Es ist sein Papier, höchstpersönlich formuliert. Und trotzdem ist Ministerpräsident Horst Seehofer nicht da. Die offizielle Vorstellung der "Charta" für die Zuwanderungs- und Asylpolitik, die sein Kabinett soeben beschlossen hat, überlässt er am Dienstag seinen Ministern. Seine Botschaften freilich hat er schon gesetzt: Wiederholt und ausgiebig suchte er zuletzt das Gespräch mit Journalisten, um seine Position ausführlich zu erläutern.
Ja, schon wieder ein neues Papier der CSU - diesmal der CSU-geführten bayerischen Staatsregierung - zur Flüchtlingspolitik. Eigentlich sind es sogar zwei: Seehofers "Charta" mit dem Titel "Damit Deutschland Deutschland bleibt" und ein umfangreicher sicherheitspolitischer Forderungskatalog. Auch wenn quasi alle Forderungen altbekannt sind - der Plan von Seehofer & Co. ist klar: Den Druck auf Kanzlerin Angela Merkel, auf CDU und SPD im Bund zu erhöhen und geltende Gesetze zu verschärfen.
"Die Art und Weise, wie im Moment auf Bundesebene diskutiert wird, nervt mich gewaltig", sagt Justizminister Winfried Bausback und erntet dafür nickende Zustimmung von Staatskanzleichef Marcel Huber und Innenminister Joachim Herrmann. Jeder, der sich sachlich mit der Sicherheitslage in Deutschland befasse, "weiß, dass Änderungsbedarf besteht". Und dieser darf, da ist sich die CSU sicher, auch außerhalb Bayerns nur nach dem Motto "Sicherheit durch Stärke" erfolgen.
Immer wieder neue Papiere
Schon nach den Anschlägen von Würzburg und Ansbach im Sommer hatte das bayerische Kabinett einen großen Forderungskatalog beschlossen. Es folgten, jeweils mit neuen Papieren: eine CSU-Vorstandsklausur, eine Klausur der CSU-Landtagsfraktion, der Parteitag Anfang November, und zuletzt - vor wenigen Tagen erst - die Klausur der Bundestags-CSU im Kloster Seeon. Und jetzt das Kabinett mit Seehofers Zuwanderungs-"Charta". Kommende Woche folgt dann die nächste Runde mit der Landtagsfraktion.
Gewiss, die Lage hat sich nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt weiter zugespitzt. Doch gehen die Deutungen weit auseinander, ob Seehofers Agieren nun einer klugen Strategie folgt - oder ein Zeichen von politischer Ohnmacht ist. Zweites vertritt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch: "In dieser ständigen Vorlage von Papieren kommt eine gewisse Ohnmacht zum Ausdruck", sagt die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Seehofer drohe und beschließe ein Papier nach dem anderen - doch die Bundeskanzlerin lasse sich anscheinend nicht unter Druck setzen.
Seehofer und die Seinen argumentieren so: Man brauche eben Geduld und Beharrlichkeit (und manchmal auch Druck und gewisse Drohungen), um politische Forderungen in Berlin durchzusetzen. Sie verweisen darauf, dass einige Punkte, die die CSU einst alleine forderte und für die sie früher kritisiert wurde, nun Teil des Berliner Regierungshandelns geworden seien - was tatsächlich so ist. Seehofer glaubt im Übrigen, so werde es auch beim Dauer-Streitthema Obergrenze sein: Am Ende werde sich die CSU gegen Merkel durchsetzen.
Heikle Doppelstrategie
Doch weil vieles eben doch länger dauert, verliert die CSU langsam die Geduld: "Ich bin gespannt, ob es wirklich gelingt, das man sich auf Bundesebene endlich den Dingen zuwendet, ober ob wieder nur geredet wird", schimpft Bausback. Bayern zeige, dass es möglich sei, auf eine Bedrohungslage schnell und effektiv zu reagieren. "Das erwarten wir auch auf Bundesebene."
Die CSU will weiter alle Register ziehen, um ihre Forderungen schnell umzusetzen. Konsensthemen, die auch von anderen Ländern unterstützt werden dürften, etwa schnellere Abschiebungen, sollen über den Bundesrat, etwas heiklere über die Landesgruppe eingebracht werden. Alles andere werde Seehofer mit zum nächsten Treffen mit Merkel ins Kanzleramt nehmen, sagt Huber. "Wir stehen unter einem hohen Zeitdruck", betont Herrmann. Bei Sicherheitsfragen dürfe nicht das Motto gelten, dass alles, was bis Ende Februar nicht als fertiges Gesetz vorliege, vor der Bundestagswahl keine Chance mehr habe.
Es bleibt eine heikle Doppelstrategie, die Seehofer fährt: Einerseits führt kein Weg daran vorbei, Merkel im Herbst als Kanzlerkandidatin zu unterstützen und mit der CDU in den Bundestagswahlkampf zu ziehen. Andererseits will er sich gerade in der Flüchtlingspolitik so scharf wie möglich von Merkel abgrenzen. Das Ziel: Möglichst viele Wähler am rechten Rand der politischen Mitte an die CSU binden oder von der AfD zurückholen, denn 2018 wird in Bayern auch noch der Landtag gewählt.
In der Union gibt es deshalb die Lesart, dass eine völlige Einigkeit von CDU und CSU beinahe eher schädlich wäre. Und auch Politologin Münch sagt: "Diese Breite halte ich grundsätzlich schon für ein sinnvolles Wahlkampfkonzept." Ob die Strategie erfolgreich ist, wird sich aber erst am Wahlabend zeigen. Dafür geradestehen muss Seehofer alleine. (Christoph Trost und Marco Hadem, dpa)
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