Politik

Viele Grafenrheinfelder sind besorgt über den Schadensfall im benachbarten Atomkraftwerk. Foto: dapd

04.02.2011

Seitensprünge ohne Reue

Natürschützer werfen dem bayerischen Umweltministerium bei der Aufklärung des möglichen Schadensfalls im AKW Grafenrheinfeld vor, die Interessen E.ons zu vertreten

Die Kritik am Umgang des bayerischen Umweltministeriums mit dem möglichen Schadensfall im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld wächst. „Angesichts der jüngsten Vorkommnisse vermute ich, dass E.on und das bayerische Umweltmininisterium unter einer Decke stecken“, sagt Herbert Barthel, Energierefernt des Bund Naturrschutz (BN) in Bayern, der Staatszeitung.
Anders sei es nicht zu erklären, dass das Haus von Umweltminister Markus Söder (CSU) im Juni 2010 nach Bekanntwerden eines möglichen Mini-Risses im Innenbereich des Reaktors nicht auf eine sofortige vorläufige Abschaltung gerdängt hatte. Als Aufsichtsbehörde hätte die Behörde nach Barthels Ansicht dem Konzern klar widersprechen müssen. „Statt dessen macht das Ministerium genau das, was der Betreiber will“, poltert der Umweltschützer. Die Behörde habe das Gewinnstreben eines Energiekonzerns „vor die Sicherheitsinteressen der Bürger gestellt“, ist er überzeugt.


Lobbyisten im Ministerium?


Einem Bericht des Spiegel zufolge war E.on im Juni 2010 bei einer Routinekontrolle im AKW Grafenrheinfeld eine ungewöhnliche Anzeige aufgefallen, die auf einen möglichen Riss an einem Wärmeschutzrohr hindeutete. Ein Bruch der Leitung könnte zu „schwerem Kühlmittelaustritt“ und in der Folge einem in Deutschland so noch nie dagewesenen „Störfall der Stufe 3“ führen, zitiert das Magazin Experten in der Abteilung für Reaktorsicherheit des Bundesumweltministeriums.
E.on und die zuständige bayerische Atomaufsicht hatten den Vorfall dem Bericht zufolge zunächst als nicht meldepflichtig eingestuft und ihn erst sechs Monate später kurz vor Weihnachten bekanntgegeben. Auch das zuständige Referat des Bundesumweltministeriums hatte erst Monate später von dem Vorgang erfahren und daraufhin eine umgehende Abschaltung des Reaktors gefordert.
E.on, das eine BSZ-Anfrage unbeantwortet ließ, betonte im Januar in einer Stellungnahme, dass von einem möglichen Riss mit einer Größe von 2,7 Millimetern in dem Rohr keine Gefahr ausgehe, selbst wenn er tatsächlich vorhanden wäre. Das sei auch die Meinung aller Experten. Auch das bayerische Umweltministerium wies den Bericht umgehend als „falsch“ zurück. Das Kernkraftwerk sei zu jedem Zeitpunkt sicher gewesen.
Doch viele Gegner der Kernenergie wollen diese Version nicht glauben: „Da gibt es nichts zu diskutieren. Man hätte sofort abschalten müssen“, sagt der energiepolitische Sprecher der Grünen im Landtag Ludwig Hartmann. Auch hätten Eon und das Land den Bund viel zügiger informieren müssen. „Das war ein einmaliger, meldepflichtiger Vorgang“, erläutert Hartmann.
Tatsächlich diskutierte die Reaktorsicherheitskommission, die vom Bundesumweltministerium eingeschaltet wurde, den Vorfall in Grafenrheinfeld kurz vor Weihnachten laut Spiegel ausgiebig. Hartmann erinnert derweil an einen ähnlichen Vorfall in der Schweiz im Jahr 2005: „Doch anders als hier, schalteten die Zuständigen dort das AKW sofort ab, als sie den Riss entdeckten.“ Seine Schlussfolgerung: Das bayerische Umweltministerium betreibe eine „konzernfreundliche Politik.“
Ein Grund für die angebliche Einflussnahme ist seiner Ansicht nach offensichtlich: „In einem Teil der Köpfe der Ministeriumsmitarbeiter ist noch nicht angekommen, dass E.on jetzt kein bayerisches Staatsunternehmen, sondern eine gewinnorientierte Firma ist.“ Es gebe jedenfalls genug Beispiele für ein solches Gemeinmachen mit E.on: Etwa, wenn der Amtsleiter des Umweltministeriums in der „Wir“-Form spreche, wenn er von der Überprüfung des Eon-Kraftwerks berichte. „Und das, obwohl er ja von der zuständigen Aufsichtsbehörde kommt“, empört sich der Grüne.
Dennoch verwundere ihn „ein solches Denken“ nicht. Schließlich sei es früher bei der Staatsregierung üblich gewesen, „verdienten Beamten einen Posten bei E.on oder einer seiner Firmentöchter zukommen zu lassen.“
Bei Greenpeace Deutschland sieht man das ähnlich. Deren Energieexperte Andre Böhling spricht von einer „nach wie vor andauernden Verflechtung zwischen E.on und der bayerischen Staatsregierung“. Der Umweltschützer erhebt schwere Vorwürfe: „Energiekonzerne versuchen seit vielen Jahren, Mitarbeiter in die verschiedenen Ministerien einzuschleusen – E.on geht dabei besonders effektiv vor.“
Zudem würde die Atomlobby Politikern für die Zeit nach ihrer Karriere lukrative Posten versprechen. Im von den Öko-Kriegern 2007 erstellten Schwarzbuch Klimaschutzverhinderer sind immerhin vier CSU-Politiker und Beamte aufgeführt, die in der Vergangenheit von bayerischen Ministerien zum Energieriesen E.on wechselten. Zudem besaß der Freistaat noch bis zum Jahr 2004 fast fünf Prozent der E.on-Aktien, reduzierte diesen Anteil jedoch seither schrittweise.
Eine Sprecherin des bayerischen Umweltministeriums weist den Vorwurf, es gebe eine Beeinflussung der Politik des Hauses durch E.on als „absurd“ zurück. „Mitarbeiter von E.on sind nicht im Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit (StMUG) tätig und wirken auch nicht an Arbeitsprozessen im StMUG mit“, versichert sie. Es sei „kein Fall bekannt, nach dem Mitarbeiter des StMUG bei einem anderen Energiekonzern beschäftigt waren“.
Gewissheit besteht allerdings nicht. Denn ausgeschiedene Mitarbeiter sind laut der Sprecherin „nicht verpflichtet, Auskunft über ihren künftigen Berufsweg zu geben“.

Vorwürfe auch gegen das Wirtschaftsministerium


Wie eng die Verbindungen zwischen Stromkonzern und Umweltministerium allerdings mitunter sind, zeigen folgende Zahlen, die eine BSZ-Anfrage ergaben: Im Rahmen ihres Außendienstes waren nach Ministeriumsangaben seit 1984 immerhin elf Beschäftigte des bayerischen Umweltministeriums bei E.on und der vormaligen Bayernwerk AG tätig. Zwischen 18 Monaten und fünf Jahre dauerten die Konzern-Visiten. Derzeit arbeitet laut der Sprecherin allerdings nur ein Ministeriumsbeamter bei E.on.
Doch auch beim Wirtschaftsministerium gab es in der Vergangenheit jede Menge Seitensprünge: Von 1998 bis 2008 waren nach Ministeriumsangaben im Rahmen des laufbahnrechtlichen Außendienstes 14 Mitarbeiter bei Energieunternehmen beschäftigt. Mindestens zwei Personen wechselten im gleichen Zeitraum dauerhaft zu einem Energieunternehmen. Der bayerische Vorsitzende des Bundesverbands WindEnergie (BWE) Günter Beermann sagt deshalb: „Es gibt da noch immer ein paar alte E.on-Leute.“ Das Ministerium weist diesen Vorwurf jedoch zurück. (Tobias Lill)

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