin, so Projektmitarbeiterin Monika Bradna, gebe es dann auch Aussagen über die regionale Verteilung der Angebote anonymer Kindesabgabe.
Doch schon die Zusammenfassung der Studie „Anonyme Geburt und Babyklappen in Deutschland – Fallzahlen, Angebote, Kontexte“ ist aufschlussreich, scheint sie doch in Teilen die Forderung des Deutschen Ethikrates nach einer Schließung der Babyklappen zu bestätigen. Denn in vielen Fällen wird die Klappe „zweckfremd“ genutzt, zum Beispiel, um sich eines älteren, zum Beispiel behinderten Kindes zu entledigen. Auch andere Personen als die Mutter haben schon Babys in einer Klappe abgelegt. Und die Frauen, die ihr Kind ansonsten getötet hätten, werden von dem Angebot wohl gar nicht erreicht. Dafür spricht auch, wie der Kindernotverein Terre des Hommes angibt, dass seit Einführung der Klappen nicht weniger Neugeborene getötet wurden als zuvor. Stattdessen nehme die Zahl der Kinder zu, die ohne Kenntnis ihrer Herkunft aufwachsen müssen. „Für Kinder bedeutet das: Sie werden nie erfahren, wer ihre leiblichen Eltern sind und warum sie verlassen wurden“, heißt es bei Terre des Hommes.
Aber auch für die Mütter sei die anonyme Kindesabgabe langfristig nicht positiv, da sie die Gefahr einer Traumatisierung berge – litten doch schon Mütter, die ihre Kinder zur Adoption gegeben haben, oft ein Leben lang unter dieser Entscheidung. Auch Monika Bradna vom DJI gibt zu bedenken, dass sich durch die Inanspruchnahme der Babyklappe an der schwierigen Situation der Mutter nichts ändert. „Es gibt in der Regel keinerlei Möglichkeiten, sie zu beraten.“
„Jeder Mensch mit Herz ist froh über jedes Kind, das durch eine Babyklappe gerettet wird“, sagt Familienministerin Kristina Schröder. Das sieht Thomas Meysen, Rechtsexperte am Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, kritisch: „Wenn eine Million Euro ausgegeben wird, um ein Kind vielleicht zu retten, muss man sich fragen, ob dieser Mitteleinsatz sinnvoll ist, wenn mit dieser Summe auf anderem Wege zehn Kinder oder mehr gerettet werden könnten.“ Meysen plädiert nicht unbedingt für ein Verbot von Babyklappen, aber für eine stärkere Kontrolle. Hochproblematisch sei, dass manche Träger von Babyklappen die Kinder auch selbst in Adoptivfamilien vermittelten und häufig mit auffällig hohen Spenden bedacht würden. „Dass es hier keinerlei staatliche Kontrollmechanismen gibt, ist kein Zustand“, so Meysen. Auch die DJI-Studie hat ergeben, dass in rund einem Drittel der Fälle nicht bekannt ist, wo die Kinder abgeblieben sind.
Auch Maria Eichhorn, Vorsitzende des Vereins Donum vitae Bayern, empfindet die Babyklappe als „letzte Notlösung“. Im Moses-Projekt von Donum Vitae werden Frauen betreut, die ihre Schwangerschaft geheim halten wollen, sie können dort vertraulich oder ganz anonym entbinden. „Rund zwei Drittel der Mütter entscheiden sich nach der Geburt doch noch fürs Kind“, sagt Eichhorn. Im Moses-Projekt sind wesentliche Punkte schon erfüllt, die Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) im Fall einer gesetzlichen Regelung fordert, nämlich ein Stufensystem der Beratung. Erst wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind und die Mutter wirklich keinen Ausweg sieht, soll die anonyme Geburt möglich sein.
Ob es Wege gibt, auch diejenigen Frauen zu erreichen, die ihr Kind in ihrer Verzweiflung töten würden? Hier wären zusätzliche Mittel sicher gut aufgehoben. (Anke Sauter)

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