Politik

Glenn Greenwald in München: Ob er wohl abgehört wird? „Darüber denke ich nicht nach, sonst würde ich paranoid werden.“ (Foto: dpa)

30.05.2014

"Snowden ist der glücklichste Mensch, den ich kenne"

Der Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald über das Wiedersehen mit Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden, den Umgang mit den Geheimakten und die Zukunft der NSA

Vergangene Woche traf Glenn Greenwald Snowden in Moskau. Danach stellte er in München sein Buch „Die globale Überwachung“ vor, das auf Anhieb den Sprung in die Bestsellerlisten schaffte. Die BSZ traf den ehemaligen Guardian-Reporter zum Gespräch. Das Material, das ihm Snowden übergeben habe, enthalte noch jede Menge Brisantes, erzählt er. Weitere Veröffentlichungen folgen.

BSZ: Herr Greenwald, Sie haben vor einer Woche Edward Snowden in Moskau erstmals seit  einem Jahr wiedergesehen. Wie hat er auf Sie gewirkt?
Greenwald: Es geht ihm wirklich gut. Er ist gesund und glücklich.  Und er ist heute selbstbewusster, was Interviews angeht. Sonst aber ist er dieselbe Person, die wir vor einem Jahr in Hongkong trafen, er hat sich nicht verändert. Er bereut seine Entscheidung nicht, die geheimen Daten an die Öffentlichkeit gebracht zu haben.

BSZ: Er ist also mit sich im Reinen?
Greenwald: Ja, vor einem Jahr drohte ihm die Auslieferung an die USA und ein Leben in Gefangenschaft. Wir befürchteten damals, dass ihn chinesische Behörden oder amerikanische Agenten  jeden Moment festnehmen könnten. Dennoch – er war  in Hongkong ruhiger als ich. Während ich vor Aufregung und Arbeit nur zwei Stunden schlafen konnte, hat er sich jeden Abend zur gleichen Zeit für siebeneinhalb Stunden ins Bett gelegt. Heute ist er einer der glücklichsten Menschen, die ich kenne, obwohl er nicht freiwillig in Russland lebt, sondern sich von den USA dazu gezwungen sieht.

BSZ: Glaubt er, irgendwann in die USA zurückkehren zu können?
Greenwald: Das Problem ist, dass er unter dem Espionage Act angeklagt werden würde und deshalb nicht mal zu seiner Verteidigung vorbringen kann, dass er im Interesse der Allgemeinheit gehandelt hat. Das Urteil stünde also schon vor dem Verfahren fest – sofern er nicht vor einer möglichen Rückkehr in die USA mit der amerikanischen Regierung über die Konditionen verhandelt.

BSZ: Wo haben Sie eigentlich Ihren Rucksack mit den Dokumenten gelassen? Bislang haben Sie ihn doch nie aus den Augen gelassen.
Greenwald: Das stimmt, die Dokumente haben mich neun Monate überall hin begleitet – auch zum Bäcker oder zum Obsthändler.  Aber als ich kürzlich zum ersten Mal seit Beginn der Enthüllungen in die USA reiste, wollte ich sie nicht mitnehmen. Deshalb haben wir ein neues System entwickelt, damit sie sicher sind.

BSZ: Wie groß ist Ihr Archiv? Die NSA selbst spricht von Millionen von Dokumenten.
Greenwald: Die amerikanische Regierung hat bis heute keine Ahnung, was und wie viel Snowden davon kopiert hat. Das hat der ehemalige NSA-Chef Keith Alexander vor Kurzem zugegeben. Ich habe die Dokumente nicht gezählt. Aber es sind viele viele Tausende.

"Ich bespreche mit Snowden nicht, was ich veröffentliche"


BSZ: Wie viel davon haben Sie bislang gelesen und durchgearbeitet?
Greenwald: Ich habe alle mindestens einmal gelesen, viele mehrfach. Das war meine Arbeit im vergangenen Jahr. Bislang aber haben wir nur einen kleinen Teil davon veröffentlicht. Übrigens bespreche ich mit Snowden meine Entscheidung, was ich veröffentlichen will, nicht. Aber er ist immer noch mein Informant, und ich befrage ihn fortlaufend, um die Dokumente zu verstehen. Wir tauschen uns fast täglich aus.

BSZ: Sie werfen amerikanischen Medien vor, zu regierungshörig zu sein und deshalb vieles nicht zu thematisieren. Wikileaks-Chef Julian Assange wirft Ihnen dagegen vor, Dokumente zurückzuhalten.
Greenwald: Wir hätten mehr Dokumente veröffentlichen können, richtig. Aber wir wollten uns nicht dem Vorwurf aussetzen, verantwortungslos zu agieren und Menschen zu gefährden. Hätte Snowden das gewollt, wäre er nicht zu Laura Poitras und mir gekommen, sondern hätte die Dokumente Julian gegeben.

BSZ: Soll der Rest auch noch veröffentlicht werden?
Greenwald: Es gibt in der Tat noch so vieles zu berichten. Wir überlegen aktuell, wie wir den Spielraum erweitern und andere Journalisten an der Auswertung und den Recherchen beteiligen können.

BSZ: Befürchten Sie nicht, dass die Öffentlichkeit das Interesse an dem Thema NSA bald verlieren könnte?
Greenwald: Es gibt schon jetzt Teile der Öffentlichkeit, die sich dafür nicht interessieren. Denn sie glauben, dass sie das nicht betrifft. Das sind Leute, die sich auch nicht dafür interessieren, ob ein Diktator Menschen unterdrückt. Zu Beginn hatten wir tatsächlich Angst, dass sich niemand um unsere Enthüllungen scheren würde. Aber jetzt, ein Jahr danach, ist das Interesse größer als je zuvor. Weltweit wird über Überwachung und Privatsphäre debattiert. Politiker beraten über Gesetze. Unternehmen fordern Reformen. Vielleicht werden die Leute an einem bestimmten Punkt sagen: Jetzt ist es gut – ich hab’s kapiert. Aber die Debatte darüber, wie wir unsere Privatsphäre in der digitalen Welt schützen können, wird mit Sicherheit aktuell bleiben.

"Unbescholtene Bürger sollten nicht überwacht werden"


BSZ: Auf Ihrer neuen Internetplattform „The Intercept“ erreichen Sie allerdings nicht mehr die gleiche Aufmerksamkeit, die Sie beim Guardian hatten. Schwindet damit nicht Ihre Wirkung?
Greenwald: Ich kann mich über mangelndes Interesse nicht beklagen, auch nicht auf meiner neuen Plattform. Die Zahl der Leser meiner Geschichten dort ist durchaus vergleichbar mit denen beim Guardian.

BSZ: Die NSA tut sich schwer, die vielen Daten zu analysieren. Ist das ihr größtes Problem?
Greenwald: Sie hat zwei Probleme. Erstens: Kann sie die Billionen Daten lagern? Dazu haben sie nicht genug Platz, aber deshalb wächst sie ständig und baut riesige Speicher. Zweitens: Kann sie die Daten auswerten? Die Anschläge vom 11. September konnte sie nicht verhindern – nicht, weil sie die Informationen nicht hatte, sondern weil sie sie nicht finden und in Zusammenhang bringen konnte. Dieses Problem ist 13 Jahre später noch sehr viel größer geworden, weil die Menge an Daten so stark zugenommen hat.

BSZ: Sollten wir nicht froh sein, wenn die NSA so viel sammelt, weil sie dann die Kontrolle und Übersicht verliert und sich in ihren Daten selbst begräbt?
Greenwald: Das Problem ist doch, dass die NSA nur behauptet, die Daten zu sammeln, um uns vor Terroristen zu schützen. In Wahrheit hört sie die ganze Welt ab, um alle zu überwachen und zu kontrollieren. Mitarbeiter der NSA brauchen auf ihren Computern nur Ihre E-Mail-Adresse oder Ihre Telefonnummer einzugeben, und schon können sie alles sehen, was Sie senden und empfangen und sprechen. So einfach ist das. Das System lädt zu Missbrauch ein. Und: Unbescholtene Bürger sollten nicht überwacht werden.

BSZ:
Wer könnte die NSA reformieren? Präsident Obama?
Greenwald: Ich setze nicht auf Obama. Sein Reform-Gesetz wurde verwässert und trägt einen Namen, den es nicht verdient. Ich setze darauf, dass Bürger und Nutzer von Social Media-Diensten Reformen einfordern. Dort liegt unsere wirkliche Chance. Sie müssen Druck ausüben auf Internet-Unternehmen und deren Dienste, denn Washington hört nicht auf einfache Bürger, sondern auf Internet-Milliardäre.

BSZ: Sehen Sie dafür Anzeichen?
Greenwald: Facebook, Google und andere störten sich nicht an der Überwachung durch die NSA, solange niemand davon wusste. Aber seit den Enthüllungen sind sie in Panik und setzen die Regierung unter Druck. Aber am meisten verspreche ich mir von der Entwicklung, dass mehr Nutzer ihre Nachrichten verschlüsseln.

BSZ: Gehen Sie eigentlich davon aus, dass uns die NSA abhört, wenn ich unser Gespräch mit meinem i-Phone aufzeichne?
Greenwald: Ich denke nicht viel über solche Fragen nach, weil ich sonst paranoid werden würde.
(Interview: Thomas Schuler) (Foto: Selfie mit Snowden (l.) und Greenwald (2.v.r) vergangene Woche im Moskau; facebook)

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